Drei Studenten, unterwegs (Kleeblatt-Geschichten 1)


Wirf die Scharteken weg, und sauf ein Glas Burgunder.
Was hilft bei Mädchen dir der ganze dumme Plunder?

Justus Friedrich Wilhelm Zachariae: Das Schnupftuch, Ein scherzhaftes Heldengedicht (1754)

Ein Kleeblatt, trifolium, leaf of trefoil.

Drei Wanderer.

Fahrende Sänger. Gammler, Unangepasste.

Monarchen, Hilfsarbeiter.

Daraus könnte man doch was machen.

Drei Männer, unterwegs. Sozusagen Wandersmänner. Ohne Heimat, alle Habseligkeiten passen in einen Rucksack. Kein ehrbarer Beruf, noch nicht oder nicht mehr. Status unbekannt. Sie leben von der Hand in den Mund. Heute hier, morgen dort. Und übermorgen? Was soll nur aus uns werden?

Manchmal sitzen sie weinselig beisammen, wenn der Abend kommt, in irgendeiner Kneipe, tun sich mitleidig selber leid oder versteigen sich zu großen Plänen. Oder beides. Wenn ich doch das große Los zöge, dann könnte ich es endlich allen zeigen. Ja, wenn. Real ist nur der Schoppen Rotwein. Der muss fürs erste und vielleicht für immer genügen.

Häufig singen sie und träumen von der großen Liebe und der schönen Frau. Die Traumfrau bleibt unerreichbar und wohnt im Reich der Fantasie. Aber das Singen und Sehnen lassen wir uns nicht nehmen.

Drei Männer, unterwegs. Was wird bloß aus ihnen? Und die Traumfrau! Bleibt sie eine Männerfantasie oder wird sie Wirklichkeit?

Daraus muss man doch was machen.

1480.

Der Buchdruck ist gerade erfunden. Schon gibt es was zu lachen und gedruckt zu kaufen: Drei Studenten bandeln mit der Wirtin an.

Hans Folz ist Friseur und so eine Art Arzt zugleich, wie man das eben damals als Beruf betrieb. Erst die Barthaare, dann die Wehwehchen. Hobbymässig engagiert sich Folz als Dichter und Drucker zu Nürnberg. Seine Reimdichtungen verkauft er in seinem Umfeld frisch gedruckt aus der heimischen Presse, friends und family erhalten eine Broschüre vielleicht auch mal geschenkt.

Ja, richtig, Broschüre. Das ist der buchwissenschaftliche Fachausdruck für die Folz’schen Heftchen: ein bis drei Drucklagen, so gefaltet und beschnitten, dass pro Lage je acht Blätter herauskommen. Und die sehen aus wie echte Handschriftseiten, die man sammeln und in ein richtiges Buch einbinden kann. Einerseits. Du kannst sie aber auch wie ein schnelles Witzheftchen für zwischendurch lesen, als lose Blätter.

Die Wirtin lockt die zudringlichen Kerle aus der Kneipe zum Tête-à-Tête auf den Friedhof. Und dort stehen dann vermeintlicht die Toten wieder auf. Haha, und da laufen dann die Studenten ganz panisch davon. Von allem etwas: Spaß, Liebe, Grusel, Horror. Und alles bleibt streng erbaulich dank eiserner Moral am Schluss. Geschieht den Gammlern und Bummelanten doch nur recht. Versuche nie, die Wirtin zu verführen.

Verkauft sich gut.

1932.

Der Kupfertiefdruck erlaubt ganz neue Bildqualitäten. Fotos auf dem Schutzumschlag. Aus dem gleichnamigen Film. Für die Filmzuschauer, die nicht genug bekommen haben und ein Andenken für den bürgerlichen Bücherschrank zuhause brauchen. Was zum Blättern und Nachlesen in stiller Stunde daheim.

Das Buch „Grün ist die Heide“, reich illustriert mit „Lichtbildern aus dem gleichnamigen Film“, zeigt auf dem Cover drei Wanderarbeiter auf dem Weg zur nächsten Kiesgrube, Tagelöhner, kein Glück in der Liebe.

Aber wenigstens können sie singen, von der grünen Heide. Und vor allem von der Liebe, die heimlich ist und ernst: „Als ich gestern einsam ging, auf der grünen, grünen Heid, kam ein junger Jäger an, trug ein grünes, grünes Kleid“. Liebe eines Mädchens zum feschen Jäger. Eine Liebe, die wenig mit den drei zerlumpten Gestalten zu tun hat. Mehr Traum als Wirklichkeit. Aber mit irgendwas muss man sich ja die Zeit vertreiben, wenn man so unterwegs ist in der Heide.

„Grün ist die Heide“ ist ein Lönslied. Sehr populär damals, deswegen gibt es einen ganzen Schlagerfilm rund um dieses eine Lied. Lönslieder gibt es viele, kennt heute bloß kaum noch einer: „Rosemarie, sieben Jahre mein Herz nach dir schrie“. „Der Birnbaum blüht nicht bloß aus lauter Freude“. „Auf der Lüneburger Heide, in dem wunderschönen Land“. So richtig was für Wandervögel, die gerne zur Betreuergitarre singen. Am besten zu dritt. War einmal, kommt nicht wieder.

Das kann man daraus machen. Und wie. „Grün ist die Heide“, ein Blockbuster-Film. Schlager, die jeder kennt. Erfolg, die Kasse klingelt. Jeden Abend volles Haus, tausende Zuschauer. Die Leute stehen Schlange. Försterliebe. Wilderertod. Muss man gesehen haben. Muss man gesungen haben. Lieder auf allen Lippen, Gassenhauer, Tophits. Ganz oben in der Playlist. Favorit des Jahres. Meistgesehen. Meistgehört. König der Likes.

Aber immer hübsch der Reihe nach.

Wie landet man einen Blockbuster? Wie schreibt man einen Gassenhauser?

Ein steiniger Weg, liebes Kleeblatt (trifolium, leaf of trefoil)!

Rote Lippen, roter Wein

Tagelöhner, Wanderarbeiter. Saisonkräfte, Aushilfen, Hilfsarbeiter. Ungelernte, Studenten. Nummer Null.

Daraus könnte man doch was machen. Das ahnte Hans Folz schon 1480 und setzte einen deftigen Schwank auf seiner Nürnberger Druckerpresse. Drei Studenten, Männer, die es sich in der Kneipe bei Spiel und Gesang gemütlich machen. Schach, Mühle, es gibt auch was zu bechern. Weil die Becher im Holzschnitt fehlen, hat sie noch jemand fein mit der Feder nachträglich eingezeichnet. Ist so realistischer. Auch der Wirtin hat er rot einen kessen Mund gemalt. Rot sind die Rosen, Rot ist die Liebe.

Das täuscht. Denn die Wirtin, vorbildlich und vernünftig, spinnt Wolle am Spinnrad und macht sich nützlich. Sie hält auf sich und ihren guten Ruf, steht nicht zur Verfügung für eitlen Liebesplausch und Alphamännchen-Eitelkeit. Das hält einen ihrer Gäste aber nicht davon ab, nah und zu nah an sie heranzurücken. Wahrscheinlich der Anführer des Kleeblatts. Gerade die offensichtliche Tugend weckt seinen Erobererinstinkt, fordert ihn heraus.

Der Wirtin wird das Liebeswerben unangenehm. Da muss sich die unfreiwillig Verehrte etwas einfallen lassen, um die drei loszuwerden. Solche Männer packt man mit Mutproben.

Folz erzählt das alles schon auf seiner Titelseite, direkt unter dem pittoresken Holzschnitt, „wie sie den einen in ein Grab redet, die Nacht um ihretwillen darinnen zu bleiben, den anderen, dass er bei dem Grab die Nacht stünd und dem im Grab einen ganzen Psalter betet, und den dritten, dass er in teuflischer Gestalt grausamlich und sehr brummend um die Kirch zu dem Grab liefe, den, der dort betet, furchtig zu machen und ihn ab zu treiben“.

Ein raffinierter Trick: Die bedrängte Wirtin hetzt die drei Studenten gegeneinander auf. Erst kommt der Teufel, dann die lebendige Leiche und am Schluss die nackte Panik.

Das kann nur noch peinlich enden. Es folgt, „wie der im Grab aufhuscht zu entfliehen, und wie sie alle drei vor Schrecken hinfielen“. Grenzenloser Schrecken und Ohnmacht. Die gerechte Strafe für so viel toxische Männlichkeit. „Aber die Wirtin ward rein widerum vergolten“. Sie hat ihnen den Teufel auf den Leib gehetzt, den Teufel, der vor allem und zuerst in ihnen selbst steckt. Ihre Ehre bleibt gewahrt.


Der Zweifler: Ein Problem habe ich noch, und zwar mit Folzens Titelblatt. Drei Studenten und die Wirtin, ok. Steht ja auch drunter. Aber mal ehrlich: Sind das nicht zwei Männer und zwei Frauen? Schau doch mal: Links ein Spieler mit Begleiterin, rechts eine Dame am Spinnrad, der sich ein Trinker nähert. Passt doch jetzt viel besser. Ich meine ja nur.

Antwort: Wenn man schon einen Holzschnitt in Auftrag gibt, dann so, dass man ihn noch woanders wiederverwenden kann, zum Beispiel für zwei Pärchen bei der Abendunterhaltung. Die Holzschneiderei muss sich ja lohnen. Passende Accessoires kannst du schließlich jederzeit mit Tinte zusätzlich reinmalen. Für die drei Studenten brauchen wir: Mühle, Schach, Trinkbecher. Dann läuft das schon. Guckt ja nicht jeder so genau hin wie du.


Zwischenbilanz

Was haben wir bis jetzt?

1. Drei Studenten. Drei erhöhen den komischen Effekt, ein Erzähltrick, Märchenmagie.
2. Die drei Studenten buhlen um Liebe, die sich nicht erfüllt. Motiv: Vergebliches Liebeswerben.
3. Die drei haben einen dubiosen Status. Studenten, Bummelanten, Herumtreiber, werden Millionär oder Tellerwäscher. Im Moment sind sie jedenfalls noch gar nichts, höchstens auf dem falschen Dampfer.
4. Ein Hang zum Morbiden. Für die Action verkleiden sie sich, der Teufel geht um auf dem Kirchhof, ein Toter steht aus dem Grab wieder auf. Liebe und Tod sind eng verbunden.

Demnächst

Die drei Herumtreiber feiern erste Erfolge. Für die Wirtin brechen härtere Zeiten an. Liebe und Tod rücken noch enger zusammen. Dies alles und mehr im Kapitel „Drei Burschen, unterwegs“.


Verwendete Literatur

Justus Friedrich Wilhelm Zachariae: Das Schnupftuch, Ein scherzhaftes Heldengedicht. In: Poetische Schriften Bd. 2, Braunschweig 1763. Link zum Deutschen Textarchiv.

Item von dreyen studenten die vm ein aller schönste wirtin pulten. Von der Buhlschaft dreier Studenten, Nürnberg : Hans Folz 1480. https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00027019-8.

Hermann Löns: Grün ist die Heide. Eine Auswahl von 25 der besten Novellen, Hannover 1932.

Ursula Rautenberg: Das Titelblatt. Die Entstehung eines typographischen Dispositivs im frühen Buchdruck. 2004. Link zur Universität Erlangen.

Abbildungsnachweise

Item von dreyen studenten die vm ein aller schönste wirtin pulten. Von der Buhlschaft dreier Studenten, Nürnberg : Hans Folz 1480. https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00027019-8. Seite 1v (scan 5). Creative Commons License: Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0).

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