Drei Handwerker, unterwegs (Kleeblatt-Geschichten 3)


Casperl (am Fenster.)
No! Was werden jetzt die Scharteken wieder
zsammen geplauscht haben? Da hätt nur meine
Grethl noch gfehlt. Das wär’ das rechte Trifolium
gewesen. Aber der schöne Morgen! So angenehm!
Und das süße Bewusstsein des behaglichen Wohl-
behagens! Privatier! Rentier! — — Auweh!
wen sieh ich da um’s Eck herum kommen? Das
ist ja der Schneidermeister Knöpfl, dem ich noch
meinen neuen Frack schuldig bin.

Franz von Pocci: Casperl wird reich. Schicksalsdrama in vier Aufzügen (1875)

Was bisher geschah

Eine Scharteke. Ein Schwank von 1480. Drei Männer, eine Frau. Drei Studenten, eine Wirtin. Männer flirten für schnelle Liebe, eine Frau jagt ihnen gräuliche Todesangst ein. Die Strafe für die Zudringlichkeit.

Eine Postkarte von 1912 mit einem sentimentalen Lied von 1808. Drei Saufbrüder vom Rhein, unglücklich verliebt in der Wirtin Töchterlein. Liebe zur Toten, schwarze Romantik, schöngefärbt verbrämt.

Noch keine Weltliteratur. 

Man könnte noch was anderes daraus machen. Wir haben: Drei Wanderer, unterwegs. Sie kommen ab vom Pfad, kehren ein und bandeln mit der Wirtin an. Liebessehnsucht des Heimatlosen. Wer nach Liebe sucht, trifft auch ganz schnell auf den Tod.

Das liederliche Kleeblatt.
Aufführung am 11.4.1832 im Theater an der Wien. Theatralische Bilder-Gallerie, 1. Jahrgang (1833/34), No. 7. Link zum Theatermuseum Wien.

Johann Nestroy braucht im Wien des Jahres 1832 die Nummer sicher, eine Geschichte, die immer geht. Eine altbewährte Geschichte, für die große Bühne. Also, genauer gesagt: Nicht groß im Sinne von bedeutend, mehr so im Sinne von viel Publikum, am besten gleich auf vielen Theaterbühnen an vielen Orten in ganz Europa. Da klingelt die Theaterkasse. Nestroy schreibt eine Posse, die das Publikum scharenweise in sein Theater strömen lassen soll. Possentypisch wird das Ganze mit ein paar Gesangsnummern aufgelockert. Die alten Geschichten sind die besten.

Jesuitisches Kleeblatt

Bei Nestroy sind die drei Wanderer jetzt verarmte Handwerker, ein „liederliches Kleeblatt“. Könnte einem auch passieren. Plötzlich draußen. Handwerk gelernt, nützt nichts. Auftragsflaute, Arbeitslosigkeit. Das ist publikumswirksamer als die Bettelstudenten und fahrenden Schüler aus der alten Schwankliteratur. Aber das Wichtigste bleibt: ohne festen Wohnsitz, auf der Walz, das Wanderbündel geschnürt. Und, wie gehabt: Es sind drei, sie sind unterwegs und sie schauen sich nach Frauen um. Die alten Geschichten sind die besten. Die Dreierformation nennt Nestroy jetzt Kleeblatt. Trifolium, ein schönes Symbol für die Drei.

Jetzt noch ein raffinierter Titel. Ein bisschen kreolisierter Lateinmischmasch, klingt schon mal gut: „Lumpacivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt“. Und klingt nach lateinischer Jesuitentragödie, aber nur im Auslaut. Jesuitendrama ist im Wien der Zeit gleichbedeutend mit besonders guter Unterhaltung: Knallbunte Effekte, immer auch etwas zu lachen, und zum Schluss eine moralische Unterweisung, wie sich das für ein christlich-belehrendes Drama gehört. Nestroy betreibt Etikettenschwindel: Vom Jesuitenlatein ist nicht viel übrig, mehr dagegen vom harten Leben auf der Straße und der Gefahr für Leib und Leben, denn vorne im Titel geht es um Lumpen und Vagabunden. Übel beleumundete Gesellen, Ausgestoßene, Menschen am Rande der Gesellschaft. Haderlumpen. Will man nichts mit zu tun haben. Oder?

1. Auftritt. Schuster Knieriem trifft Tischler Leim und Schneider Zwirn, auf der Landstraße. Knieriem interessiert sich höchstens dem sprechenden Namen nach fürs Schustern. Lieber verjuxt er Geld, das er noch gar nicht hat. Fröhlich mit Gesang: „Und wie ich ein‘ Gulden z’sammenbettelt hab‘,/ da lassts mir drei Maß Bier hinab. /A drei Maß Bier lassts mir hinab,/ mein Rausch hab ich jahraus, jahrein, / es wird doch heut kein‘ Ausnahm‘ sein.“ Leim hat zwar das ehrbare Tischlerhandwerk gelernt, zieht aber mangels Aufträgen ziellos umher, die Schuhe sind schon durchgelatscht: „Im Grund betrachtet, is’s eine Schand‘, ich bin ein ausgelernter Tischler, und es geht mir ordentlich d’Füß‘ aus’m Leim.“ Leim hat den Leim nur dem Namen nach. Schneider Zwirn hält da schon mehr auf sich, „in ärmlicher Kleidung, aber dennoch so viel wie möglich geputzt und trägt ebenfalls das Wanderbündel auf dem Rücken“. Dieser Schneider putzt tatsächlich nur sich selbst fesch heraus und jagt lieber Rockzipfel: „Wer d’Madeln gern hat,/ Juheh! find’t g’nug in der Stadt. /Blauer Montag ist alle Tag‘.“ Zwirn macht blau, heute, morgen, alle Tage. Genäht wird nicht.

Wirtshausflirt

Später im Wirtshaus: Eine Handwerkerkongregation zecht und schneidet auf, Kellnerinnen sind auch dabei. Mittendrin Knieriem, Zwirn und Leim. Für die Kellnerinnen besteht keine Gefahr. Die drei Handwerksburschen haben genug damit zu tun, sich voreinander zu produzieren und an Selbstentwürfen zu stricken. Zwirn: „Da müssts mich erzählen lassen, ich könnt‘ euch meine Amouren bataillonsweis aufmarschieren lassen“.

Und dann das: Ein Lottogewinn, von der Zauberfee den drei Besitzlosen per Traumbotschaft zugeschanzt („Nr. 7359“), könnte alles ändern. Wer unsere drei Wanderburschen kennt, weiß: Das wird böse enden. In der Tat.

Juheh! Den Treffer habn wir! Eing’schenkt! Eing’schenkt!
Aufführung am 11.4.1832 im Theater an der Wien. Theatralische Bilder-Gallerie, 1. Jahrgang (1833/34), No. 5.
Link zum Theatermuseum Wien.

Knieriem trinkt umso mehr und singt melancholische Lieder über die bevorstehende Apokalypse: „Es ist kein‘ Ordnung mehr jetzt in die Stern‘,/ D’Kometen müssten sonst verboten wer’n.“ Immerhin Leim fasst sich ein Herz und gewinnt treu die einzige Frau seines Herzens. Zwirn schließlich lebt auf zu großem Fuße, flirtet mächtig mit gleich zwei Frauen und merkt nicht, wie seine Barschaft schrumpft:

Zwirn: (Beide in die Wangen kneipend).
O Ihr seid Beide ein paar liebenswürdige Schnecken!

Camilla. Wie mich der Mann betrachtet,
Ach, das ist stark, auf Ehr.

Laura. Auf mich allein er schmachtet,
Es ist kein Zweifel mehr.

Zwirn. (Recitativ.)
Allen Zwei’n möcht’ ich zugleich ein Bussel geben,
Ich weiß nicht wie mir g’schieht,
Ich fühl’ mein Herz hier erbeben.
Ich möcht’ ein kleines Hüttchen nur
Wo hab’n auf einer stillen Flur,
Bei diesem Hüttchen fließt ein Bach,
Und diesem Bach fließt Liebe nach. […]

Camilla. Wo die Donau brav rauscht,
Und kein Stadtherr nit plauscht,
Viel Meil’n weit von hier,
Möcht’ ich schmachten mit Dir.

Zwirn. Wenn mir Dein Auge strahlet,
Ist mir so leicht, so gut.

Laura. Und meine Wangen malet
Noch nie gefühlte Glut.

Johann Nestroy, Der böse Geist Lumpacivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt (Druckfassung 1835)

Eigentlich ist alles Betrug: Die beiden Schönen tun italienisch, um sich einen reichen Mann zu angeln. Zwirn beißt sofort an („Die geht scharf d’rein, ganz das italienische Feuer“). Dabei stammen die liebenswürdigen Schnecken aus Berlin („Es ist doch ein Glück,/ Ein Berliner zu sein.“ „Wir sind mit den Männern/ stets pfiffig und fein“). Und verlieren das Interesse, als Zwirn sein Lottogeld aufgebraucht hat. Ausgeschmachtet, erkaltet die nie gefühlte Glut. Camilla und Laura waren nicht ohne Grund von Anfang an misstrauisch („Ich habe schon geglaubt, sie haben uns in eine Schneiderwerkstatt geführt“).

Bilanz „Lumpazivagabundus“, traditionell.

So weit, so gut.

1. Nestroy zerlegt den alten Schwank in seine Einzelteile. Mit großem Gewinn für jeden Teil. Er macht lustige Possenszenen daraus und reiht sie so aneinander, dass kurzweiliges Unterhaltungstheater herauskommt. Die Rolle des Knieriem schreibt er für sich selbst, um in einer Gesangsnummer im Star-Rampenlicht zu stehen.

2. Die drei Wanderer gewinnen Profil als besitzlose Handwerks-Arbeiter. Leider auf der Suche nach dem großen Glück ins Straucheln gekommen. Niemand will sie beschäftigen. Aber: Sie können singen. Sie haben ihr Handwerk gelernt. Und sie sind irgendwie sympathisch.

3. Das vergebliche Liebeswerben kommt komödiantisch gewendet zu neuer Geltung. Camilla und Laura, die falschen Italienerinnen, legen Zwirn, den falschen „Kapitalisten“ genauso rein wie er sie. Liebesfeuer und noch nie gefühlte Glut, alles nur Vorwand, Lug und Betrug. Nach der Enttarnung sind alle gleich gestraft. Lustig.

4. Morbide ist hier nur noch Knieriem mit seinen ewig melancholischen Aussetzern und seiner Trunksucht. Und auch das hat jetzt was Tröstliches: Er kann so schön singen.

Bilanz „Lumpazivagabundus“. Ganz neu!

Zeitung, Bilderbögen, in Farbe und Schwarzweiß: Bäuerles Theaterzeitung!

Nach Wien blickt die Theaterwelt. Deswegen gibt Adolf Bäuerle schon seit 1806 die „Wiener Theaterzeitung“ in Druck, mit den Neuheiten aus der Metropole. Zu Nestroys Zeiten ist sie die beliebtestes Unterhaltungsillustrierte und wird im ganzen deutschen Sprachraum gelesen. So eine Art Fachzeitschrift, Feuilleton und Illustrierte in einem. Sie erscheint mehrmals wöchentlich, immer wenn es wieder Neues gibt, und berichtet druckfrisch über die gerade boomenden Theaterstücke auf Österreichs Bühnen.

Der geschäftstüchtige Bäuerle hat sich eine ganz besondere Beilage für Fans ausgedacht, natürlich gegen Aufpreis, die „Theatralische Bilder-Gallerie (52 Lieferungen jährlich)“ eine Art Bilderbogen, wer es sich leisten kann: in Farbe, sonst halt schwarz-weiß. Die beliebtesten Stücke aus Wien, zu sehen sind die Figuren, Kostüme und Szenen der Aufführung, so getreu, als wärst Du dabei.

Die Bilder-Gallerie ist alles in einem: Sammlerstück und Souvenir für Besucher, Anschauungsmaterial für Bühnenbauer und Theaterregisseure anderswo, vor allem aber: gut für den Autoren Nestroy. Je bekannter und beliebter sein Stück, desto größer der Gewinn. Aber lassen wir doch das „Bureau der Theaterzeitung“ selbst zu Wort kommen.

Mit schwarzen Bildern oder illuminiert. Werbung für die „Theatralische Bilder-Gallerie “ in der Wiener Theaterzeitung 14.10.1834.

Aus der Werbeseite mit den aufgelisteten, käuflich zu erwerbenden Kupferstiche, Wiener Theaterzeitung, 14.10.1834. Nestroys Lumpazivagabundus ist heute auch auf der Liste, die drei Hauptdarsteller „mit der höchsten Porträt-Aehnlichkeit dargestellt“.

Nur die erfolgreichsten Stücke werden berücksichtigt! „Auf diese Weise kann diese Gallerie als Costume-Buch aus allen Zeiten und für alle Nationen gelten; es kann dem Theater-Direktor, dem darstellenden Künstler, dem Decorateur, dem Maschinisten, dem Garderobier verläßliche Fingerzeige für mimische Bilder, Gruppen, Tableaux, Arrangirung, Costumirung etc. bieten. Den Bühnen, welche die neuesten Stücke des deutschen Repertoirs zur Darstellung bringen wollen, wird das Schwierigste daraus bildlich dargestellt.  Besonders werden die zahlreichen Theaterfreunde Deutschlands dieses Werk willkommen heißen; alles was ihnen auf den sämmtlichen Bühnen lieb geworden, wird hier zur Anschauung gebracht. Es wird der Schauspielfreund nicht mehr bedauern, daß ihm ein effektvoller Moment zu schnell hingeschwunden. Das, was am meisten gefallen hat, wird hier, wenn auch der Eindruck längst vorüber, durch Zeichner und Kupferstecher festgehalten.“

Ja, mit modernster Technik kann der Augenblick festgehalten, der entscheidende Moment fixiert werden. Theater zum Mitnehmen. Sogar im Abo. Interessiert? „Auch alle Buchhandlungen in ganz Deutschland nehmen auf dieses Bilder-Magazin Pränumeration an.“

Und noch was: Die Musik zum Stück von Herrn Kapellmeister Müller zum Nachspielen und Selbstsingen gibt es auch zu kaufen. Gesangsnummern, Schlager, Gassenhauer. Da machen wir keine halben Sachen. „Vollständiger Klavierauszug mit beigelegtem vollständigem Gesang-Texte“. Voll wie Knieriem im Rausch des Lottogewinns.

Stockfleckige Originalmusik vom Kapellmeister.

Demnächst in diesem Theater

Langsam nimmt die Geschichte Fahrt auf.
Wir erinnern uns: 1480 rettet eine schlaue Wirtin ihre Tugend vor drei Bummelstudenten. Dann kam Uhland. Seine Wirtstochter wird schon ziemlich erfolgreich, endet aber als Postkartenmotiv für Rheinweintrinker, kurz vor dem 1. Weltkrieg.

Ist es anders geworden bei Nestroy? Hier ist alles beisammen. Drei liederliche Handswerksburschen. Lug und Trug in der Liebe, Schadenfreude. Ein erfolgreiches Theaterstück, gespielt auf Österreichs Bühnen, unter tosendem Beifall, ausverkauften Häusern. In Farbe in den Magazinen der Welt. Die Kasse klingelt.

Da kann man doch richtig viel draus machen. Haben da vielleicht die drei zerlumpten Heidgänger was mit zu tun?
Und die Weltliteratur? Kann warten.

Drei Handwerker – drei Monarchen. Jetzt in der Lüneburger Heide.

Fortsetzung folgt.


Verwendete Literatur

Nestroy, Johann: Der böse Geist Lumpacivagabundus, oder: Das liederliche Kleeblatt. Wien, 1835, S. 82-84. Link zum deutschen Textarchiv.

Pocci, Franz von: Lustiges Komödienbüchlein. Bd. 5. München, 1875, S. 158. Link zum deutschen Textarchiv.

Abbildungsnachweise

Das liederliche Kleeblatt: Der böse Geist Lumpacivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt von Johann Christian Schoeller (Künstler/in) – Austria – CC BY-NC-SA. Link zu Europaeana.

Der Lottogewinn: Der böse Geist Lumpacivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt von Johann Christian Schoeller (Künstler/in) – Austria – CC BY-NC-SA. Link zu Europaeana.

Wiener Theater-Zeitung (Bäuerles Theaterzeitung). 14.Oktober 1834, S. 822. Link zur Österreichischen Nationalbibliothek. Public Domain. Nachnutzung erlaubt.

Adolf Müller: Lumpacivagabundus: Originalposse mit Musik und Gesang von Nestroy. Von Müller, s.l., ca. 1840. Link zur Bayerischen Staatsbibliothek. Kein Urheberschutz. Nur nicht-kommerzielle Nutzung erlaubt.

Hermann Löns: Grün ist die Heide. Eine Auswahl von 25 der besten Novellen, Hannover 1932, S. 221. Eigenes Archiv.