Wenn ein Fan schreibt, wird bestimmt keine Weltliteratur produziert. Dafür Broschüren und Scharteken. Es geht um das Gefühl im Moment, ohne Worte. Versteckt in Anekdoten und Erinnerungen, in Listen und Zeittafeln, als fotokopiertes Heft oder in dicken Wälzern.
Wir folgen vier Fans, die den Beatles begegnen und denen, die mit ihnen zu tun haben. Die es wissen wollen: Wie war das damals? Die eigentlich schon ziemlich genau wissen, wie es damals war. Und die entdecken: Sie wissen gar nichts.
Denn es geht vor allem darum: Nicht reden. Es fühlen. Der richtige Augenblick. Dabei sein. Der Spaß. Der eine entscheidende Moment.
Sprachlosigkeit, Gefühl und Moment
1. The Day John met Paul
Bono, Leadsänger der Band U2, ist Beatles-Fan. Er bekommt, wovon jeder Fan träumt. McCartney holt ihn mit dem Auto am Flughafen ab und gibt ihm eine Sightseeing-Tour durch sein Liverpool. 2022 erzählt Bono endlich davon, in seiner Autobiographie „Surrender“.
Ein roter Range Rover. Es geht los am John Lennon Airport Liverpool. Schon bald lenkt Paul den Range Rover in Richtung der guten und weniger guten Stadtviertel, in denen er und die drei anderen aufgewachsen sind.
Paul zeigt vom Auto aus auf einen Kiosk. Hier habe er John Lennon zum ersten Mal getroffen. Bono protestiert. Jeder, und zwar wirklich jeder Beatles-Fan weiß über The Day John met Paul Bescheid. Das war doch bei dieser Kirchweih, wo John mit seiner Band aufspielte. St. Peter’s Church, Woolton, Liverpool. 6. Juli 1957. Paul kommt vorbei und gibt ein bisschen mit seinen Gitarrenkünsten an. Er kann den Text von Twenty Flight Rock (Eddie Cochran) und Be-Bop-A-Lula (Gene Vincent), John und seine Kumpel nicht. Das macht dann schwer Eindruck. Und John entscheidet sich, Paul lieber schnell in seine Band aufzunehmen. Besser, der spielt bei uns als bei der Konkurrenz.
Bono erklärt Paul das lieber noch mal. Er kennt sich schließlich aus. Wie jeder echte Fan weiß er es besser als die Leute, die dabei waren.
“But I thought your first conversation with John was when he was in the Quarrymen and they played at that fete in St. Peter’s Church.”
Paul looks at me with, I feel, some respect.
“Yeah, that’s true,” he says, smiling. “But I’m talking real, insightful stuff, not just ‘What sort of guitar do you use?’ or ‘What sort of tunes are you listening to?”
“Insightful? How do you mean?”
“Well, John bought a bar of chocolate, Cadbury’s chocolate, and when he came out of the newsagent’s he broke it in half. Gave me one half. I was amazed because, you know, back then, chocolate was really something. Most boys would break off a little square, but John gave me half his bar.”
Bono: Surrender. 40 Songs, One Story, S. 472
So geht das. In einem Kiosk. Inmitten von Broschüren, Illustrierten, Heftchen und Zeitungen. Da liegen auch die Schokotafeln. Milk bars, Schluckersachen, Süßes. Chocolate was really something. Viel wichtiger als ein paar Gitarrenläufe.
Wortlos. Eine halbe Tafel Schokolade, brüderlich geteilt. Was gibt es da noch zu besprechen? Most boys would break off a little square. Wir machen halbe-halbe. Schokolade als Eisbrecher. Der Beginn einer Freundschaft.
Bono, für immer Fan, ist fassungslos.
In an instant it was clear to me that the greatest collaboration in the history of popular culture started with a fifty-fifty deal on a bar of chocolate. Lennon and McCartney. Born over a bar of Cadbury’s chocolate.
Bono: Surrender. 40 Songs, One Story, S. 472
2. Georg bei der Arbeit
Mark Lewisohn ist Fan. The chosen one. Er war der erste, der sich 1987 alle in den Londoner Abbey-Road-Studios eingelagerten Originalaufnahmen der Beatles anhören durfte. Aus seinen Notizen macht er ein Buch, The Complete Beatles Recording Sessions, listet alles schön der Reihe nach auf. Zum Nachschlagen. Zum Nacherleben. Und damit das ganze nicht zu trocken wird, lockert er die Chronik durch Interviews mit dem Studiopersonal auf.
Aus den Erinnerungen des Sound Engineers Jeff Jaratt. Es geht um die Aufnahmesession zu dem Beatles-Song „I want you (She‘s so heavy)“, der später auf ihrem Album „Abbey Road“ erscheinen wird. Es ist der 18. April 1969. Jeff schiebt die Mikrofone hin und her, bis der Sound passt. Er mag keine Störgeräusche, filtert das Brummen raus, stellt das Knistern ab.
Jeff bittet Georg Harrison, die Lautstärke seiner Gitarre anzupassen. Wegen der Störgeräusche. „I was getting a bit of pick-up so I asked Georg to turn it down a little. He looked at me and said, drily, ‚You don’t talk to a beatle like that‘.“
Beim Musizieren auf Beatles-Art, so lernen wir hier, geht es eher nicht um das Sprechen. Wohl mehr darum, wer überhaupt etwas sagen darf. Lieber den Mund halten. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Helden bei der Arbeit, bitte nicht stören. Halt dich da raus. Nicht labern, machen. Und das hier gerade mache ich. You don’t talk to a Beatle like that. Merk dir das. Ob der Sound stimmt oder nicht, bestimme ich. Was gibt es da überhaupt zu reden?
3. Eine Kassette für Ringo
Allan Kozinn ist Fan. Musikjournalist in New York, für die New York Times. Schwerpunkt Klassische Musik. Und die Beatles. Über sie schreibt er am liebsten in Broschüren, er ist nämlich contributing editor des Fanzines Beatlefan.
Reporter Allan Kozinn trifft Ringo Starr zum Interview in Hotel Carlyle in New York City. Es ist der 3. April 1992. Ringo ist auf Promotion-Tour für die zweite Auflage seiner Tour mit der All Starr Band, ein neues Album hat er auch im Gepäck: „Time takes time“. Darüber will Kozinn aber gar nicht mit ihm reden. Im Beatlefan wird das Interview geheimnisvoll eingeleitet: „Kozinn brought along a tape from the collectors‘ circuit that he thought Starr might be interested in.“
Eine Fehleinschätzung, denn Ringo ist alles andere als interessiert. Kozinn will ihn zurück in die Zeit führen, als die Beatles eine lokale Attraktion in Liverpool waren. Damals hieß es noch: Pete Best gegen Ringo. Wer sitzt hinter den Drums bei den Beatles? 1962 findet ein Drummerwechsel statt. Pete Best ist plötzlich nicht mehr gut genug. Das kommt bei den ersten Plattenaufnahmen heraus. Ersatz muss her, Ringo ersetzt Pete. Lange her.
Aber Ringo stellt die richtigen Fragen. Die auch Kozinn auf den Nägeln brennen. Die er aber nicht frei heraus stellen mag. Zu höflich. Zu sehr Fan.
Then there’s another thing. You may be aware, there’s a tape floating around that puports to be a 1962 Cavern Club rehearsal?
No, I’m not aware of that one. Is it?
I can’t say if it’s Cavern Club.
Is it us?
Its you, and it’s live. There’s no audience. It’s a rehearsal.
I don’t remember us rehearsing at the Cavern too much. We’d get on, play and get off. It could be any club. Am I in the band?
That’s the question.
If the drumming’s all [he imitates Pete Pest’s drumming style], that’s Pete Best. If it’s cool, it’s me.
Talking with Ringo. In: Beatlefan Vol. 13 No. 6, page 19 (1991)
Wer sitzt an den Drums? Ringo gibt seine Hinweise akustisch. Keine Worte, nur Klänge. Imitationen von Klägen, he imitates Pete Pest’s drumming style.
Wer sitzt an den Drums? Coolness ist das Entscheidungskriterium. Nicht mehr, nicht weniger. Was macht die Beatles aus? Woran kann man sie erkennen? Sag, wie habt ihr das gemacht? If it’s cool, it’s me. Wow!
Den Wow-Effekt gibt es nur bei Fans wie mir. Oder Alan Kozinn. Bei Ringo nicht. Ein seltenes, altes Tonband, aus der ganz frühen Zeit der Beatles, vor der Beatlemania. There’s a tape floating around. Wow! Wow? Fehlanzeige. Keine Begeisterung. Wer hat wann wo gespielt, mit Publikum oder ohne, läuft ein Tonband mit oder nicht? Wen kümmert’s, mich nicht. Das sind eher so Fragen für Fans. Und Sammler. Und Listenmacher. Nicht für Ringo.
Allan Kozinn lässt nicht locker. Er hat einen Kassettenrekorder dabei. Das bringt’s. Endlich begeistert sich auch Ringo, wippt mit, steigt ein in den Beat.
Ein paar Worte vorweg: Echte Fans müssen jetzt stark sein. 1. Ringo kann sich die Titel der Beatles-Alben nicht merken. Warum auch. Wer bei der Aufnahme dabei war, braucht nicht umständlich die Umstände zu rekonstruieren. 2. Er weiß tatsächlich nicht, wann er zu welchen Songs getrommelt hat.
Wie heißt das letzte Beatles-Album? „Let it be“, nicht „Long and Winding“. Wann haben die Beatles den Song „One After 909“ das erste Mal aufgenommen? 1963, nicht 1969.
Weiß jeder Fan. Ringo nicht. Kann sein, kann auch nicht sein. Mir egal. War da was? In einer Quiz-Show würde Ringo gleich in der ersten Runde rausfliegen.
Aber Hören hilft Ringos Gedächtnis auf die Sprünge.
Here, I’ll play it for you. There’s a version of „I Saw Her Standing There“ with John playing harmonica. Does that ring a bell?
Oh yeah. You should have seen the way we used to play those tracks. „Please Please Me“ I used to play with a tambourine in one hand, a maracca in the other. Georg Martin freaked out.
The other things on in it are two versions of „One After 909“ and two versions „Catswalk“, an instrumental.
You see, „The One After 909“ I don’t think I ever played until – not „Abbey Road“, the „Long and Winding“ [sic: „Let in be“].
Well you recorded it in 63. [Plays tape: After 10 seconds – during the line „and you know what I mean“ – Starr says:]
It’s me.
I’ll leave it with you. You can listen at your leisure.
Just wind to another track. And a bit more treble on the equalizer …
[Fast forward to „One After 909“] Does it still sound like you?
Yeah. Sounds black. My drums always sound black in these records.
Do you have any recollection of doing this?
No.
[At this point, Starr’s lunch was due to arrive, so the interview wound up.]
Talking with Ringo. In: Beatlefan Vol. 13 No. 6, page 19 (1991)
Keine Erinnerung, you should have seen, klar kann man es auch hören: It’s me, aber a bit more treble on the equalizer, sonst mag ich das nicht mehr hören, immer diese alten Kamellen. You should have seen, da muss man dabei gewesen sein, da kann man nicht drüber reden. Gibt doch nur endloses Geschwafel. Auflistungen, Übersichten, Datenwust. Fan-Blabla. Wie war das nochmal im Cavern? Weiß ich nicht.
Du hättest dabei sein müssen, ich war dabei, ich brauche keine Kassette, just wind to another track, daran habe ich keine Erinnerung, warum auch bei all den anderen Erinnerungen aus der Zeit der Beatlemania: Ed Sullivan, New York, die US-Tour, Filmen auf den Bahamas und in den Alpen für „Help“, Sgt. Pepper, Fotosession in Fantasieuniformen für das Cover, Get Back, Abbey Road, war da was im Cavern? Lief da ein Tonband mit? Egal. If it’s cool it’s me. Wo war ich da? Weiß ich nicht. Warum auch? It could be any club. We’d get on, play and get off. Wir haben einfach nur gespielt. Mach Schau. Mucke gemacht. Hauptsache es kommt an. Wenn’s gut läuft, bringen wir den Keller zum Kochen. Oder sonst einen Club. Der Funke muss überspringen. Die Leute wippen mit, tanzen, machen einen drauf. Freak out. Alkohol fließt. Genussmittelkonsum in Spelunken. Kellerbars. Irgendso ein Club. Hinten spielt die Band. We’d get on, play and get off. Mal klappt’s, mal geht der Saal durch die Decke, dann wieder nur lahm oder so lala. It could be any club.
Hier kommt es nur auf eins an: If it’s cool, it’s me.
Und dann kommt das Mittagessen. At this point, Starr’s lunch was due to arrive.
4. Still a fan
Ich bin auch Fan, so wie Bono, Mark Lewisohn und Allan Kozinn.
Und ich habe auch einen Moment. Ihr wisst schon: Den Tag in London, am Tag nach dem Tag in Hamburg. Soho Square. Der 19. September 1991. Als die Passantin ruft: „My hero!“
Mit dem Autogrammzettel in der Hand erzähle ich Paul nämlich noch schnell, dass ich auf der Pressekonferenz gestern war. „Yes, it was good fun“, sagt er. „Yes, it was good fun“, denke ich.
Yes, it was good fun, das wiederhole ich am Ende meines Erlebnisbericht für Beatles Beat. In den habe ich das unverhoffte Wiedersehen am nächsten Tag in London nämlich eingebaut. Und ich weiß nicht, wie ich aufhören soll. Noch immer sprachlos, meine Erinnerung gefangen in der Dauerschleife.
Also ende ich mit einem Zitat, lasse mein Idol zusammenfassen, was da passiert ist. Yes, it was good fun.
Na ja, eigentlich habe ich sogar zwei Momente.
Wir verlassen das Zeitalter der Kassetten. Fast forward ins Jahr 2009. Internet. World Wide Web. Vernetzt mit allen und jedem, egal wo Du bist. Live-Streaming gibt es schon, es heißt aber noch „Webcast“. Broadcast im Web, verstehst Du? Ein Wort für Leute, die lineares Radio und Fernsehen gewöhnt sind.
Ich schaue schon Webcasts. Meine Fan-Tipps hole ich mir auf den zahlreichen Fan-Blogs, Fanzines lese ich schon lange nicht mehr. Frank und ich haben schon lange keinen Kontakt mehr. Während des Studiums ist mir immer weniger Zeit für Fachsimpeleien über die Beatles geblieben.
Es ist der 15. Juli 2009. Ich sitze bei der Arbeit im Homeoffice, bin mit meinem Rechner weltweit vernetzt. In einer Pause lese ich in einem Blog, dass McCartney gerade jetzt in der „Late Show with David Letterman“ im US-amerikanischen Fernsehen auftritt und dort einige Songs live spielen wird. Das komplette Konzert mit sieben Songs gibt es aber nur exklusiv über die Internetseite der „Late Show“ in einem weltweit frei empfangbaren Webcast.
Ein raffinierter Schachzug von Paul. Er tritt in der „Late Show with David Letterman“ auf, um auf den Beginn seiner US-Sommer-Tour zwei Tage später hinzuweisen. Und damit nicht genug: Pauls Auftritt folgt dem vertrauten Get-Back-Muster.
Erstens: Paul spielt im Ed-Sullivan-Theatre am Broadway in New York. Genau, eben da, wo die US-Karriere der Beatles begann, im Februar 1964, als sie sich mit drei Auftritten bei Ed Sullivan in die Herzen der gesamten US-amerikanischen Fernsehöffentlichkeit spielten. Get Back to Beatlemania.
Zweitens: Paul spielt seine Songs auf dem Dach des Ed Sullivan Theatre (genauer gesagt: auf der Markise über dem Eingang). Passanten sammeln sich in großer Zahl und genießen das Freiluftkonzert. Wir sind mitten in den office hours. So wie damals beim letzten Konzert der Beatles im kalten Januar 1969, als sie auf dem Dach des Apple-Bürogebäudes in der Saville Row in London den Song „Get Back“ und vier weitere Titel aus ihrem gleichnamigen Albumprojekt zum Besten gaben. Damals wie jetzt sind Filmkameras dabei. Get Back to Get Back.
Eigentlich auch genauso wie damals in Hamburg 1991. Ein geschichtsträchtiger Ort als Schauplatz für Promotion und Medienrummel. Schmidt’s Tivoli, Zillertal, Reeperbahn. Ed Sullivan Theatre, Broadway. Zurück zu den historischen Stätten. Die alten Songs. Spiel’s noch einmal, Paul. Nur Hits. Wer will da jetzt nicht dabei sein?
Ich bin dabei. Jetzt nicht mehr mit Schlangestehen, Einlasskontrolle und exklusiver Pressekonferenz. Einfach so, zuhause am PC. Live in New York. Direkt am Broadway. Und das, ohne meine Heimatstadt zu verlassen. Es ist ja 2009, nicht mehr 1991.
Rechts neben dem Webcast läuft eine Chatleiste mit. Fans, die meisten aus den USA, schreiben, wie begeistert sie sind. Boston, Seattle. What a treat. Chatbeiträge halt. Und dann das. Auf einmal taucht doch tatsächlich Frank, mein Freund aus Hamburg, wirklich zufällig in der Chatleiste auf.
Frank ist aufgeregt. Oder ihm spielt die Technik einen Streich. Jedenfalls gibt er seinen Kommentar gleich zweimal ab. „Still a fan – and will always be“.
Geistesgegenwärtig mache ich einen Screenshot. Mehr geht nicht. Mir fehlen die Worte. Zu viel Gefühl. What a man! Unfassbar, dass ich dabei sein darf. Paul, Frank. Und ich. Global vernetzt für ein Konzert.
Der Webcast ist vorbei, mir bleibt der Screenshot. Zur Erinnerung. Memorabilia für den Fan. Still a fan – and will always be.
Stammtischgeschwafel
Habe ich nie versucht, mit der Hamburger Pressekonferenz Eindruck zu schinden? Na ja, einmal schon, gleich ein paar Monate später. Einmal und nie wieder.
Im Oktober 1991 beginne ich mit dem Studium an der Universität Bonn. Latein und Deutsch auf Lehramt. Unfassbar viele Leute. Keiner hilft. Orientierungslos, ahnungslos. Ich habe keinen Plan. In Latein finden wir uns als kleine Gruppe von Studienanfängern zusammen, jeden Montag treffen wir uns zum Stammtisch in der bekannten und beliebten Studentenkneipe Zebulon. Bei frisch gezapftem Bier lässt sich all das in Ruhe besprechen, womit wir nicht klar kommen. Und das ist eine Menge. Im Hintergrund läuft U2, der Soundtrack meiner ersten Studienjahre, Achtung Baby, Bono singt.
Hier, in überschaubarem Rahmen, vor neuen Bekannten, wage ich, von meinen Gesprächen mit Ex-Beatle Paul zu berichten. Ein bisschen angeben wird ja wohl erlaubt sein. Denkste. Dummerweise versuche ich, dem ganzen zusätzlich Kolorit zu geben, indem ich die Zufallsbegegnung am Soho Square, einen Tag nach der Hamburger Pressekonferenz, in authentischem Original-Englisch referiere. So was kann, umnebelt von Studentenkneipen-Bierdunst, ja nur schiefgehen.
Gesagt: „I was there at the press-conference yesterday, but you probably don’t remember me“. Verstanden: „Paul, do you remember me?“ Ergebnis: Ich stehe als Lachnummer da, die den einen Moment, die Begegnung mit dem Weltstar, planlos stammelnd versemmelt.
Nichts zu machen. Da bleibe ich doch lieber Fan. Sprachlos und von allen vergessen.
Nachschrift: Die Rupert-Sache
Ach ja. Was habe ich eigentlich damals gefragt, auf der Pressekonferenz im Schmidts Tivoli im September 1991? Welche eine Frage konnte ich an den Mann bringen? Glücklicherweise ist das dokumentiert im Fanzine Beatles Beat. Schwarz auf weiß. Von Fans für Fans transskribiert. Notiert. Gesammelt. Archiviert.
PRESSE: Paul, nachdem „Get Back“ der Film nun fertiggestellt ist, was sind Deine zukünftigen Filmpläne, z.B. „Rupert The Bear“, ein Zeichentrickfilm und „The Long and Winding Road“, die Beatles-Dokumentation?
PAUL: Was die Rupert-Sache betrifft, habe ich da keinerlei weitere Pläne und „The Long and Winding Road“ ist ein zusammengestellter Beatles-Film, wie die „Story der Beatles“, an dem wir schon eine lange Zeit versuchen zu arbeiten, um vielleicht mal unsere Seite der Geschichte darzustellen.
Die Pressekonferenz. Beatles Beat 35/36 (1991)
Moment mal. Unsere Seite der Geschichte? Wir arbeiten dran? „Story der Beatles?“ Schlappe vier Jahre später erscheint die „Beatles-Anthology“ als großes Multimediaprojekt mit dreiteiliger Fernsehdokumentation, sechs CDs voller unveröffentlichter Aufnahmen und acht Videokassetten mit 600 Minuten Laufzeit. In der Filmdoku wechseln sich Interview-Passagen mit historischen Filmausschnitten ab. Die ganze Geschichte der Beatles wird haarklein erzählt. Als zusammengestellter Film. Und als unsere Seite der Geschichte.
War das nicht genau das, wonach ich gefragt hatte? Hatte mir Paul nicht genau das geantwortet?
Mir, dem kleinen Fan aus dem Ruhrgebiet, da wo die Autobahnen sich kreuzen? Aufgewachsen im Schatten des zweitältesten Kleeblatt-Kreuz in Deutschland?
Visionär. Man muss nur die richtigen Fragen stellen. Aber leider unbeachtet. Links liegen gelassen. Vergessen und übergangen. Nicht wichtig. Randnotiz der Musikgeschichte. Versteckt in einer Broschüre, einem kleinen Heftchen, DIN A5. Mitteilungsblatt für Musikfreunde. Für Fans. Aber wenigstens die haben es schon lange vorher gewusst, treu gewartet, brav gehofft und sich schließlich endlich unbändig gefreut.
Es gefühlt. Sprachlos. Sie sind ja für immer Fan.
Verwendete Literatur
Jan Follak: Paul in Hamburg. Mittwoch, 18. September 1991. In: Beatles Beat 35/36 (1991), S. 11-16.
Petra Zeitz/ Sandra Langer: Die Pressekonferenz. In: Beatles Beat 35/36 (1991), 16-21.
Jan Follak: Get Back – Der Film. In: Beatles Beat 35/36 (1991), 21-25.
Bono: Surrender. 40 Songs, One Story, New York NY 2022, S. 471-472.
Mark Lewisohn: The Complete Beatles Recording Sessions: The Official Story of the Abbey Road years 1962-1970, London 1988, S. 191.
Allan Kozinn: Talking With Ringo. An Exclusive Interview About His New Album And Tour. In: Beatlefan Vol. 13, No. 6 (1991), p. 16-19.
Abbildungsverzeichnis
CD „The Beatles – The Cavern Club Rehearsals“. Sammlung des Autors. Eigenes Foto.
Webcast „Paul McCartney on The Late Show with David Letterman“, 15. Juli 2009. Zeitgenössischer Screenshot des Chatverlaufs (Ausschnitt). Eigenes Archiv.
Heft „Beatles Beat Nr. 35/36, September/November 1991“. Eigenes Archiv.