Scherze in der Badewanne (Knallbunte Comics 1)


Inhaltsverzeichnis

1. Florida-Urlaub 1982

2. Comics in den USA: Ostereierfarben in der Badewanne

3. Münchener Bilderbogen, Der gestiefelte Kater: Das Bad im See

4. Comics und Weltliteratur

5. Wiederholung, Variation, Serie

Verwendete Literatur
Abbildungsverzeichnis

Florida-Urlaub 1982

April 1982. Meine Eltern haben entschieden, dass wir unseren Osterurlaub in Florida verbringen. Für die Fahrt habe ich eigene Pläne.

Ich bin großer Disney-Fan. Jede Woche lese ich die deutsche „Micky Maus“-Heftreihe. Und ich bin stolzer Besitzer der Disney-Biographie von Reinhold Reitberger, bei rowohlt erschienen. Immer wieder lese ich darin, wie Disney mit ein paar Mitstreitern versucht, erfolgreich Trickfilme zu produzieren. Von den vielen Rückschlägen zu Beginn. Wie Micky Maus aus der Verlegenheit entsteht, schnell eine neue eigene Figur zur Verfügung haben, nachdem die Rechte für „Oswald, the Lucky Rabbit“ verloren gegangen sind. Wie Disney den Tonfilm und kurze Zeit später das Technicolorverfahren nutzt, um mit Hilfe des technischen Fortschritts die besten Trickfilme zu produzieren. Von den bahnbrechenden Langfilmen: Schneewittchen, Pinocchio, Bambi, Dumbo. Dass Disney in den fünfziger Jahren das Interesse am Trickfilm verliert und stattdessen lieber Freizeitparks plant. Einen gigantischen immerwährenden Jahrmarkt, Abenteuerspielplätze für die ganze Familie, rund um die Figuren aus dem Disney-Kosmos. Und wie bei den Trickfilmen kommt auch hier die neueste Technik zum Einsatz, um eine möglichst perfekte Illusion zu erzeugen.

Comics in den USA: Ostereierfarben in der Badewanne

Wir besuchen Disney World in Orlando, Florida. Das beeindruckt mich stark. Und ich mache mich auf die Suche nach Comicheften. Das wird schon schwieriger.

1982 gibt es in Deutschland schon Fanzines für Comicleser, darin habe ich gelesen, dass es nicht leicht sein wird, Disney-Comics zu finden. Sie erscheinen im Whitman-Verlag und werden auf abenteuerlichen Kanälen verkauft; „sämtliche Serien werden vom Kiosk und den anderen Verkaufsstellen verschwinden. Whitman vertreibt seine Hefte ausschließlich nur noch in Plastic Bags (drei Stück für einen Dollar) in Supermärkten und Ladenketten“ (Comixene 29, März/ April 1980). Dreierpacks in Tüten. Wo gibt es denn sowas? Erst in einer Shopping Mall, in einem kleinen Spielzeugladen werden wir fündig. Dort entdecken wir einen Drehständer mit eingetüteten Comics. Kein Vergleich zu den deutschen Heften. Auf billigem Papier gedruckt, wenig attraktive Geschichten. Ich freue mich trotzdem.

US-amerikanische Disney-Comics in Tüten. Aufgehoben seit 1982.

Jetzt fehlen noch die Sonntagsseiten. US-amerikanischen Zeitungen liegt sonntags immer ein Comic Supplement bei, knallbunte Comics mit ganz verschiedenen Helden. Als solche Sonntagsbeilage sind die Comics, wie wir sie heute kennen, um 1900 entstanden, zuerst in New York, dann von dort aus in den ganzen USA weiterverbreitet. Eine Art modernisierte Witzbeilage für Zeitungen. In hell leuchtenden Farben, nach modernster Technik gedruckt. Mit ganzseitigen Abenteuern von aufmüpfigen Kindern (Katzenjammer Kids), Herumtreibern (Happy Hooligan), aufdringlich höflichen Franzosen (Alphonse and Gaston) oder träumenden kleinen Jungen im Nachthemd (Little Nemo in Slumberland). Ein Grund mehr, das Geld für das Blatt zu investieren: Etwas zu lachen, zu gucken und zu staunen. Alles inklusive beim Kauf der Sonntagszeitung.

Comic Supplements gibt es immer noch, das habe ich in den deutschen Fanzines gelesen. Eine ganze Seite bekommt allerdings keine Serie mehr. Sie sind, je nach Popularität, zu vier bis zwei Streifen angeordnet. Deswegen heißen sie ja auch Comicstrips.

Zeitungen überhaupt zu finden gestaltet sich, wer hätte das gedacht, zur größten Herausforderung. Schließlich finden wir heraus, dass man dafür Aufsteller am Straßenrand suchen muss. Man wirft ein paar Cent in einen Schlitz, dann nimmt man sich eine Zeitung aus dem Kasten. Seltsam. In den Osterferien 1982 ergattere ich nur an einem einzigen Sonntag ein Comic-Supplement: Die Sunday Parade vom 11. April 1982, in der „The Florida Times-Union“, zusammengelegt mit dem „Jacksonville Journal“.

Sonntagsseitensammlung 1982-1998. Unterschiedlich vergilbt.

Die Farben begeistern mich. Und die vielen Serien. Donald Duck ist natürlich dabei, aber auch die Peanuts und Blondie. Blondie ist der Aufmacher, ganz oben auf der ersten von zehn Seiten. Blondie und ihr Mann Dagwood Bumstead sind ein Vorzeigepaar in einer US-amerikanischen Vorstadt. Sie haben ein schönes Haus, Blondie ist eine vorbildliche Hausfrau, der etwas unbeholfene Dagwood verdient brav das Geld. Der Blondie-Comic, den ich am 11. April 1982 zu lesen bekomme, führt mich direkt in die Welt der groben Streiche, für die die Comic Supplements seit ihrer Entstehung bekannt sind.

Es beginnt harmlos mit zwei Nachbarjungs, die Blondie und Dagwood ihren Osterkorb zeigen möchten. Blondie schickt sie nach oben, wo Dagwood ein Bad nimmt. Der ist gerade gemütlich eingeschlafen. Das weckt die anarchische Fantasie der beiden Halbwüchsigen: „Gimme that extra package of easter egg dye you have!“ Im Korb liegen auch Eierfarben. Was passiert, wenn man die in der Badewanne auflöst? Das probieren wir mal aus! „Wow! Lookit that yellow .. and the blue!“ Die beiden Jungs ziehen zufrieden von dannen. Irgendwann wacht Dagwood auf, von Kopf bis Fuß in Lila eingefärbt. Er hat nichts mitgekriegt. Wie ist das denn nur passiert? Haha! Der Comicstrip endet mit einer großen Portion Schadenfreude.

Münchener Bilderbogen, Der gestiefelte Kater. Das Bad im See

Meine Sonntagsseite von 1982 ist mittlerweile stark vergilbt. Klar, die Zeitung von gestern wandert ins Altpapier, heute gibt es ja schon wieder eine neue. Vielleicht wird noch Gemüse drin eingewickelt. Jedenfalls erscheint nächsten Sonntag wieder eine farbige Comicbeilage. Da muss es nun wirklich nicht das beste Papier sein. Hauptsache die Farben leuchten am heutigen Sonntag.

Es gibt Ähnlichkeiten zu den Münchener Bilderbögen aus dem 19. Jahrhundert. Auch hier ist das Papier nicht das beste, selbst wenn mit viel Aufwand gezeichnet wird und beim Druck die aktuelle Holzstichtechnik zum Einsatz kommt. Bilderbögen gibt es in schwarzweiß und in Farbe, je nach Geldbeutel. Und: Hier gehören die Stoffe der Weltliteratur zu den Themen dazu: Sagen, Märchen, Wilhelm Tell. Die Bilderbögen könnten ein missing link sein. Gibt es eine Brücke zwischen Comics und Weltliteratur? Können Comics Weltliteratur sein?

Schauen wir mal genauer hin. Der Münchener Bilderbogen Nr. 48 erscheint 1850 in erster Auflage, ist von Moritz von Schwind gestaltet und illustriert das bekannte Märchen „Der gestiefelte Kater“. Ihn gibt es auch in einer Farbfassung, leuchtend bunt.

Die Gebrüder Grimm haben den „gestiefelten Kater“ 1812 in die erste Fassung ihrer Kinder- und Hausmärchen aufgenommen. In späteren Auflagen fehlt er, vermutlich, weil das Märchen zu nah an der französischen Vorlage von Charles Perrault aus dem Jahre 1697 formuliert ist. Es gibt noch eine dramatische Fassung, die Ludwig Tieck 1797 veröffentlicht. Vielleicht bezieht sich von Schwinds Darstellung darauf.

Handexemplar der Gebrüder Grimm zum „gestiefelten Kater“. Textergänzungen handschriftlich nachgetragen. Mit Hashtag. Sie werden nie verwendet.

Schwinds Bilderbogen zum „gestiefelten Kater“ ist fast wie ein Comic aufgebaut, mit einzelnen Szenen, die teilweise extra gerahmt und voneinander abgesetzt sind, manchmal aber auch ineinander übergehen. Und wie im Blondie-Comicstrip von 1982 spielt ein Bad, diesmal in einem See, eine ganz zentrale Rolle.

Aber eins nach dem anderen.

Die oberste Bildreihe zeigt in umgekehrter Reihenfolge die ersten Taten des gestiefelten Katers. Wie im Manga.

Szene 1-3. Leserichtung wie beim Manga.

1. Ganz rechts: Der jüngste Müllersohn ist traurig, dass er von seinem Vater nur einen sprechenden Kater erbt und auf die Mühle verzichten muss. Der Kater verspricht, sich nützlich zu machen. Im Bild sind der traurige Müllersohn, der tröstende Kater und ein Mühlrad im Hintergrund zu sehen.

2. Mittig: Der Kater lässt sich Stiefel wie ein Mensch anmessen.

3. Ganz links: Der bestiefelte Kater fängt ein Kaninchen, indem er Körner in einem Sack versteckt und ihn zuzieht. Anders als im Bild werden im Grimmschen Märchen zwar scheue Rebhühner gefangen. Die Kaninchen als Beute finden sich aber in der französischen Märchenfassung. Und in Tiecks Drama von 1797, wo der Kater fröhlich von seinen Jagderfolgen berichtet: „Ich bin der Jagd ganz gewohnt worden, alle Tage fang‘ ich Rebhühner, Kaninchen und dergleichen, und die lieben Tiere kommen auch immer mehr in die Übung, sich fangen zu lassen.“

Ebenfalls oben auf dem Bilderbogen, in einem eigenen Bildrahmen abgesetzt, wird die vierte Etappe der Vorgeschichte dargestellt.

Szene 4.

4. Der Kater bringt dem König seine Beute. Er behauptet, der Müllersohn sei ein Graf und habe sie für den König gefangen. Er bringt immer wieder Jagdbeute, erhält dafür Gold und geht im Schloss ein und aus. Das Bild zeigt, wie der Kater ein Kaninchen präsentiert. Er und sein Gesprächspartner, der König mit Szepter, werden gerahmt von einem Hofnarren und der sittsam Wolle spinnenden Tochter des Hauses.

Die Mitte des Bilderbogens hat zum Thema, wie es dem Kater gelingt, den Müllersohn gegenüber dem König und seiner Tochter als reichen Grafen zu präsentieren. Das läuft in drei Bildern ab.

Szene 5.

5. Der Kater erfährt, dass der König mit seiner Tochter eine Ausflugsfahrt plant. Das Bild zeigt, wie König und Königstochter mit Kutsche und Gefolge unterwegs sind.

Szene 6.

6. Der Kater begibt sich in das Land des großen Zauberers. Bauern ernten ein Kornfeld ab, das dem großen Zauberer gehört. Sie fürchten sich vor dem Kater in Stiefeln und er kann sie überreden, das Feld als Besitz des angeblichen Grafen auszugeben. Dasselbe wiederholt er an einer Heuwiese und einem Waldstück. Wenn der König in seiner Kutsche vorbeikommt, sollen die Leute die gewünschte Auskunft geben und ihn mit den weitläufigen Besitzungen des Grafen beeindrucken: Wem gehört das alles? Dem Grafen! Das Bild zeigt, wie der Kater mit den Bauern am Kornfeld spricht. Weiter hinten Wiese und Wald.

Szene 7.

7. Der Kater befiehlt dem Müllersohn, sich „splinternackend“ (Gebrüder Grimm) auszuziehen und in einem See zu baden. Der Kater versteckt die Kleidung. Dann fängt er die Kutsche des Königs ab und behauptet, seinem Grafen seien während des Bades die Kleider gestohlen worden. Der König lässt von zuhause prächtige Kleider kommen, der angebliche Graf darf sie anziehen. Während der Fahrt verliebt sich die Königstochter in den Grafen. Das Bild zeigt den Müllersohn im See, von dem der Kater gerade die am Ufer abgelegte Kleidung wegnimmt.

Die Darstellung im Bilderbogen weicht von der Märchenchronologie ab. Dort folgt auf die Kutschfahrt des Königs das Nacktbaden im See. Erst danach spricht der Kater mit den Leuten im Land des Zauberers.

Im Bildvordergrund wird die größte Tat des Katers gezeigt, sein Sieg über den Zauberer. Er ermöglicht, den Müllersohn zum Besitzer des Schlosses zu machen, wie ganz vorne unten zu sehen ist.

Szene 8. Zwei Phasen.

8. Der Kater sucht den Zauberer in seinem Schloss auf und begrüßt ihn. Er fordert von ihm eine Probe seiner Zauberkünste. Denn angeblich kann der Zauberer sich in jedes beliebige Tier verwandeln. Der Kater wünscht sich eine Verwandlung in einen Elefanten, einen Löwen – und eine Maus. Die Maus isst der Kater kurzerhand auf. Das Bild zeigt vor einer imposanten Burgkulisse rechts vorne den Kater im Gespräch mit dem riesigen Zauberer (Phase 1), links leicht zurückgesetzt den Kater, der ihn als Maus verspeist (Phase 2).

Szene 9.

9. Müllersohn, König und Königstochter fahren weiter spazieren. Sie erfahren von den Leuten am Wegesrand, wieviel Land der Graf besitzt. Schließlich kommen sie am Schloss des Zauberers an, wo der Kater den Müllersohn als Burggrafen empfängt. Die Königstochter wird ihm zur Frau versprochen, es kommt zum großen Happyend. Das Bild zeigt, wie der Kater die drei Kutschfahrer vor dem Schlosseingang empfängt.

Außerdem gibt es eine rätselhafte Figur, die ihr Gesicht verbirgt. Gleich zweimal ist ein Mann mit breitkrempigem Hut zu sehen, der links neugierig in die Kutsche schaut und rechts hinter dem Eingangstor auf dem Treppengeländer des Schlossaufgangs steht. Steht er für das Lügengebäude, das der Kater errichtet hat? Repräsentiert er das schlechte Gewissen des Müllersohn, der zum Grafen befördert worden ist? Oder zeigt er das Staunen des Müllerburschen über die Welt der Reichen und Schönen, in die er dank seines gestiefelten Katers geraten ist?

Comics und Weltliteratur

Weltliteratur im Bilderbogen, na gut, aber Comics als Weltliteratur? Wohl eher nicht. Dafür überwiegen die Unterschiede dann doch zu sehr.

Der Bilderbogen setzt die Kenntnis des Märchens voraus, erst dann kann man die Bilder entschlüsseln. Verbunden damit ist eine pädagogisch-moralische Absicht. Das Betrachten der Bilderbogenszenen ruft mit dem Märchen die damit verbundene Botschaft auf: Mit Rafinesse und So-tun-als-ob kann man den gesellschaftlichen Aufstieg erreichen. Vorausgesetzt, man hat Vertrauen in seinen geerbten Kater.

Ganz anders der Comic. Was die Figuren Blondie und Dagwood ausmacht, versteht auch der, der zum ersten Mal ein Comic Supplement aufschlägt. Eine Vorzeigepaar aus der Vorstadt, Durchschnittstypen, die hübsche Blondie, der ungeschickte Dagwood. Und wer die beiden einmal sonntags in Aktion gesehen hat, weiß, was ihn am nächsten Wochenende erwartet, wenn sie in der nächsten bunten Zeitungsbeilage wieder mit dabei sind.

Im Bilderbogen steht das Bad im See für den Rollenwechsel, den der Müllersohn auf dem Weg zum Erfolg durchmacht. Er legt seine alten Kleider ab, die ihn als Handwerker ausweisen, und bedient sich aus der Garderobe des Königs, um mit ihrer Hilfe zum Angehörigen der sozialen Gruppe zu werden, als den der gestiefelte Kater ihn die ganze Zeit schon ausgibt.

Im Blondie-Comicstrip steht das Bad für eine Situation, in der man sich angreifbar macht. Und die wird gleich von Scherzkeksen ausgenutzt. Der schlafende Dagwood im Bade lässt die beiden Jungs aus der Nachbarschaft übermütig werden. Sie wollen das kurzfristige Vergnügen, den Spaß für den Moment. Eigentlich ganz genauso wie die Leser der Sonntagsbeilage. Lachen über den lila Dagwood, Schadenfreude, ein bisschen Spaß am Wochenende. Ist ja nur ein Comic. Und schnell wieder vergessen.

Die Veränderung, die der eingefärbte Dagwood durchmacht, ist peinlich und lächerlich. Im Gegensatz dazu das Bad des Müllersohns. Da sind die neuen Kleider, die er danach anziehen kann, eine wichtige Etappe auf dem Weg zum reichen Grafen im prachtvollen Schloss mit ertragreichen Ländereien drumherum. Und einer schönen Königstochter als zukünftiger Gattin.

Schließlich gibt uns der Bilderbogen im Gegensatz zu Blondie noch ein Rätsel mit. Was soll der Mann mit der breiten Hutkrempe? Bei Blondie und Dagwood sind die Rollen und Konflikte klar verteilt. Auch darüber, wann man einfach mal lachen darf, bestehen keine Zweifel. Schwinds Zusatzfigur scheint etwas zu verbergen zu haben. Nur was?

Wiederholung, Variation, Serie

April 1998. Meine Eltern besuchen wieder die USA, diesmal ohne mich. Aus guter Tradition bringen sie mir als Reiseandenken die Sonntagsbeilage der örtlichen Zeitung mit. Ich staune nicht schlecht, als ich das Comic Supplement vom Sonntag, 12. April 1998, aufschlage, diesmal von der „Naples Daily News“. Blondies Abenteuer befinden sich immer noch auf der ersten Seite, sind aber nach ganz unten gerutscht. Und haben nur noch zwei Streifen statt vier.

Der Witz kommt mir bekannt vor und irgendwie auch nicht. Ein Nachbarsjunge mit Osterkorb in der Hand befindet sich bei Blondie und Dagwood zuhause, offenbar will er den Korb vorzeigen. In den ersten beiden Bildern sucht er erfolglos den Hausherrn. Der ist weder im Wohnzimmer noch im Hobbykeller. Dann in Bild 3, die Entdeckung. Dagwood liegt schlafend in der Badewanne! In Bild 4 fällt dem Jungen versehentlich die Ostereierfarbe in das Badewasser: „Oops! There goes my last package of egg dye!“. Bild 5: Dagwood erwacht, geschockt und blau eingefärbt: „Blue!! My whole body is blue!!!“ Im letzten Bild freut sich der Nachbarsjunge, der soeben das Haus verlassen hat, über den Aufschrei des Mannes. Prima, Dagwood ist wach, dann kann er ja den Korb endlich vorzeigen: „Oh good, he’s awake! Now I can show him my basket!“ Ziemlich verpeilt, der Junge, und genauso begriffsstutzig wie Dagwood.

Der Erzählkern ist derselbe wie 1982, der zentrale Witz wiederverwendet: Ostereierfarbe dient dazu, einen ahnungslosen Mann in der Badewanne einzufärben. Aber zur Wiederholung tritt die Variation. 1998 ist es ein Versehen eines einzelnen Jungen, was 1982 aus einem gezielten Streich zweier Spießgesellen folgt. Und dieser eine Junge kapiert nicht wirklich, was er angerichtet hat.

Für uns als Leser bleibt die Schadenfreude, wenn auch abgemildert. Dagwood ist Opfer der Umstände und eines blöden Zufalls. An der Hauptsache ändert sich nicht, 1998 wie 1982 wacht der arme Mann schockiert auf, angemalt wie ein Osterei.

Wiederholung und Variation. Das ist das Entscheidende am Comic, und das trennt ihn auch von Weltliteratur und Bilderbogen. Die Gagstrips der Comic Supplements arbeiten mit Szenen aus einem Repertoire, die immer funktionieren. Bühnenwirksam, effektvoll, mehrfach einsetzbar. Garantierte Lacher. Das kann in Serie gehen. Mit Weltliteratur hat es nicht viel zu tun.

Comics sind wie eine gute Geschichte, die man immer wieder erzählen kann. Wie der plaudernde Verwandte, der in geselliger Runde mal wieder den bekannten Familienwitz erzählt. Wie war das mit der Badewanne? Erzähl doch nochmal. Heute, nächste Woche, beim nächsten Treffen. Egal, Hauptsache wir haben etwas zu lachen. Und du kannst das so schön erzählen!


Verwendete Literatur

The Florida Times-Union/ Jacksonville Journal. Sunday Parade. Sunday April 11, 1982. Eigenes Archiv.

Jürgen Maier: Magazin. USA. In: Comixene 29 (März/ April 1980), S. 32.

Reinhold Reitberger: Walt Disney in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (rororo bildmonographien 226), Reinbek bei Hamburg 1979.

Moritz von Schwind. Der gestiefelte Kater. Münchner Bilderbogen No. 48. 1. Auflage 1850. Verlag Braun und Schneider, München. Schwarzweißdruck. Link zur Staatsbibliothek Berlin. Public Domain Mark 1.0.

Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Der gestiefelte Kater. In: Kinder- und Haus-Märchen Bd. 1, Berlin: Realschulbuchhandlung 1812, S. 147-155. Link zur Universitätsbibliothek Kassel.

Ludwig Tieck: Der gestiefelte Kater (1797), Stuttgart: reclam 1984, S. 47.

Marion Bedi-Visschers: Der Gestiefelte Kater. Genese und kultureller Wertigkeitswandel einer europäischen Erzählfigur seit der italienischen Spätrenaissance, Regensburg 2019, S. 269. Link zum Digitalisat.

Alexander Braun/ Tim Eckhorst: Katzenjammer. The Katzenjammer Kids – Der älteste Comic der Welt, Berlin 2022, S. 105-112.

Naples Daily News. Comic Supplement. Sunday, April 12, 1998. Eigenes Archiv.

Abbildungsverzeichnis

US-amerikanische Disney-Comics in Tüten. Sonntagsseitensammlung 1982-1998. Eigene Smartphonefotos.

Moritz von Schwind: Der gestiefelte Kater. Münchner Bilderbogen Nr. 48. 12. Auflage, München: Verlag Braun & Schneider 1853. Farbig. (Erstauflage 1850). Link zur Staatsbibliothek Berlin. Public Domain Mark 1.0.

Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen, Berlin: Realschulbuchhandlung 1812/1815 [Erstausgabe, Handexemplare der Brüder Grimm]. Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel. Band 1: Signatur: 34 8° Grimm 79, S. 149. Public Domain. Link zum Digitalisat.