Mit Paul McCartney in Hamburg (Für immer Fan 1)


Kaum zuhause, erzählte ich alles meinen zwei besten Freunden Dennis und Jan, haarklein und mit Spannungsbogen. Möglichst länglich, mit Wichtigkeitspausen. Gedehnt. Das einmalige Erlebnis wollte, musste ich auskosten. Dennis und Jan waren beide, wie ich, absolute Musikfans. Na gut, Dennis driftete gerade in die Death-Metal-Szene ab. Aber mein Namensvetter Jan verehrte die Beatles genauso wie ich.

Mein Erlebnisbericht war schon bei der Pressekonferenz im Hamburger Tivoli angelangt. Ich, gerade Abitur, eben Zivildienst beendet, inmitten von Musikjournalisten aus ganz Deutschland. Das muss man sich mal vorstellen!

„Wir mussten warten, bis wir vom Pressereferenten aufgerufen wurden. Immer wieder habe ich mich gemeldet, immer wieder kein Glück. Ich hatte mir zwei Fragen überlegt, ich würde wohl, wenn überhaupt, nur eine stellen können. Und plötzlich sagt Geoff Baker, eben jener Pressereferent: ‚The gentleman with the black Levi’s jacket.’“

Ich wollte dazu anheben, meine Frage im O-Ton wiederzugeben, die eine Frage, die ich meinem Idol Paul McCartney tatsächlich hatte stellen können, im Hamburger „Schmidts Tivoli“-Theater, auf der Pressekonferenz anlässlich der Filmpremiere seines Konzertfilms „Get Back“, als einer aus der handverlesenen Zahl von Journalisten, Kamerateams und Fotoreportern.

Da fiel mir Dennis ins Wort: „Paul atmet auf. ‚Endlich einer vom Fach.’“

Pressemappe und Einladungsschreiben. Behalten nach der Pressekonferenz. Archiviert bis heute.
Aufkleber und Plastiktüte. Eingesammelt auf der Pressekonferenz. Archiviert bis heute.

Die Hamburger Pressekonferenz

Erinnerungen an einen Tag in Hamburg, über 30 Jahre später. Zurückgespult auf den 18. September 1991. Play.

Frühmorgens im Kino, Pressevorführung des Films „Get Back“. Damit die Journalisten wissen, worum es geht. Zu früh für einen Konzertfilm. Verschlafen im Kinodunkel. Immerhin ein Start. Nächste Etappe: „Es steht ein Bustransfer ab 12.15 Uhr vom PASSAGE-KINO zur Pressekonferenz im SCHMIDT-TIVOLI bereit“ (impuls-film-verleih, Begleitschreiben zum Presseausweis). Im Charter-Bus auf die Reeperbahn. Was für ein Service. Medienleute unterwegs.

Aber dann, draußen vor Schmidts Tivoli: Anstehen, Warten, Schlangestehen. Endlos lange Mittagspause. Ein Jahrmarkt der Medienschaffenden. Schöne, Selbstdarsteller, Macher. Leute mit Beatles-T-Shirts. Rasende Reporter. Verleger, die auf sich aufmerksam machen wollen. Fotojournalisten, Fernsehteams. Kameras und Kabel überall. Einfach mal die Schlange abfilmen. Für‘s Feeling. Zirkus, Rummel, Reeperbahn, ein Hauch von halbseidenem Milieu. Eitel Sonnenschein. Promi-Journalisten im Schatten der Promis.

Dann endlich der Einlass. Bodyguards. Check-In. Dichtes Gedrängel. „Auf der Akkreditierung ist verzeichnet, in welchem Bereich des Tivoli sich ihr Sitzplatz befindet. Um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, bitten wir um ihre Unterstützung. Auf Wunsch von Herrn McCartney besteht während der Konferenz Rauchverbot“ (impuls-film-verleih, Begleitschreiben zum Presseausweis).

Paul rauscht auf die Bühne, mit Linda und Band. Wieder Bodyguards. Anspannung. Fotoblitzlichtgewitter. Danach geht das Frage-Antwort-Spiel los. Komische Leute stellen seltsame Fragen. Gedämpfte Provokation, hippe Zeitgeist-Schreiberlinge trauen sich mal was: „Is it a wig you’re wearing?“ Ich habe keinen Respekt vor Superstars, seht ihr, seht ihr!? Angetrunkene, die ihre Fragen stammeln. Ein Mick-Jagger-Doppelgänger, der gar nichts fragt, sondern nur gesehen werden will. Tapfer melde ich mich. Hoffentlich komme ich noch dran! Glück gehabt. Ich rede, Paul antwortet. Ist das gerade wirklich passiert?

Das Ende naht. Paul will abrauschen. Bodyguards. Eine Menschentraube bildet sich vor der Bühne. Ich mittendrin. Schnell ein Autogramm. Bitte, ein Autogramm! Keine Chance. Wenige Glückliche bekommen eins, ich nicht. Ich habe doch extra eine LP mitgebracht. „Paul McCartney, Unplugged“, wäre mit Autogramm nochmal so schön! Pech gehabt. Paul ist fort. Ich bleibe, autogrammlos.

Und: Ja, ich trug tatsächlich eine schwarze Jeansjacke. The gentleman with the black Levi’s jacket. Hatte man damals, galt als cool.

Hinter den Kulissen

Zu viel Gefühle, zu viele Erinnerungssplitter. Nur die Ruhe. Es gibt doch Rahmendaten, Eckpunkte. Die helfen beim Sortieren.

1. Wie bin ich, Abiturient und Zivildienstleistende kurz vor Studienstart, überhaupt auf die Pressekonferenz eines Weltstars gelangt?

1991 kenne ich Frank, einen Beatlesfan aus Hamburg, schon viele Jahre. Er ist gut vernetzt in der damaligen Hamburger Fanszene. Kennengelernt haben wir uns über das Sammeln von CDs oder LPs der Beatles, die Musik der ehemaligen Bandmitglieder nach dem break-up natürlich mit eingeschlossen. Der Kontakt läuft erst per Brief, bald danach über immer häufigere Telefonanrufe, damals noch als teure Ferngespräche. Zu dieser Zeit gibt es immer öfter etwas Neues zu besprechen. Seit Mitte der 80er Jahre tauchen regelmäßig ältere, nie gehörte Aufnahmen auf: Konzertmitschnitte, unveröffentlichte Studioaufnahmen, Demoversionen, Tonbänder mit Interviews. Und dann das: 1989 geht Paul McCartney nach fast 10 Jahren ohne Liveauftritte auf Tour und spielt zum ersten Mal nach dem Ende der Beatles überhaupt wieder ausgiebig die alten Lieder.

Um da den Überblick zu behalten, gibt es einen bunten Strauß von Fanzines, auf eher billigem Papier gedruckte Broschüren oder per Fotokopie vervielfältigte Heftchen. Von Fans für Gleichgesinnte. Frank und ich lesen sie alle, den amerikanischen Beatlefan, in dem wirklich alles aufgelistet wird, was irgendwie mit den Beatles zu tun hat, Belmo’s Beatleg News, die sich auf seltene Aufnahmen spezialisiert haben, und aus Deutschland vor allem die DIN-A5-Heftchen Things und Beatles Beat.

Die bunte Welt der Fanzines.

Für die beide deutschen Fanzines habe ich schon öfter geschrieben, bevorzugt über vernachlässigte Kapitel der Beatles-Musikgeschichte. Frank erfährt, dass Paul für die Weltpremiere seines Konzertfilms „Get Back“ im September 1991 nach Hamburg kommen wird. Ihm gelingt es über seine Hamburger Medienkontakte, mir eine Presseakkreditierung zu verschaffen. Ich verspreche ihm, einen ausführlichen Erlebnisbericht für Beatles Beat zu verfassen.

2. Wie lief die Pressekonferenz ab?

Zeitpunkt und Ort der Pressekonferenz sind geschickt gewählt. Der eher verrufene Stadtteil St. Pauli, in dem Paul in jungen Jahren zusammen mit den Beatles prägende Erfahrungen als Live-Band machte, möchte sich gerade neu erfinden.

Schmidts Tivoli, zentral in St. Pauli am Spielbudenplatz gelegen, ist am 01. September 1991 gerade neu als Spielstätte für Musicals eröffnet worden. An geschichtsträchtigem Ort. Denn Schmidts Tivoli ist ein neuer Name für eine ganz alte Institution, nämlich das „Zillertal“. Im 19. Jahrhundert noch ein Gartenlokal mit Bierausschank, wird der Garten 1896 überdacht und der Bau schließlich 1925 nach Art einer Zirkusarena knallbunt ausgestattet. Die Sitzfläche hat die Form einer Zirkusarena, in die die Bühne hineinragt, die Zuschauer immer ganz nah am Spielgeschehen. Auf der Bühne wird leichte Unterhaltung, Musik und Tanz im Stil einer bayrisch-tirolerischen Fantasiealpenfolklore präsentiert, gleichermaßen Anlass und Begleitmusik für den hoffentlich reichlichen Bierkonsum. Die goldenen Säulen, Spiegel und Wandmalereien der 20er Jahre überlebten hinter einer Holzvertäfelung. Jetzt sind sie wieder da.

Und dann ist da noch das St.-Pauli-Museum. Es soll am 22. September 1991 eröffnen, die Geschichte der Vergnügungsmeile und ihrer raueren Tage aufarbeiten, und befindet sich passenderweise im Obergeschoss von Schmidts Tivoli. Oder vielleicht eher, so ein zeitgenössischer Pressebericht, „in der ehemaligen Bierschwemme Zillertal, die derzeit als neuer Unterhaltungspalast umgebaut wird“. „Ziel der Schau soll es sein, St. Pauli als Stadtteil der Gegensätze zu porträtieren: das Wohnviertel am Wasser, die Entwicklung vom Amüsierviertel mit Jahrmarktcharakter zur Sex-Meile“ (Die Welt, 30. Juli 91). Den Eröffnungstermin hat der Verein, der im Museum Postkarten, Zetteln, Stadtplänen sowie Andenken an Stars vergangener Tage zeigt, so gewählt, weil Hans Albers, bekannt für sein lokalpatriotisches Lied „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, an diesem Tag 100 Jahre alt geworden wäre.

Kann es besser passen? So wie der Stadtteil St. Pauli gerade zu seinen Anfängen zurückkehrt, als im „Viertel rund um den Spielbudenplatz“ „im 19. Jahrhundert allerlei Etablissenments bürgerliche Unterhaltung und Gaudi für ganze Familien boten“ (Die Welt, 30. Juli 91), kehrt Paul mit seinem Film „Get Back“ endlich wieder zurück zu den Anfängen seiner Karriere und seiner großen Zeit als Beatle. Die Konzerttournee 1989/1990, die der Film dokumentiert, ist vor allem ein stolzes Bekenntnis zu den vielen Beatles-Hits, die er erstmals wieder live gespielt hat.

Wo könnte man die Premiere und die Rückbesinnung auf die alten Songs besser feiern als in Hamburg, der Stadt, in der alles angefangen hat?

Ein Medienrummel, der allen nützt. Und der zu St. Pauli passt: Jahrmarkt, Spielbuden. Wandmalerei, Alpenfolklore. Musik und Tanz. Bürgerliche Unterhaltung und Gaudi. Zirkus. Ich mittendrin. Auf der Reeperbahn mittags um zwei.

3. Tagesabläufe

Ein Tag im Leben eines Stars. Hinflug. Meet the Press, aber dicht getaktet. Rückflug, nichts wie weg. 12 Stunden müssen reichen.

  • Paul McCartney landet um 13.30 Uhr mit seinem Privatjet auf dem Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel.
  • Um 14 Uhr zeigt er sich, dicht umringt von Fotografen, zusammen mit seiner Band auf der Bühne des Schmidts Tivoli.
  • Nach ein paar Minuten geht es ins Obergeschoss zum St-Pauli-Museum, wo die ARD ein Exklusivinterview führt.
  • Von 14.15 – 14.45 Uhr findet, wieder im Schmidts Tivoli, die Pressekonferenz statt. Direkt danach verlässt Paul das Gebäude durch den Hinterausgang, wo seine Limousine wartet.
  • Den Nachmittag verbringt er mit Interviews im Atlantik-Hotel.
  • Abends geht es um 19 Uhr zum Cocktail-Empfang ins Passage-Kino.
  • Um 20 Uhr steht ein Interview bei Radio Hamburg an.
  • Schnell zurück zum Kino, 21 Uhr ist die Filmpremiere „Get Back“. Paul verlässt nach 10 Minuten den Saal und fliegt nach England zurück.

Derselbe Tag im Leben eines Fans. Für mich ist der Tag schon um 15.00 Uhr vorbei. Plötzlich herrscht gähnende Leere im Schmidts Tivoli. Werbeposter hängen sinnlos herum. Wie die anderen verbliebenen Fans knibble ich mir ein schönes großes Poster von einem der Treppenaufgänge ab. Das Poster kommt zu meinen übrigen Sammlerstücken: Aufkleber, Plastiktüten, die Pressemappe zum Film. Andenken, Memorabilia. Ich fahre mit der Bahn nach Hause.

4. Unverhofftes Wiedersehen

Aber das ist noch nicht alles. Kassette umdrehen. B-Seite. Der nächste Tag, 19. September 1991. Play.

Am nächsten Morgen steige ich meinerseits in ein Flugzeug nach England, 2. Klasse, Linienflug ab Düsseldorf. „Eigentlich hätte Paul mich gleich mit rüber nehmen können“, schreibe ich später in meinem Erlebnisbericht für Beatles Beat.

Die zweiwöchige Fahrt nach England habe ich schon länger geplant. In der Zeit zwischen Zivildienst im Altenheim und Studienbeginn an der Universität Bonn möchte ich romantisch-historische Stätten in Südengland kennenlernen, ein bisschen gothic horror: Salisbury, Stonehenge, Canterbury, Cambridge, London.

Nachmittags habe ich Zeit für eine erste Stadterkundung in London, natürlich mit einem Beatles-Fanzine in der Hand.

Frank, mein Hamburger Beatles-Fankontakt, hat mir vor einigen Monaten ältere Beatlefan-Ausgaben zur Lektüre geliehen. Daraus habe ich mir eine Übersicht mit touristischen Ausflugszielen London speziell für den Beatles-Fan kopiert. Die will ich jetzt alle abgehen: der Zebrasteifen auf der Abbey Road, das ehemalige Bürogebäude der Beatles-Firma Apple in der Saville Row. Und das Büro von Paul McCartneys Firma mpl am Soho Square.

Und hier, am Soho Square in London, einen Tag nach der Pressekonferenz in Hamburg, treffe ich Paul tatsächlich wirklich zufällig wieder.

In dem Moment, als ich vorbeischaue, kommt er gerade aus dem Büro. Unglaublich. Ich spreche ihn an und bekomme ein Autogramm. Einfach so. Auf die Rückseite meiner „London-für-Beatles-Fans“-Fotokopie. Mehr habe ich gerade nicht zur Hand. Linkisch hantiere ich mit dem Zettel. Zu aufgeregt. Paul bittet mich freundlich, meine Hand unter den gefalteten Zettel zu halten, damit er überhaupt schreiben kann.

Eine Passantin kommt vorbei und ruft: „My hero!“ Paul biegt um die Ecke, in die nächste Seitenstraße.

Ewiges Fandom

Ein Fan ist das Gegenteil von einem Star.

Eigentlich geht das doch so: Du hast ein Vorbild. Jemanden, den du bewunderst. Der unerreichbar scheint. Was der alles kann. Das möchte ich auch. Das kann ich auch! Klar, erst machst du nach, was du siehst. Aber dann kapierst du doch, wie das geht. Ah, so ist das. Ach so. Ist ja gar nicht so schwer, wie ich dachte.

Und wenn es gut läuft, richtig gut, merkst du sogar, was dein Vorbild alles nicht kann. Was es übersehen hat. Wofür es keinen Sensor hatte. Was man anders machen könnte. Besser. Und auf einmal bist du selbst der Star.

So geht übrigens Weltliteratur. Auf die Phase der Nachahmung des Idols folgt der Wettstreit mit ihm. Und den kann man auch gewinnen. Dann wird man selbst Weltliteratur. Nachzulesen beim römischen Literaturtheoretiker Quintillian, einem der einflussreichsten Gewährsmänner dafür, wie Weltliteratur produziert wird.

Es besteht kein Zweifel, dass kreatives Arbeiten zum großen Teil aus Nachahmung besteht. Denn auch wenn die Ideenfindung zuerst kommt und das wichtigste bleibt, ist es nützlich, sich an den Ideen zu orientieren, die bereits gefunden worden sind. Und es ist eine allgemeine Lebensregel, dass wir das, was uns bei anderen gut gefällt, auch selbst machen wollen. Daher orientieren sich Kinder an Buchstabenformen, um schreiben zu lernen, nehmen sich Sänger die Gesangweise ihrer Lehrer, Maler die Werken ihrer Vorgänger und Bauern die erprobten Formen des Landbaus zum Vorbild.

Quintillian, Institutio oratoria X.2.1-2 (eigene Übersetzung)

Ein Fan ist ein hoffnungsloser Fall. Er bleibt für immer im Schatten des Idols. Meist fängt so ein Fan gar nicht damit an, auch mal was zu schreiben, selbst zu singen oder sich erprobte Formen zum Vorbild zu nehmen. Hat sich was mit allgemeiner Lebensregel. Ein Fan bleibt im Zustand der Bewunderung. Das gefällt mir gut. Könnte ich das doch auch. Kann ich aber nicht. Das gefällt mir gut. Das reicht für mich.

Der Moment. Das Gefühl. Und die Sprachlosigkeit. Könnte ich das noch einmal erleben. Das Gefühl, für das ich keine Worte habe. Einmalig. Einzigartig. Larger than life, nicht von dieser Welt. Ist das gerade wirklich passiert? Das kannst du nur verstehen, wenn du dabei warst. Da habe ich keine Worte für. Was soll ich sagen?

Ich sammle lieber. Konzertkarten, Tickets, Kassetten, CDs. Schallplatten in verschiedenen Pressungen, aus verschiedenen Ländern, verschiedenen Zeiten. Zeitungsartikel. Limitierte Auflagen. Dokumente ihrer Zeit. Du nimmst sie, du hast sie griffbereit, und sie erinnern dich an etwas. Memorabilia. Und vielleicht kommt es wieder, das große Gefühl. So war das damals. Wie ist es jetzt? Du kommst ins Nachdenken. Ich bin altgeworden. So wie die Schallplattenhülle. Vergilbt. Stockfleckig. Abgeschabbert. Ich bin gleich geblieben. Das ist dieselbe Schallplatte. Immer noch. Damals wie heute. Wie die Zeit vergeht. Da werde ich ganz nostalgisch. Das kommt ins Archiv.

Wir Fans bilden Szenen. Gemeinschaften, communities. Du brauchst Kontakte, Leute, die dir Tipps geben. Leute, mit denen du dich freuen kannst. Die dich wortlos verstehen. Wo du nicht immer von vorne anfangen musst mit dem Erklären. Und Leute, die dir zeigen, was geht und was nicht. Angeber können wir hier nicht gebrauchen. Immer schön auf dem Teppich bleiben. Das hätte ich auch gerne. Wo hast du das her? Spiel dich mal nicht so auf.

Szenen brauchen Mitteilungsblätter. Fanzines. Beatlefan, Things, Beatles Beat. Belmo’s Beatleg News. Für den Kenner. Von Fans für Fans. Listen und Dokumentationen. Konzerttermine, Erscheinungsterminübersichten. Preislisten, nach Seltenheit sortiert. 1. Auflage. Fehlpressung. Daten, Fakten, Hintergründe. Zum Überblick behalten. Für Ordnung im Archiv. Nostalgie ja, aber mit Plan. Das nennt man Fandom.

Fandom ist das Gegenteil von Weltliteratur.

Am Anfang der Weltliteratur steht das Nachahmen. „Und es ist eine allgemeine Lebensregel, dass wir das, was uns bei anderen gut gefällt, auch selbst machen wollen.“ Ok, Quintillian. Damit fangen wir Fans lieber gar nicht an. Wir bleiben auf der Vorstufe. Treten auf der Stelle.

Auf das Feeling kommt es an. Wozu Worte finden für das große Gefühl? Das Ereignis zählt und trägt seinen Sinn in sich selbst. Was man daraus machen könnte. Belassen wird es doch dabei. Die große Fülle der Eindrücke. Unzählige Möglichkeiten. Was man darüber alles schreiben könnte. Später. Nie. Jedenfalls nicht jetzt. Ich lege lieber Listen an.

Ich bin überwältigt. Vom Material. Von meiner Sammlung. Ich horte Erinnerungsstücke. Klar, auch poetisches Material. Das Versprechen auf Weltliteratur. Kann sein. Bei mir spricht das Material jetzt erstmal nur für sich. Ist eingereiht in eine Sammlung. Alphabetisch oder chronologisch sortiert. Bleibt nichts und alles zugleich. Der Funke, aus dem große Literatur werden könne. „Daher nehmen sich Sänger die Gesangsweise ihrer Lehrer zum Vorbild“. Ich habe genug damit zu tun, den Überblick zu behalten. Ich lege lieber Listen an.

Ich schaffe das nicht mit dem Ehrgeiz, ich habe keine Kraft für das Selbermachen. Zuviel Gefühl. Ich schreibe erstmal einen Erlebnisbericht, stelle Infos zusammen, sammle meine Eindrücke. Aufgeschobene Weltliteratur. Später mal, jetzt nicht. Ich schreibe Hefte, Broschüren, Scharteken. Fanzines. Ich bin Fachmann. Ich lege lieber Listen an.

Vorschau

Und was gibt’s in Teil 2? Vier Momente des Fandom. Außerdem: 1. Noch ein unverhofftes Wiedersehen. 2. Meinen zweiten und letzten Versuch, mit der Pressekonferenz Eindruck zu schinden. 3. Und als Bonus, von Fan zu Fan: Die Rupert-Sache.


Verwendete Literatur

Einladungsschreiben und Begleitschreiben zum Presseausweis. impuls-film-verleih 1991. Fotokopierte Zettel. Eigenes Archiv.

Jan Follak: Paul in Hamburg. Mittwoch, 18. September 1991. In: Beatles Beat 35/36 (1991), S. 11-16.

Petra Zeitz/ Sandra Langer: Die Pressekonferenz. In: Beatles Beat 35/36 (1991), 16-21.

Jan Follak: Get Back – Der Film. In: Beatles Beat 35/36 (1991), 21-25.

Gisela Schütte: Facetten eines Viertels: Das St. Pauli-Museum wird im September eröffnet. In: Die Welt Nr. 175, 30. Juli 1991. Zeitungsausschnitt. Eigenes Archiv.

Abbildungsverzeichnis

Paul McCartney, Get-Back-Pressemappe. Einlegemappe mit losen Seiten auf Kartonpapier, DIN A4.
Einladungsschreiben zur Pressekonferenz zur Premiere des Films „Paul McCartney, Get Back“.
Paul McCartney Promotionfoto zur Premiere des Films „Paul McCartney, Get Back“.
Sammlung des Autors. Eigenes Foto.

Aufkleber und Plastiktüte „Paul McCartney, Get Back“. Promotionartikel 1991. Eigenes Archiv.

Verschiedene Ausgaben des Fanzines „Beatlefan“. Eigenes Archiv.

Autogramm, auf der Rückseite eines fotokopierten Zettels, DIN A4, aus dem Fanzine „Beatlefan“ mit Tipps zu Beatles-bezogene Sehenswürdigkeiten für einen Londonbesuch. Sammlung des Autors. Eigenes Foto.


Quintillian, Institutio oratoria X.2.1-2 (lateinischer Text)

Neque enim dubitari potest quin artis pars magna contineatur imitatione. Nam ut invenire primum fuit estque praecipuum, sic ea quae bene inventa sunt utile sequi. Atque omnis vitae ratio sic constat, ut quae probamus in aliis facere ipsi velimus. Sic litterarum ductus, ut scribendi fiat usus, pueri secuntur, sic musici vocem docentium, pictores opera priorum, rustici probatam experimento culturam in exemplum intuentur, omnis denique disciplinae initia ad propositum sibi praescriptum formari videmus.