Physiologus 4: Igel


De herinacio (Physiologus B 13)

1. Physiologus dicit, quoniam1 herinacius2 figuram habet porcelli3 lactentis4.

2. Hic de foris5 totus est spinosus6.

3. Sed tempore autem vindemiarum7 ingreditur8 in vineam9.

4. Et ubi viderit uvam10 bonam, ascendit11 super vitem12 et exacinat13 uvam illam, ita ut cadant omnes acini14 in terram.

5. Deinde descendit et volutat se15 super illos, ita ut omnes acini figantur16 in spinis17 eius.

6. Et sic portat escam18 filiis suis.


Worterklärungen

  1. dicit, quoniam – sagt, dass ↩︎
  2. herinacius – Igel ↩︎
  3. porcellus – Schweinchen, kleines Schwein ↩︎
  4. lactens – noch Milch trinkend ↩︎
  5. de foris – von außen ↩︎
  6. spinosus, a, um – stachelig ↩︎
  7. vindemiae (Pl.) – Weinlese ↩︎
  8. ingreditur = currit ↩︎
  9. vinea – Weinberg ↩︎
  10. uva – Traube ↩︎
  11. ascendere, ascendo – besteigen ↩︎
  12. vitis, vitis f. – Weinstock ↩︎
  13. exacinare, exacino – Beeren pflücken ↩︎
  14. acinus – Beere ↩︎
  15. se volutare, voluto – sich wälzen ↩︎
  16. figere, figo – haften bleiben, hängen bleiben ↩︎
  17. spina – Stachel ↩︎
  18. esca – Mahlzeit ↩︎

Die allegorische Deutung

Der Text, den Du übersetzt hast, ist nicht vollständig, sondern geht im lateinischen Original noch mit einer allegorischen Deutung weiter.

Du aber, Mann Gottes, bewache deinen Weinberg und alle deine geistigen Früchte sorgfältig [Johannes 15.1], damit nicht die Unrast dieser Welt und die Verlockungen irdischer Güter dich in Besitz nehmen. Denn dann verstreut der stachelige Teufel alle deine geistigen Früchte, spießt sie an seinen Stacheln auf und sorgt dafür, dass du von den wilden Tieren gefressen wirst. Und deine Seele wird nackt, einsam und leer, so wie ein Weinstock ohne Früchte. Und später wirst du umsonst rufen: „Meinen eigenen Weinberg habe ich nicht behütet“ [Hoheslied 1.6]. Passend berichtet der Naturforscher über das Wesen der Tiere und verbindet es mit den Erkenntnissen des geistigen Schrifttums.

2. Was wissen wir heute?

Recherchiere, was wir heute über das Verhalten des Igels wissen und welche Erklärungen unsere Naturwissenschaften dafür geben:

  • Gibt es das Verhalten überhaupt, von dem der „Physiologus“ berichtet? Gibt es zumindest etwas Ähnliches?
  • Welche Erklärung hat die Biologie für dieses Verhaltensmuster?
  • Wie sind die Menschen in der Antike wohl zu ihren Beobachtungen gekommen? Welche Idee oder Überlegung steckt dahinter?

Abbildungsnachweis

Tractatus de naturis animalium in XX libros divisus, quorum tres extremi desunt – BSB Clm 6908 („Fürstenfelder Physiologus“). S. 83r, Scan 171. Link zur Bayerischen Staatsbibliothek. Creative Commons 4.0.