Karl Blume und seine „Lieder zur Laute“
Die Heide auf Tour


Links im Frack, an der Laute hängen die typischen Bänder des Minnesängers (1918). Rechts im Anzug mit Schlips und Zigarette (ca. 1922).
Karl Blume ist ständig auf Tour, ein Musikant mit „Liedern zur Laute“. Das Löns-Lied „Grün ist die Heide“ hat er im Repertoire, ist aber nicht wichtig. Die Leute lieben ihn für seine stimmungsvollen Soldaten- und Rheinlieder, gerne auch im Dialekt.
Blume ist ein Allrounder. Er tritt im Varieté auf und spielt klassisch im Kammermusiksaal. Mühelos füllt Blume in den Metropolen an Rhein und Ruhr bis nach Westfalen alle großen Säle. Die Fäden laufen in seiner Düsseldorfer Wohnung zusammen, mitten im Vergnügungsviertel.
Aber wo ist die Heide? Wo verbirgt sich „Das Geheimnis“, wie „Grün ist die Heide“ immer noch heißt?
Inhalt
Karl Blumes Karrierestart in Düsseldorf

Kaum ist der Krieg vorbei, wird Karl Blume selbstständiger Spielmann, Troubadour, Minnesänger. Ein moderner fahrender Sänger, der sich selbst auf der Laute begleitet. „Lieder zur Laute“ hat er während des Krieges bei der Truppenbetreuung gespielt und in Notenheften publiziert. Was im Krieg funktioniert, so die Kalkulation, findet in Friedenszeiten erst recht sein Publikum.
Zurück im heimatlichen Düsseldorf, wenige Wochen nach Kriegsende, startet Blume durch. Aber wie stellt man sich auf, im Winter 1918, als Sänger mit „Liedern zur Laute“? Nicht zu ernst, nicht zu salopp. Irgendwo zwischen seriös und burlesk. Ganz schön schwierig. Blume analysiert die Lage genau.
Unterhaltung nach dem Krieg
Das Unterhaltungs- und Ablenkungsbedürfnis der Leute ist enorm. Ein Blick in den Anzeigenteil der Düsseldorfer Zeitung kurz vor Jahresende 1918 genügt. Sagenhaft, was am Sonntag, den 22. Dezember, kurz vor Weihnachten, so alles geboten wird.
In den seriösen Häusern gibt es ein verlässlich-solides Programm. Die Räume für klassische Konzerte an der Schadowstraße machen zwar Pause, die Städtische Tonhalle genauso wie der Ibach-Saal. Aber das Stadttheater bringt den „Tannkönig“, ein phantastisches Ballett. Und im Schauspielhaus wird eine Morgenfeier mit Rezitation ausgerichtet. Abends führt man zum 202. Mal die Düsseldorfer Provinzposse „Schneider Wibbel“ auf, ein Dauerbrenner seit 1913. Der Zoologische Garten ist Schauplatz eines nachmittäglichen „Großen Streichkonzerts“, preisgünstig, für die ganze Familie.
Das Bedürfnis nach Action, Schauwerten und großen Gefühle, gerne etwas reißerisch, wird im Kino bedient. Im Residenz-Theater an der Graf-Adolf-Straße kann man zwischen dem Lustspielschlager „Die gestörte Brautnacht“ und dem Frauendrama „Unter fremdem Willen“ wählen. Die Schadow-Lichtspiele bieten „Wege, die zur Liebe führen“ und das neueste Erlebnis des Detektivs Stuart Webbs: „Der Stellvertreter“.
Musik und Getränke für jedermann findet man bei Hacke, ebenfalls in der Schadowstraße, der zentralen Vergnügungsmeile, im „Konzert Palast“. Hacke bietet ein buntes Programm, morgens ein Frühschoppenkonzert, nachmittags treten Tänzer, Schlagersänger und Komiker auf. In den oberen Festsälen im 1. Stock gibt es abends eine „Heitere Bühne fröhlich-vornehmen Stils“. Unterhaltung ja, aber mit Anspruch.
Für das Burleske, am Rande des Schicklichen und manchmal auch jenseits davon, sind die Variétes zuständig. Im „Groß-Düsseldorf“ in der Jahnstraße gibt es Tanzduette (die „2 Lorleys“), Reckturner (die „3 Claeres“) und Gespenster-Streiche mit Justus Cromer. Außerdem eine Art poetry slam, die „Dichter-Schlacht“, ergänzt um die Parodistin Mizi Rieder und das Duett Hooc & Pauly mit einer „urkomischen Szene“: „So ein Pech“. Damit nicht genug. Das „Apollotheater“ an der Königsallee hält neben den üblichen Turnern, Tanzkünstlern und Akrobaten als Attraktionen bereit: Assad, den „Dünnemacher“, Reina van Postema, die „holländische Humoristen mit ihren fliegenden Hunde“, den Fangkünstler Friscari und die „3 Denvers“ auf dem Drahtseil.
Karl Blume zielt auf ein möglichst breites Publikum, in der Mitte der Gesellschaft. Nicht allzu zugeknöpft, aber auch nicht halbseiden. Geschickt wählt er drei Orte aus.



- Für den Start entscheidet sich Blume für das seriöse Fach, aber leicht und mit Humor. Am Sonntag 15. Dezember 1918, nimmt Blume „mit seinen Liedern zur Laute“ am „Großen Künstler-Abend“ in der Städtischen Tonhalle, Kaisersaal, teil. Seine Mitstreiter sind Schauspieler des Stadttheaters und klassische Musiker.
- Dann begibt sich Blume hinein in das Unterhaltungsvergnügen. Am Samstag 21. und Sonntag 22. Dezember ist er top-act bei Hacke auf der „Heiteren Bühne fröhlich-vornehmen Stils“. Eine gute Wahl. Hier gibt es das große Publikum, das unterhalten werden will. Hier wird gezecht und gefeiert. Ein Sänger muss Stimmung machen. Genau das, was Blume im Krieg gelernt hat.
- Zum Abschluss nutzt Blume einen bewährten Schauplatz. Am 11. Januar 1919 präsentiert er sich mit einer Solo-Show im Ibach-Saal, so wie er es schon seit 1913 regelmäßig macht, um neue, gerade im Druck erschienene Kompositionen vorzustellen.
Von drei Konzerten und dem Verkauf von sheet music allein kann ein freier Musiker nicht leben. Worauf es ankommt, sind zahlende Gäste und Auftritte auch außerhalb von Düsseldorf. Auf geht‘s!
Die erste Tour 1919: Komm und lach!
Blume tut sich mit dem Schauspieler Robert Nonnenbruch vom Stadttheater Düsseldorf zusammen. Ein Modell, das Blume schon früher erprobt hat. Wechselt man zwischen Gesang und Vortrag, kommt garantiert keine Langeweile auf. Und wer mit dem einen Künstler nichts anfangen kann, kauft trotzdem eine Karte, wegen des anderen.
Wie Blume hat auch Nonnenbruch beim „Großen Künstler-Abend“ in der Städtischen Tonhalle ein Solo-Programm mit selbstgeschriebenen Texten vorgestellt. Eine seltsame, heute völlig unverständliche Mischung. Bei Nonnenbruch steht nationalistisch-konservatives Kabarett neben humorigen Gedichten und komischen Monologen, teilweise in rheinischem Dialekt. Wie Büttenreden im Karneval, Ratgeberhefte, Kriegspropaganda und stand-up-comedy in einem.
Den verlorenen Krieg beklagt Nonnenbruch in gereimten Versen. Bei der Besetzung des linkrheinischen Gebiets durch die Siegermächte, die unmittelbar nach dem Waffenstillstand am 11. November 1918 beginnt, sieht er den Feind am Werk. Mutlos spaziert er am Rhein:
Mir wurd‘ es im Herzen so schwer und so weh,
Ist’s Wahrheit denn, was da drüben ich seh‘?
Steht wachend der Feind und versperrte, verschloß,
Was einstens glückliche Freiheit genoß?
Plötzlich meldet sich Vater Rhein persönlich. Er kennt die patriotische Lyrik der Deutschen auswendig und muntert Nonnenbruch mit dem Anfang des „Rheinlieds“ auf, das Nicolas Becker 1840 gedichtet hat („Sie sollen ihn nicht haben,/ Den freien deutschen Rhein“).
Und wie ich verzweifelnd die Hände rang,
Auf’s neu es gewaltig Wassern klang:
„Sie sollen ihn nicht haben! und wenn er auch jetzt
Von knebelnden Fäusten zerteilt wird, verletzt,
Die Wunde wird heilen, sie behalten ihn nicht,
Einst zeigt er wieder sein freideutsch Gesicht!“
Es gibt auch Parodien. In einer kurzen, später auf Schallplatte veröffentlichten Szene persifliert Nonnenbruch die Ballade „Des Sängers Fluch“. Er lässt Uhlands pathetischen Text immer wieder unversehens in derben Düsseldorfer Dialekt kippen. Wie im Original machen sich Harfenspieler und Sänger auf den Weg zum Königsschloss:
Einst zog nach diesem Schloß ein nett’res Sängerpaar: Der Jüngling mit der Glatze, der Alte im lockigen Haar. Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß, der Jüngling daneben und patschte durch die Goss‘.
Ihr Auftritt geht schief. Auf dem Rückweg setzt ein blame game ein. Der Harfenspieler macht den Sänger für das Scheitern verantwortlich:
Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sänger dreist. Da faßt‘ er seine Harfe – sie, aller Harfen Preis, an einer Litfaßsäule, da hat er sie zerschellt, dann ruft er, daß es schaurig laut durch den neunten Polizeibezirk gellt: „Du geeler Zuckeerbäcker! Du Hööpke anjebrannt! Du bist ja nur so wütend, weil de nicht singen kannst!“
In einer anderen Szene schlüpft Nonnenbruch in die Rolle des Laien-Rezitator Eusebius Knuckmantel, der sich an Schillers „Taucher“ versucht. In der Aufregung gelangt Eusebius nicht über die Ankündigung hinaus: „Der Taucher von Schnimmer, Der Schnaucher von Timmer, Der Schnicher von Tauer“. Hektisch macht mit er Bruchstücken von Goethes „Erlkönig“ weiter: „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind, es ist der Kater mit seinem Find“. Verflixt! Knuckmantel stolpert panisch von der Bühne.
Damit nicht genug. Zwischendurch Nonnenbruch gibt jungen Mädchen aufdringlich-launige Ratschläge, wieder in Reimen: „Blickt er ruhig, und ohne Glut,/ Hell und klar in deine Augen,/ Ist er wohl kein Tunichtgut,/ Und er wird zur Liebe taugen.“ Denn: „Wer zu früh sich küssen lässt, ist mit Klugheit nicht geboren.“
Dazu Blumes „Lieder zur Laute“. Offenbar genau die Zerstreuung, nach der sich das kriegsgebeutelte Publikum sehnt.


Blume und Nonnenbruch gehen auf Tour im Rheinland und in Westfalen. Termine stehen für Januar und Februar, parallel zur Karnevalsaison. Das Motto: „Heiterer Abend“, „Humor in ernsten Zeiten“. Mehr braucht man nicht, in den ersten Wochen nach Ende des Kriegs.
Die beiden sind so erfolgreich, dass sie an den meisten Orten gleich zweimal auftreten müssen. Die Tour wird verlängert und läuft bis Mai 1919. Blume und Nonnenbruch treffen den Nerv der Zeit. Ziemlich beeindruckend.
Komm und lach!
Heiterer Abend von Karl Blume mit seinen Liedern zur Laute und Robert Nonnenbruch, Humor in ernsten Zeiten
Ort | Erster Termin | Wiederholungen |
---|---|---|
Oberhausen | 04.01. | 10.05. |
Dortmund | 06.01. | |
Duisburg | 12.01. | 06.04. |
Hagen | 31.01. | 07.02. und 30.04. |
Langenberg | 01.02. | 08.03. |
Hattingen | 08.02. | 15.03. |
Iserlohn | 14.02. | |
Bochum | 24.02. | |
Münster | 13.03. | 12.04. |
Essen | 19.03. | |
Bielefeld | 02.04. | |
Gelsenkirchen | 13.04. |
Nach dieser einer Tour hat Blume es geschafft! Rund um Düsseldorf buchen die Festsaal-Betreiber ihn gerne, ab jetzt jedes Jahr wieder. Oder die Leute wünschen sich Blume gleich selbst: Wann spielt er endlich wieder bei uns?
Karl Blume hat genügend sichere Auftrittsmöglichkeiten. Davon kann man leben.
Solo-Tour im Oktober 1919: Publikumsliebling
Im Herbst 1919 gilt Blume bereits als feste Größe im Showbusiness. Für den Auftritt am 15. Oktober im Dortmunder Lindenhofsaal wird er als „der von Publikum und Presse glänzend gefeierte, bestbekannte Lautesänger und Komponist Karl Blume“ angekündigt. Karl Blume ist ein anerkannter Publikumsliebling, „der auf seinen bisherigen Tourneen überall große Erfolge zu verzeichnen hatte“ und „auch diesmal sicher wieder ein volles Haus finden“ wird (Dortmunder Zeitung. Morgen-Ausgabe 07.10.1919).
Erst jetzt, nach dem Erfolg mit Nonnenbruch, unternimmt Blume eine Solo-Tour. Gerade erscheint beim Musikverleger Heinrichshofen „Ein neuer Strauß“, sein aktuelles Notenheft mit eigenen Kompositionen. Darunter wieder eine Löns-Komposition, „Das Geheimnis“, wie „Grün ist die Heide“ eigentlich heißt.
Blume bespielt im Oktober genau dieselben Säle, die er mit Nonnenbruch besucht hat. Die Anzeigen werben: „Überall glänzend kritisiert!“ Man liebt und verehrt ihn sowieso.
Karl Blume mit seinen Liedern zur Laute
Düsseldorf, Ibach-Saal | 05.10. |
Dortmund, Lindenhofsaal | 15.10. |
Hagen, Parkhaus-Saal | 17.10. |
Oberhausen, Union | 18.10 |
Gelsenkirchen, Hotel Berliner Hof | 22.10. |
Essen, Kruppsaal | 24.10. |
Fassungslos berichtet ein Reporter aus Oberhausen, wie Blume von seinen Fans umschwärmt, ja bedrängt wird. Schon ziemlich am Anfang, beim „Geheimnis“, ist kein Halten mehr. Der Reporter zählt es zu den „Schelmenlieder, die namentlich von der Jugend freudig aufgenommen wurden. Der Beifall war so stark, daß der Sänger auf Wunsch das lustige Lied „Die Lipperschützen“ zum Besten geben mußte.“ Später im Programm das gleiche nochmal: „Die Zuhörer waren von dem Gebotenen so entzückt, daß sie mehrere Zugaben verlangten, und der Künstler konnte dem Drang nicht widerstehen.“
Blume, in der Hand seiner Fans, Widerstand zwecklos! Es ist wohl eher andersherum: Blume nimmt sein Publikum vollkommen für sich ein, verzaubert die Menschen, nur mit Musik. Insgesamt muss er, so die Bilanz des Reporters, „nach dem Wunschzettel der Zuhörer sieben Lieder, die er früher gesungen hatte, im Laufe des Abends wiedergeben“ (Oberhauser Zeitung 20.10.1919).
Der Erfolg ist harte Arbeit. „Es ist ein Kunststück, ein Publikum den ganzen Abend allein zu unterhalten, und dazu mit nichts anderem, als mit Verslein zu Saitenspiel.“ Und das bei einem doch recht überschaubaren Programm: „Die Liebesliedchen, die Volkslieder, die alten derben Landsknechtsgesänge, die frisch-frechen Soldatenlieder und die Liedlein köstlicher Naivität“. Manchmal fehlt, so der Rezensent, der Vortragskünstler, der für Abwechslung sorgt. Aber so geht Popmusik, „man lernt, die harmlos-fröhlichen Art des Singens zur Laute lieb haben: … Um meine Laute flattern bunte Bänder, ich sing ein Lied für dich und eins für mich …“ (General-Anzeiger für Oberhausen 19.10.1919).
Schallplattenaufnahme vom Februar 1928.
Wichtig: Blume ist kein Sänger von Löns-Liedern. Er spielt „Lieder zur Laute“ mit einem breiten Repertoire. „Das Geheimnis“ ist zwar, zumindest in Oberhausen, ein früher Publikumsfavorit. Aber das beliebteste Lied sind die „Lipper Schützen“, ein Soldatenlied über eine Häuflein unfähiger Rekruten, mit dem Blume schon bei der Truppenbetreuung glänzen konnte. Der lautmalende, sinnentleerte Refrain entfaltete eine eigenartige Dynamik, je öfter er wiederholt wird: „Truderidera, Zum Truderidera, und die Lipper die sind da.“
Hermann Löns ist für Blume einer von vielen zeitgenössischen Dichtern, bei denen er sich Texte holt. Nichts macht das deutlicher als das booking im Dortmunder Lindenhofsaal. Dort kündigt man für den 14. Oktober, und damit genau einen Tag vor Blumes Auftritt, einen Löns-Abend an.
Ein Vortragskünstler kommt aus Münster, stellt Löns und seine Werke vor. Die Tonlage ist ganz anders als bei Blume:
Am 14. Oktober gibt der bekannte Löns-Forscher Dr. Friedrich Castelle im Lindenhof einen seiner in ganz Deutschland mit größter Anteilnahme aufgenommenen Loens-Abende. Castelle war dem als 48jährigen Kriegsfreiwilligen vor Reims gefallenen Dichter in Lebensfreundschaft verbunden und ist mit einer Biographie des Dichters beschäftigt. Er ist also wohl der berufenste Deuter der starken eigenartigen Persönlichkeit, die in Löns nach Gestaltung der tiefsten menschlichen Schicksale rang. Aber Castelle ist nicht nur dies, sondern er ist in den letzten Jahren zu einem unserer hervorragendsten Vortragskünstler emporgewachsen. So wird der Abend den Besuchern einen doppelten Genuß bringen und sie mit der dichterischen Art dieses heute wohl am meisten gelesenen deutschen Dichters auf das lebendigste vertraut machen.
Dortmunder Zeitung. Morgen-Ausgabe 07.10.1919
Castelles Vortrag würde gut zu Blumes Löns-Liedern passen. Aber niemand kommt auf die Idee, beides zu kombinieren. Die harmlos-fröhlichen Lieder von köstlicher Naivität, die Blume zum Besten gibt, passen ja auch nicht wirklich zu tiefen Schicksalen und nach Gestaltung ringender Dichterart. Noch nicht.
Karl Blume: Spielmann im Frack

Anderthalb Jahre später, Ende März 1921, Blume in Bielefeld. Beide Besprechungen in der Volkswacht und der Westfälischen Zeitung heben den tosenden Beifall und die Zugabenwünsche hervor. Da versteht es einer, die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Blume „wurde oft belohnt durch stürmischen, fast nicht endenwollenden Beifall“, das „Auditorium — war dankbar und erklatschte sich manche Zugabe.“
„Lieder zur Laute“: Ein buntes Programm
Wie schafft Blume das nur?
- Immer wieder was Neues. „Wechselbunt war Blumes Programm: alte traut=anheimelnde Volksweisen, lustige Wander= und Soldatenlieder, leicht=schwermütige Balladen, Liedchen in verschiedener Mundart (westfälisch, lippisch und bayerisch).“
- Zum Mitsingen und mit Überraschungen. „Manches, das man kennt, das man oft von fröhlicher Wanderschar hat singen hören, vieles, das neu ist, für das Blume eigenartige feintönende Weisen geschrieben hat.“
- Soldatisches Marschieren, im Gleichschritt, fest und derb. „Eine besondere Stärke Karl Blumes sind seine Marschlieder. Wie er das Lied: „Musketier seins lust‘ge Brüder“ begleitete, war wirkungsvoll: Rhythmus – Gleichschritt – kein Stocken – ein festes, derbes Schreiten“.
Lönslieder kommen in Bielefeld nur am Rande vor, Blumes Vertonung des „Grenadier“ wird erwähnt. Die Trommeln und die Pfeifen passen halt gut zu den eigentlichen Publikumslieblingen, den lustigen Soldatenliedern. Neben den „Lipper Schützen“ sind das die „Musketier seins lustige Brüder“, wieder ein Lied, das im ersten Weltkrieg fester Bestandteil der Truppenbetreuung war. Die Musketiere haben es sogar in die inzwischen weit verbreitete Lautenfibel Zupfgeigenhansl geschafft.
Aus dem Fundus von Blumes Eigenkomposition heben die Rezensenten die „Drei Schneider vom Rhein“ nach einer spätromantischen Ballade von Carl Herloßsohn hervor. Immerhin drei Vagabunden. Und einen Refrain hat das Lied auch („Am Rhein, am Rhein“, „Im Wein, im Wein“). Fröhlichkeit steht im Vordergrund, nicht die traurig-süße Stimmung der Löns-Gedichte.
In der Hansestadt Hamburg marschiert Blume auf schwierigerem Pflaster. Liegt es daran, dass er von der dort ansässigen Familie seiner Frau protegiert wird? Ida bucht Karl lieber für die seriöse Musikhalle als die Reeperbahn. Ein Risiko. Im Oktober 1921 bekrittelt der gestrenge Musikkritiker W.V.T., eindeutig vom klassischen Fach, im Hamburger Echo erbarmungslos das Lautenspiel. „Sein Spiel ist Dilettantismus“, seine „Griff- und Anschlagtechnik zeigte Fehler“. Mensch Karl, pass doch auf!
Allerdings: Das könnte Erfolg haben! „Sein Spiel ist innerhalb seiner unzulänglichen Technik von einer gewissen Vollendung und ist dazu angetan, den Laien zu blenden“. Blendwerk in Vollendung. Wow! Ich bin Laie und lass mich gerne blenden. Man kann das „ganz leichte Niveau der Effekt-Lieder“ ablehnen, aber ich will genau das: Effekte! Und das kommt an. Knapp ein Jahr später, im Oktober 1922, berichtet dieselbe Zeitung anlässlich eines weiteren Blume-Konzerts von „einem zahlreichen Publikum“: „Der Beifall war groß“. Wenn kümmern da noch Unzulänglichkeiten der Anschlagtechnik? Auf der Reeperbahn hätte man das wohl gleich kapiert.
Im rheinischen Bonn, wo Blume am 21. November 1921 gastiert, ist man schon weiter. Die „Bonner Zeitung“ bestätigt, wie könnte es anders sein, den „vollen Erfolg“. Der Reporter hebt die Kombination von Blumes Talenten hervor. Sein Gesang „ist etwas dunkel gefärbt“, manchmal „zu heldenhaft“. Die „Konzert-Baß-Laute“ bietet „eine wunderbare Resonanz und Klangfarbe“. Und: „Sämtliche Lieder waren von dem vortragenden Künstler selbst gesetzt und zwar gut gesetzt.“ Alle Achtung!
Das Bonner Publikum liegt dem Lautensänger zu Füßen: „Reicher Beifall erscholl nach jedem Liede, oft derartig stark, daß er sich eine Zugabe abtrotzte und die waren noch schöner fast als die Programmstücke“. Auch den Zeitungskritiker lässt Blume begeistert dahinschmelzen: „Seine Fingerfertigkeit und leichte Instrumentierungsgabe entzückte, ja verblüffte“. Wen kümmert, dass Blume sich nicht auf die „Kunst des Pausierens“ versteht? Wer will denn eine Pause? Lieber noch eine Zugabe, Musikante!
Wenn da nicht Blumes unpassender Drang nach Seriösität wäre. Dieser Frack! Viel „zu feierlich!“ Den mag auch der Kollege vom Bonner „General-Anzeiger“ nicht. „Laute und Frack“, das beißt sich. „Frischfröhliche Spielmannsart, eher etwas salopp, um Gotteswillen kein steifes Frackhemd, Lackschuhe und so“. Mach mal locker, Blume. Sonst machst du die ganze „Stimmungswirkung“ kaputt. Für die Stimmung lieben die Leute dich, so rührst du die Herzen. „[W]o Blume sich nicht zeremoniell bewegte, wo er einfach und im Volkston blieb, erwies er sich als ein Könner mit starkem Gefühl, dessen anmutig-heitere Kunst das Herz in Schwingung setzte.“ Zieh den Frack aus, Blume, werde Popstar. Dieser „volksliedhafte Klang — ein bischen froh, ein bischen sentimental —“, hinreißend! Bittersüße Gefühle, Herzen in Schwingung. Mehr muss gar nicht sein.
„Lieder zur Laute“ als populäre Musik
Im Laufe der Zeit verschwinden die schlecht gelaunten Verbesserungsvorschläge. Karl wohnt mit Ida, seiner Frau und Managerin, mittlerweile in der Schadowstraße, an der zentralen Düsseldorfer Vergnügungsmeile. Hackes Festsäle und die Schadow-Lichtspiele liegen quasi nebenan. Die Wohnung ist gleichzeitig das Konzertbüro.
Von hier aus geht es regelmäßig auf Tour im Rheinland und in Westfalen, sogar in Süddeutschland tritt Blume mittlerweile auf. „Herr Blume hat hier sich begeisterte Freunde erworben, die ihn gern wiederhören werden“ (Bielefeld, Februar 1923). Im „gut besetzten Saale der Hochschule für Musik“ war der Beifall, natürlich, „stark und wohlverdient“ (Stuttgart, November 1924). „Karl Blume kann sicher sein, daß er in Mörs stets eine dankbare Gemeinde finden wird“ (Moers, Januar 1925).
Hat Blume den Frack abgelegt? Jedenfalls ist er jetzt tatsächlich so etwas wie ein Popstar. Volksliedhafter Klang, Effekte-Lieder zum Mitsingen. Alles selbstgemacht. Immer wieder gern. Das merkt auch die Presse. Vorbei die Zeiten der sauertöpfisch mäkelnden Musikkritik.
Fasziniert formuliert der Reporter F. aus Moers für seine Zeitung, den Grafschafter, im Januar 1925 die Definition einer ganz neuen Unterhaltungsmusik. Noch mit den staubigen Begriffen aus höherer Kritik und Bibelstunde.
- Musik für Jedermann. „Die Kunst des Lautensängers regt die Sinne des Zuhörers, ohne daß dieser ein großer Musikkenner zu sein braucht“.
- Flucht in die Sonntagsfantasie. Die Lieder sind „so recht geeignet, den Werkmenschen, der seine 6 Tage redlich geschafft hat, am 7. Tage für einige Stunden in eine andere Welt zu versetzen, die freier und leichter ist, als seine alltägliche, die, mit einem Wort gesagt ‚Sonntag‘ ist.“
- Musik, die einfach nur Spaß macht. „Es mag Leute geben, die ihm den Vorwurf machen, er vernachlässige das ernste Lautenlied gegenüber dem frohen und humorvollen. Demgegenüber sei betont, daß wir von dem Humor, den Karl Blume übermittelt, gar nicht genug bekommen können.“
Klingt nach einem Erfolgsrezept. Von Popstars weiß man damals noch nichts, nur von volksliedhaften Klängen, die die Sinne anregen, und der kleinen Sonntagsflucht. Wahrscheinlich weiß auch keiner, dass ein Popstar ein großes Publikum und einen Hit braucht.
Es spielt im Moment jedenfalls keine Rolle. Die Auftragsbücher sind voll.
Zum Inhaltsverzeichnis.
Zum nächsten Kapitel: Karl Blume als fahrender Sänger. Die Heide wird populär.
Abbildungsverzeichnis
Fotos von Karl Blume. Westfälisches Musikarchiv im Stadtarchiv Hagen.
Verwendete Literatur
- Düsseldorfer Zeitung. Morgenausgabe 22.12.1918: Anzeigen zu Vergnügungsstätten.
- Dortmunder Zeitung. Morgen-Ausgabe 07.10.1919, S. 2: „Konzerte. Varietes, Kinos usw.“. Karl Blume und Friedrich Castelle treten an zwei verschiedenen Tagen nacheinander auf.
- Oberhauser Zeitung 20.10.1919: Lieder zur Laute von Karl Blume.
- General-Anzeiger für Oberhausen, Sterkrade, Osterfeld, Bottrop und Umgegend 19.10.1919: Blumes Lieder zur Laute.
- Volkswacht, Organ der Sozialdemokratie für das östliche Westfalen und die lippischen Freistaaten, 30.03.1921, S. 4: „Lauten=Abend Karl Blume“.
- Westfälische Zeitung, Bielefelder Tageblatt 31.03.1921, S. 3: „Karl Blume – Lieder zur Laute“.
- Hamburger Echo. Morgen-Ausgabe, 27.10.1921, S. 2: „Karl Blume, Lieder zur Laute“.
- Hamburger Echo. Abend-Ausgabe 10.10.1922, S. 6: „Karl Blume, Lieder zur Laute“.
- General-Anzeiger 22.11.1921, S. 2: „Karl Blume: Lieder zur Laute“.
- Bonner Zeitung 22.11.1921, S. 7: „Karl Blume“.
- Bielefelder Abendzeitung 06.02.1923, S. 6: „K. Blume ‚Lustiger Liederabend‘ zur Laute“.
- Süddeutsche Zeitung 10.11.1924, S. 3: „Der Lautenliederabend von Karl Blume“.
- Der Grafschafter (Mörs) 27.01.1925, S. 6: „Lautenabend Karl Blume“.
Sabine Lenk: Vom Tanzsaal zum Filmtheater. Eine Kinogeschichte Düsseldorfs, Düsseldorf: Droste 2009, S. 111 (Kristall-Palast), S. 127-136 (Residenz-Theater), S. 273-279 (Apollo-Theater), S. 320-325 (Schadow-Lichtspiele), S. 328-331 (Kaisersaal der Städtischen Tonhalle)
Robert Nonnenbruch: Mein Vortragsbuch, Düsseldorf: Selbstverlag des Verfassers 1921.
- S. 22-23: Sie soll’n ihn nicht haben!
- S. 50: Mahnung.
- S. 69-70: Des Sängers Fluch.
- S. 80-82: Der Taucher.
Robert Nonnenbruch: Des Sängers Fluch. Schellackplatte, ca. 1927 (Grammophon Best. Nr. 21114, Katalog Nr. B 46735, Matrize Nr. 1244b). Link zur Deutschen Nationalbibliothek. Texttranskript bei Youtube.
Tobias Widmaier: Zu Siebzig, da zogen die Lippischen Schützen (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. Link zum historisch-kritischen Liederlexikon.
Karl Blume, Lipper Schützen. Kristall Best.-Nr. 9021, Matrize 2338G. Schellack-Aufnahme von 1936. Public Domain. Link zum Internet Archive.