Berichte über die erste Löns-Gedächtnisfeier in Münster 1916
Über Friedrich Castelle und seine Löns-Gedächtnisfeiern.
Zu den Monarchen der Heide.
Die Löns=Feier der Literarischen Gesellschaft.
Der von der Literarischen Gesellschaft zu Münster veranstaltete Hermann Löns=Abend gestaltete sich zu einer würdigen, weihevollen Gedächtnisfeier für den auf dem Felde der Ehre gefallenen Dichter. Herr Dr. Castelle verstand es meisterhaft, durch seine einleitenden Worte die rechte Stimmung zu erwecken und den Werken des Dichters den Weg zum Herzen der Hörer zu ebnen. In kurzen Zügen das Wesentliche im Werdegang von Hermann Löns streifend, gab er ein gutgezeichnetes, wohl abgerundetes Bild vom Leben, Dichten und Streben des Künstlers, der ein Kämpfer war bis zum letzten Atemzuge, der einen Tod in Schönheit fand, wie er ihn sich immer geträumt hatte, und dem dennoch die Klage des Freundes1 in das Grab nachklingt:
O Tod! Das hast du schlecht gemacht,
So schöne Kraft für nichts geacht‘t,
Viel Kräuter blühen, hundertweis,
Was rauftest du dies Edelreis?!
Herr Dr. Castelle, der dem von uns gegangenen Dichter in jahrelanger Freundschaft nahestand, teilte manches aus seinem persönlichen Verkehr mit Löns mit, kleine, intime Züge, durch die das Bild des Dichters doppelt reizvoll und lebendig vor unsere Seele trat.
Die Lieder von Löns müssen gesungen werden. Die Stimmung, die in ihnen eingefangen ist, wird erst dann zur vollen Wirkung frei; ihre tiefere Melodie klingt und schwingt erst dann in voller, herber Schönheit. Und kaum ein geeigneteres Instrument für diese Lieder dürfte es geben als die Laute. So war denn der Gedanke, die Löns=Gedichte durch einen Lautenchor zum Vortrag zu bringen, recht glücklich. Liebeslust und Liebesleid, Erinnerung an alte, unnennbare Tage erwachsen aus den Saiten und griffen an aller Herz. Nur noch Möricke hat diese Tiefe bei der größten Einfachheit der Mittel erreicht.
Der Berliner Lautenchor, dessen Leiter, Musikdirektor Max Battke, einer der eifrigsten Vorkämpfer für die Löns‘sche Volksliedkunst ist, sang eine Reihe der besten Lieder des Dichters in den Vertonungen von Battke. Zwar litten die gesanglichen Darbietungen anfangs unter widrigen Zufälligkeiten. Infolge großer Zugverspätungen traf der Chor erst um 8 Uhr abends in Münster ein, daher auch die Verzögerung des Beginns der Feier. Außerdem beeinflußte der große Temperaturunterschied zwischen Stimmzimmer und Vortragssaal die Stimmung der Lauten. Immerhin sangen die zwölf jungen Damen die Lieder ihres Meisters mit Frische und Empfinden. Sie verstanden es, der Eigenart der einzelnen Lieder2 ausgezeichnet gerecht zu werden. Die übersprudelnde Lebendigkeit und Lebensfreude des „Ulanenliedes“, den bittersüßen Unterton des „Liedes von der Nachtigall“, das wiederholt werden mußte, den schmerzvollen Trotz verschmähter Liebe in dem Gedichte „Der eine allein“, Trauer, Verzweiflung, nie enden wollendes Leid im „Irrlicht“, das von männlichem Willen und Ernst gebändigte Abschiedsweh in dem unvergleichlichen „Matrosenlied“ — diese ganze Buntheit brachten sie gut zum Ausdruck und waren selbst mit ganzem Herzen dabei.
Den tiefsten Eindruck auf die Zuhörer aber machten unstreitig die Vorträge von Herrn Dr. Castelle aus den Prosawerken von Hermann Löns. Das Kapitel aus dem Roman „Der Werwolf“ trifft wunderbar die Stimmung, die gerade in gegenwärtiger Zeit uns alle durchbebt; es ist eine feine Hand gewesen, die es gerade für diesen Abend ausgewählt hat. Die vollendete, reife Vortragskunst des Herrn Dr. Castelle hielt die Hörer vom ersten bis zum letzten Wort in atemloser Spannung. Für viele mag hier zum ersten Male der Krieg Plastik, lebendige Anschauung und farbige Vorstellung gewonnen haben, gewiß eine Wirkung, die dem Dichter und seinem warmherzigen, alle Mittel der Vortragskunst glänzend beherrschenden Wegbereiter gleichermaßen zum Lobe spricht. Der unbeugsame Wille, die bis zum letzten Nerv gespannte Energie des Wulfbauern, die Greuel der Kämpfe selbst, rührende Züge wie das müde Zubettgehen des Wulfbauern, als der lang erhoffte, ersehnte, erbetete Frieden wirklich und wahrhaftig da ist und der Wulfbauer sein Werk getan hat und schlafen gehen darf, feine Naturbeobachtungen, das alles kam in seinem Farbenreichtum überaus wirkungsvoll, ja geradezu meisterhaft zur Geltung. Nicht enden wollender Beifall rief denn auch Herrn Dr. Castelle nochmals heraus.
„Hubb, der Hüne“ kann nicht die Aktualität der Szene aus dem „Werwolf“ beanspruchen, aber gerade als Gegensatz zu dieser war es gut gewählt. Es ist eine Idylle von wunderbar feinem Humor und führt aus der Gegenwart — der Wulfbauer war Gegenwart — in die Märchen= und Traumwelt. Auch hier ist der Dichter und sein Vermittler durchaus zuhaus. Wie der plumpe Riese da unten, für den die Jahrhunderte Stunden sind, haust und nach dem gewaltigen Irrtum über das Groß=Reinemachen seiner Frau, deren Migräne — eine Migräne von mindestens 300jähriger Dauer — er um ein Haar hervorgerufen hätte, über die frechen Menschlein ergrimmt und sie tottritt wie die Fliegen, worauf dann im Menschenland ein Telegramm über ein Grubenunglück infolge eines großen tektonischen Erdbebens die Kuxen3 der Gewerkschaft„Eulalia“ auf den Nullwert sinken läßt, das macht alle Herzen hell und heiter, und man fühlte sich heimisch in dieser Märchenwelt.
Alles in allem: Der Lautenchor hatte recht gute Leistungen aufzuweisen, aber von dem Dichter Löns selbst abgesehen, gebührt der Preis dieses Abends entschieden seinem Interpreten, Herrn Dr. Castelle. Der Gedanke liegt nahe, den Abend an anderen Orten zu wiederholen. Die Veranstalter würden sich dadurch ein Verdienst um den Dichter, dem das Bürgerrecht in jedem deutschen Hause gebührt, erwerben. Welches Interesse dem Abend entgegengebracht wurde, bewies der bis auf den letzten Platz besetzte Saal: man darf wohl mit Recht anderwärts ein nicht minder starkes Interesse erwarten.
Dr. Sch.
Münsterischer Anzeiger, Mittwoch 12.01.1916
Löns-Gedächtnisfeier
Eine Löns-Gedächtnisfeier voll eigener Art und tiefer künstlerischer Eindrücke veranstaltete die Literarische Gesellschaft in Münster. Löns hatte in Münster den größten Teil seiner Studien- und Entwicklungsjahre verlebt und sich immer als Westfale gefühlt. Durch einen Berliner Lautenchor ließ die Gesellschaft die schönsten Volkslieder aus dem Kleinen Rosengarten, die der Begründer des Chors, Mar Battke=Berlin vertont und für die Laute gesetzt hat, singen. Sie erfüllte so den Lieblingswunsch des am 26. September 1914 im Alter von 47 Jahren als Kriegsfreiwilliger vor Reims gefallenen Dichters. Die starke Persönlichkeit, die sich in dem Menschen und Dichter Löns bei aller Zwiespältigkeit des äußern Wesens als zwingende, unbeugsame Kraft und inbrüstige Geschlossenheit offenbart, erschloß mit ergreifenden Freundesworten der münsterische Schriftsteller Dr. Friedrich Castelle, der obendrein in Stücken aus den Prosawerken von Hermann Löns die fast tausendköpfige Zuhörerschaft als Vortragskünstler von reicher technischer Ausdrucksfähigkeit und nachschöpferischer Innerlichkeit mit sich fortriß.
Kölnische Zeitung (Erste Morgenausgabe). Donnerstag 20.01.1916.
Anmerkungen
- Das Zitat stammt aus einem Gedicht des nationalkonservativen Hamburger Schriftstellers Gustav Falke, der es 1906 kurz nach dem Tod seines Dichterfreunds Fritz Stavenhagen verfasst. Es ist erstmals publiziert in: Gustav Falke, Frohe Fracht, neue Gedichte, Hamburg: Janssen 1907, S. 29. Link zum Internet Archive. Das Gedicht wird aufgrund der Vertonung durch den Komponisten Fritz Jürgens als bekannt vorausgesetzt: Fritz Jürgens, Gedichte von Gustav Falke. Für eine Singstimme und Klavier, Mainz: Schott 1911. ↩︎
- Die Titel der am Abend gesungenen Löns-Lieder sind nicht exakt wiedergegeben. Gemeint sind die folgenden Lieder aus dem „Kleinen Rosengarten“:
„Ulanenlied“: Ulananeinmaleins (Eins, zwei, drei und vier), S. 41
„Lied von der Nachtigall“: Die Nachtigall (Was ist das für ein süßer Schall), S. 48
„Der eine allein“: Der eine allein (Wenn alle nach mir sehen), S. 41
„Irrlicht“: Das Irrlicht (Hier und da, hier und da), S. 31
„Matrosenlied“: Matrosenlied (Heute wollen wir ein Liedlein singen), S. 67 ↩︎ - Kux: Wertpapier über den Anteil an einer bergrechtlichen Gewerkschaft ↩︎
Quellennachweis
Dr. Sch.: Die Löns=Feier der Literarischen Gesellschaft. In: Münsterischer Anzeiger, Mittwoch 12.01.1916, S. 2. Link zum Deutschen Zeitungsportal.
Löns-Gedächtnisfeier. In: Kölnische Zeitung (Erste Morgenausgabe), Donnerstag 20.01.1916, S. 7. Link zum Deutschen Zeitungsportal.