Die Heide im Schützengraben: Karl Blume, Komponist und Truppenbetreuer


Die Heide im Schützengraben: Karl Blume, Komponist und Truppenbetreuer

September 1934, Blume plaudert mit einem Reporter im Bonner Cafehaus über seinen Erfolg. Im Hintergrund dudelt „auf dem elektrischen Grammophon im Cafee „Grün ist die Heide“, eine kleine Aufmerksamkeit des Personals.“ Der Fluch des Erfolgs. Blume zum Reporter: „Es wird Sie sicherlich interessieren, wie und wann ich zu der Komposition dieses Liedes „Grün ist die Heide“ gekommen bin“. Richtig geraten. Mach‘s nicht so spannend.

Blume, der „lang[e] Kerl“, zieht seine Brieftasche hervor, die hat „beleibten Umfang“, „ein kleines Archiv“. „Er reicht mir eine Photographie, die ihn mit einer Laute im Felde unter Kriegskameraden zeigt.“ Blume, die Klampfe in der Hand, fernab der Heide, mitten im Krieg. „Auf dieser Laute habe ich „Grün ist die Heide“ komponiert“. Umtöst von Granaten und Schrapnell. Der Reporter beißt an. Was für eine Geschichte!

Dieses herrliche Volkslied ist heute in jedermanns Munde, alle Welt kennt es, überall, wo Deutsche wohnen, wird es gesungen. Jede Kapelle, jeder Straßensänger, die Grammophonplatte und jede Drehorgel läßt es ertönen. Und mitten im Kriege ist es entstanden, eine zarte, sentimentale Melodie wurde geboren unter Begleitung von Granat- und Schrapnellfeuer.

„1915 war’s“, so holte Karl Blume aus, „auf der Höhe 363. Ich sang es meinen Kameraden zur Laute, und die waren meine ersten Begutachter und Kritiker, und ich muß sagen: es ist eingeschlagen wie eine Granate. Es hat sofort ihren Beifall gefunden, und ich mußte es immer wieder singen, wenn uns der Kopf nach Musik stand. In späteren Kriegsjahren zog ich auf Befehl des Armee-Oberkommandos als fahrender feldgrauer Sänger von Feldlager zu Feldlager in West und Ost und trug so das Heideleid unter die Kameraden aller Fronten.“

Karl Blume der beste Barde Löns‘, Deutsche Reichszeitung 27.09.1934, S. 4

Heideleid im Feldlager, schlägt ein wie eine Granate. Wo Orte nur noch Nummern tragen. Ein Hit. Jetzt singen ihn alle Deutschen. Oder hören ihn am Grammophon.

Eine gute Geschichte kann man ruhig mehrmals erzählen. In Blumes Erinnerungen wird das ganze noch ein bisschen mehr ausgeschmückt. Alles fängt an im Schützengraben –

mir träumte, ich sei wieder daheim, ging durch den Wald – dann tauchte die Heide vor mir auf und eine unstillbare Sehnsucht nach der Heimat ergriff mich … ich vernahm das Summen der Biene, die Landschaft strömte selbst im Träume einen süßen Honigduft aus – es ruschelte in der Heide, raunte in den Kronen der Birken – und die Grillen zirpten einen wunderliche Weise – über mir stand der rosablaue Himmel – – ich fühlte mich unbeschreiblich glücklich und geborgen – –.
Da schlug neben mir eine Granate ein, der Traum versank in Sand und Asche – ich war unverletzt, nur ein Stein traf mich etwas unsanft am Kopfe … das alles berührte mich nicht …
„Grün ist die Heide“ klang es in mir und formte sich zur Musik – ganz von selbst – die Worte meines Freundes Hermann Löns setzten sich weiter fort … ich summte sie als Melodie leise vor mich hin …
„Gib mir mal schnell Papier und Bleistift!“ forderte ich einen Kameraden auf.
„Bist Du verrückt geworden, Musikante?“ kam die durchaus richtige Antwort. Dann erhielt ich ein schmuddeliges Stück Papier und einen Bleistiftstummel.

Die bekannten Gegensätze: Hier der Sound der Heide, Ruscheln, Raunen, Zirpen. Rosarot. Dort der Soldat im Krieg, Granaten, Kameraden, Schmuddelpapier. Und mittendrin das Lied, Sehnsucht und Hoffnung auf eine Rückkehr nach Hause. Ein Lönslied als Trost.

Und so kritzelte ich meinen Einfall auf, inmitten des Geschützdonners auf der Höhe 363 – in Frankreich, während des ersten Weltkrieges … beim Krachen der Bomben und Granaten – doch ich fühlte nur die Musik, die mir die Sehnsucht nach Wald und Heide, nach Ruhe und Frieden eingab … „Herrgott, laß mich meine Heide wiedersehen“, stammelte ich, und verbarg die Komposition des mir seit langem am Herzen liegenden Gedichts unter meiner Uniformjacke.

Blumes Song erregt Aufsehen, noch im Krieg gibt es frühe Erfolge.

Auf Befehl sang ich das neue Lied am Abend in einer Scheune, die als Kasino diente. Es herrschte lautlose Stille, alle gingen mit mir in Gedanken über die Heide, nahmen Abschied von der Liebsten – meine Melodie trug sie in den Frieden … Der Hauptmann drückte mir die Hand, dankte im Namen der Kameraden und fragte mich, ob ich schon einen Verleger hätte, dem ich es anbieten könnte. „Wenn nicht, schicken Sie es doch an meinen Vater, Heinrichshofen’s Verlag, Magdeburg. Vielleicht packen Sie noch ein paar andere Manuskripte hinzu. Sie sind ein Mann, der einen ans Herz greift.“

[Nach einer Verwundung] wurde ich vom aktiven Dienst zurückgestellt und fürs AOK als Sänger abkommandiert. Überall, sowohl an der Front wie in der Etappe erklangen nun meine Heide- und Soldatenlieder, doch den größten Beifall erhielt „Grün ist die Heide“, wenn sich der Jubel auch manches Mal erst nach einer lautlosen Atempause loslöste.

Mögen da auch Gedanken über die Heide gehen, der Krieg ist der Dreh- und Angelpunkt von Blumes Song. Erklingt das Lied, denken Rekruten an die Liebste daheim. Der Verleger, der die Melodie als sheet music publiziert: Ein Kriegskontakt. Blumes erste Auftritte und Konzerte mit Liedern zur Laute: Dank seiner Verpflichtung als Truppenbetreuer beim Armee-Oberkommando. Und Blumes wichtigste Qualifikation: Er ist ein Mann, der ans Herz greift. Übergriffig. Ob du willst oder nicht. Bei dem einem der Atem stockt. Und das alles auf Befehl, an der Front und auf Etappe. Spiel auf, Musikante!

1934, in der Rückschau, aus dem Bonner Cafehaus, scheint sich alles um „Grün ist die Heide“ zu drehen. Das täuscht. Der Song mag Blume schon 1915 im Schützengraben geschrieben haben. Für seine Karriere spielt er lange keine Rolle.

Blume wird am 13. Oktober 1883 in Osnabrück geboren. Schon als kleiner Junge, erzählt man sich, marschierte er fröhlich einer Regimentskapelle hinterher. Mit 8 Jahren erhält er seinen ersten Violinenunterricht bei Musicus Lutter. In der Stadtkapelle Quakenbrück lernt der junge Mann später zusätzlich das Posaunespielen. Es folgen Engagements als Orchestermusiker und als Konzertmeister für Kurorchester. Nach einem Studium des Gesangs gelingt Blume die Festanstellung beim Städtischen Orchester Düsseldorf. Mit Pensionsberechtigung. Er hat ausgesorgt.

Der Krieg ändert alles. Blume, der nach seiner Verletzung in die Truppenbetreuung wechselt, erkennt das Potential seiner Lieder zur Laute.

Eine schöne Stimme hat er sowieso, die Lautenbegleitung fällt dem gelernten Violinisten nicht schwer. Im Krieg feiert er große Erfolge beim Soldatenpublikum. Er weiß, wie man sein Publikum begeistert, wie man an tiefe Gefühle rührt, Emotionen managt. Bei der Truppenbetreuung lernt er, die Konzert-Baß-Laute wirkungsvoll einzusetzen, die einen verlängerten, schiefen Gitarrenhals hat. Ihre Resonanz und Klangfarbe ist viel kräftiger als bei einer gewöhnlichen Laute und trägt den Sänger auch vor größerem Publikum.

Mehr noch. Was Blume selbst komponiert, kann er in Form von sheet music teuer verkaufen. Viele Leute machen Hausmusik, gerne auch auf der Laute, dafür brauchen sie Noten. Kopieren könnten sie das nur von Hand! Da gehe ich doch lieber in den örtlichen Musikalienhandel. Der richtet passenderweise gerne Konzertabende aus, bei denen Leute wie Blume ihre Kompositionen vorstellen können.

Schließlich: Mit den Liedern zur Laute ist Blume ganz vorne mit dabei. Dank Wandervögeln, Jugendbewegung und Betreuergitarre ist das Interesse an Liedern zum Mitsingen im Volksliedstil so groß wie noch nie. Blume, der studierte Musicus, kennt sich aus mit leichten, eingängigen Melodien.

Natürlich gibt es erst mal Ärger zuhause, als er aus dem Krieg zurückkehrt und seiner Familie beichtet, dass er die Stelle in Düsseldorf drangeben will. Egal, sein Entschluss steht fest.

Karl lernt in einem Düsseldorfer Kaufmannshaus die schöne Ida-Elisabeth aus Hamburg kennen. Sie ist zu Besuch bei Geschäftsfreunden ihres Vaters. Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Sie haben beide dasselbe Ziel: Wie kann man mit Kunst und Musik ein gutes Geschäft machen? Ida hat die Handelsschule absolviert und arbeitet im Büro ihrer Familie. Gerne würde sie schauspielern und verfügt über gute Kontakte zur jungen Hamburger Filmszene.

Karl und Ida heiraten, Ida wird Karls Managerin. Ein kluger Schachzug. Sie bucht die Konzerte und übernimmt die Kontaktpflege zu den Verlegern der sheet music. Schreibt den Terminkalender, kontrolliert Tantiemen und Einnahmen. Hamburger Kauffrau eben. Karl kann sich ganz auf die Musik konzentrieren, während sie an der Karriere bastelt.

Karriere, das bedeutet fürs erste: Konzerte, Tourneen, den Notenverkauf ankurbeln. Mit Liedern zur Laute. Das ist gerade das Neuste. Das kommt an.

Blume ist zu diesem Zeitpunkt kein Heidelyriker. Auch eher nicht ein Vertoner von Löns-Lieder. Notenhefte publiziert Blume seit 1916, erst über den rheinischen MusikaIienhandel, dann bei Hinrichshofen in Magdeburg. Die Texte holt er sich von überall her. Ab und zu ist ein Löns-Lied dabei. Erst im dritten Hinrichshofen-Heft, im November 1919, erscheint „Grün ist die Heide“, noch unter dem Titel „Das Geheimnis. Als ich gestern einsam ging“. Mag sein, dass Blume es schon 1915 komponiert hat. Für die Publikation wählt er es erst jetzt aus. Und es ist ein Lied unter vielen.

Zum Inhaltsverzeichnis.

Zu Kapitel 5: Karl Blume und seine Lieder zur Laute: Die Heide auf Tour.

Verwendete Literatur

Recherche im Deutschen Zeitungsportal.

  • Deutsche Reichszeitung (Bonner Stadt-Anzeiger, Sieg-Rhein-Zeitung, Godesberger Volkszeitung) 27.09.1934, S. 4: „Karl Blume der beste Barde Löns‘“.

Peters-Arnolds, Henry: Karl Blume. Komponist des Löns-Liedes „Das Geheimnis“. Zu seinem 100. Geburtstag am 13.10.1983, Hagen: Westfälisches Musikarchiv 1983.

  • Komposition des Lieds „Grün ist die Heide“, S. 9 und 11.
  • Kontakt zu Adalbert Lutter in Berlin 1932, S. 14.
  • Ida Blumes Herkunft und ihre erste Begegnung mit Karl, S. 23.
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