Die Heide im Schützengraben: Karl Blume, Komponist und Truppenbetreuer


Die Heide im Schützengraben

Karl Blume, Komponist und Truppenbetreuer

„Grün ist die Heide“, das „populärste Lied der Deutschen“, wird vom Düsseldorfer Musiker Karl Blume 1915 im Schützengraben komponiert.

Die Heide ist das ideale Kontrastprogramm zur Wirklichkeit im Schützengraben, ein Sehnsuchtsort und Fluchtraum. Das gilt erst recht nach Ende des Krieges.

Der außergewöhnliche Zuspruch, den Blume als Truppenbetreuer bei seinen Kriegskameraden an der Front in Lothringen findet, lässt ihn umdenken. Blume wechselt das Fach, vom Orchestermusiker zum fahrenden Sänger mit „Liedern zur Laute“.

Entscheidende Unterstützung kommt von einer hübschen Hamburger Kaufmannstochter.

Inhalt

Mit der Laute im Schützengraben

September 1934, der berühmte Sänger Karl Blume plaudert mit einem Reporter im Bonner Cafehaus über seinen Erfolg. Im Hintergrund dudelt „auf dem elektrischen Grammophon im Cafee „Grün ist die Heide“, eine kleine Aufmerksamkeit des Personals.“ Der Fluch des Erfolgs. Blume zum Reporter: „Es wird Sie sicherlich interessieren, wie und wann ich zu der Komposition dieses Liedes „Grün ist die Heide“ gekommen bin“. Richtig geraten. Mach‘s nicht so spannend.

Blume, der „lang[e] Kerl“, zieht seine Brieftasche hervor, die hat „beleibten Umfang“, „ein kleines Archiv“. „Er reicht mir eine Photographie, die ihn mit einer Laute im Felde unter Kriegskameraden zeigt.“ Blume, die Klampfe in der Hand, fernab der Heide, mitten im Krieg. „Auf dieser Laute habe ich „Grün ist die Heide“ komponiert“. Umtöst von Granaten und Schrapnell. Der Reporter beißt an. Was für eine Geschichte!

Dieses herrliche Volkslied ist heute in jedermanns Munde, alle Welt kennt es, überall, wo Deutsche wohnen, wird es gesungen. Jede Kapelle, jeder Straßensänger, die Grammophonplatte und jede Drehorgel läßt es ertönen. Und mitten im Kriege ist es entstanden, eine zarte, sentimentale Melodie wurde geboren unter Begleitung von Granat- und Schrapnellfeuer.

„1915 war’s“, so holte Karl Blume aus, „auf der Höhe 363. Ich sang es meinen Kameraden zur Laute, und die waren meine ersten Begutachter und Kritiker, und ich muß sagen: es ist eingeschlagen wie eine Granate. Es hat sofort ihren Beifall gefunden, und ich mußte es immer wieder singen, wenn uns der Kopf nach Musik stand. In späteren Kriegsjahren zog ich auf Befehl des Armee-Oberkommandos als fahrender feldgrauer Sänger von Feldlager zu Feldlager in West und Ost und trug so das Heideleid unter die Kameraden aller Fronten.“

Karl Blume der beste Barde Löns‘, Deutsche Reichszeitung 27.09.1934, S. 4

Heideleid im Feldlager, schlägt ein wie eine Granate. Wo Orte nur noch Nummern tragen. Ein Hit. Jetzt singen ihn alle Deutschen. Oder hören ihn am Grammophon. Angefangen hat alles im Auftrag des Armee-Oberkommandos. Als fahrender Sänger an der deutsch-französischen Front, 1915, in Lothringen.

Karl Blume im Schützengraben: Sehnsucht nach der Heide

Ein Foto zeigt Karl Blume während des 1. Weltkriegs an der Straße nach Homécourt. Die Stadt im Elsass ist zu diesem Zeitpunkt ein deutscher Grenzort zu Frankreich, die Kriegfront weniger als 40 km weit entfernt. Soldaten haben sich vor einem Ladengeschäft an einer Straßenecke aufgebaut. Karl Blume steht im Zentrum der Gruppe. Im feldgrauen Soldatenmantel, auf einem Tisch als Bühne, mit der Gitarre in der Hand. Ringsum posieren Soldaten in Uniform, einige wenige Frauen mit Schürze.

Höhe 363, wo Karl Blume 1915 stationiert ist, liegt in der Nähe der französischen Stadt Pont-à-Mousson (Mussenbrück) in einem riesigen Waldgelände, dem Bois-le-Prêtre (Priesterwald) in Lothringen. Im Priesterwald findet der verlustreichste Stellungskrieg der ersten Kriegsmonate statt. Von September 1914 bis Juli 1915 verlieren 14 000 Soldaten auf beiden Seiten ihr Leben. Vom Wald sind bald nur noch Baumstümpfe übrig, Bomben und Granaten haben alle Bäume zerfetzt.

Unter den Kämpfenden befinden sich der junge Schriftsteller Ernst Toller. In seiner Autobiographie „Eine Jugend in Deutschland“ von 1933 erinnert sich Toller an die Zeit im Schützengraben und beschreibt, wie er und seine Kameraden mit dem alltäglichen Sterben umzugehen versuchen. Er zieht eine Parallele zwischen den zerstörten Bäume und den im Krieg Gefallenen:

Ein Wald ist ein Volk. Ein zerschossener Wald ist ein gemeucheltes Volk. Die gliedlosen Stümpfe stehen schwarz im Tag, und auch die erbarmende Nacht verhüllt sie nicht, selbst die Winde streichen fremd über sie hinweg. Durch einen dieser zerschossenen Wälder, die überall in Europa verwesen, den Priesterwald, ziehen sich die Schützengräben der Franzosen und der Deutschen. Wir liegen so nahe beieinander, daß wir, steckten wir die Köpfe aus den Gräben, miteinander sprechen könnten, ohne unsere Stimme zu erheben.

Der Aufenthalt im Schützengraben ist hart.

Wir schlafen aneinandergekauert in schlammigen Unterständen, von den Wänden rinnt Wasser, an unserem Brot nagen die Ratten, an unserem Schlaf der Krieg und die Heimat. Heute sind wir zehn Mann, morgen acht, zwei haben Granaten zerfleischt. Wir begraben unsere Toten nicht. Wir setzen sie in die kleinen Nischen, die in die Grabenwand geschachtet sind für uns zum Ausruhen.

Auch Blume notiert später Erinnerungen an die Kämpfe im Priesterwald. Wie Toller erinnert er sich lebhaft an den Granatenhagel, die Bombenwürfe und das Kauern im Schützengraben. Aber da, wo Toller besonders genau hinguckt, eröffnet sich Blume lieber eine Sehnsuchtslandschaft, einen Imaginationsraum, die Heide als Fluchtwelt.

Eine gute Geschichte kann man ruhig mehrmals erzählen. In Blumes schriftlichen Erinnerungen wird die Geschichte, wie er „Grün ist die Heide“ komponiert hat, noch ein bisschen mehr ausgeschmückt. Wie jeder gute Geschichtenerzähler nimmt er es mit der Wahrheit nicht ganz so genau. Hermann Löns hat Blume nie persönlich getroffen. Und die Heide kennt er höchstens aus seiner Jugendzeit in Osnabrück. Wen kümmert’s? Es geht um das Gefühl, die Sehnsucht nach zuhause. Und die tröstende Musik.

Alles fängt an im Schützengraben, damals, 1915 im Priesterwald –

mir träumte, ich sei wieder daheim, ging durch den Wald – dann tauchte die Heide vor mir auf und eine unstillbare Sehnsucht nach der Heimat ergriff mich … ich vernahm das Summen der Biene, die Landschaft strömte selbst im Träume einen süßen Honigduft aus – es ruschelte in der Heide, raunte in den Kronen der Birken – und die Grillen zirpten einen wunderliche Weise – über mir stand der rosablaue Himmel – – ich fühlte mich unbeschreiblich glücklich und geborgen – –.
Da schlug neben mir eine Granate ein, der Traum versank in Sand und Asche – ich war unverletzt, nur ein Stein traf mich etwas unsanft am Kopfe … das alles berührte mich nicht …
„Grün ist die Heide“ klang es in mir und formte sich zur Musik – ganz von selbst – die Worte meines Freundes Hermann Löns setzten sich weiter fort … ich summte sie als Melodie leise vor mich hin …
„Gib mir mal schnell Papier und Bleistift!“ forderte ich einen Kameraden auf.
„Bist Du verrückt geworden, Musikante?“ kam die durchaus richtige Antwort. Dann erhielt ich ein schmuddeliges Stück Papier und einen Bleistiftstummel.

Die bekannten Gegensätze: Hier der Sound der Heide, Ruscheln, Raunen, Zirpen. Rosarot. Dort der Soldat im Krieg, Granaten, Kameraden, Schmuddelpapier. Und mittendrin das Lied, Sehnsucht und Hoffnung auf eine Rückkehr nach Hause. Ein Lönslied als Trost. Die Heide steht weniger für die reale Lüneburger Heide als für ein friedliches Leben in der Heimat, fernab vom Krieg.

Und so kritzelte ich meinen Einfall auf, inmitten des Geschützdonners auf der Höhe 363 – in Frankreich, während des ersten Weltkrieges … beim Krachen der Bomben und Granaten – doch ich fühlte nur die Musik, die mir die Sehnsucht nach Wald und Heide, nach Ruhe und Frieden eingab … „Herrgott, laß mich meine Heide wiedersehen“, stammelte ich, und verbarg die Komposition des mir seit langem am Herzen liegenden Gedichts unter meiner Uniformjacke.

Blumes Song erregt Aufsehen, noch im Krieg gibt es frühe Erfolge.

Auf Befehl sang ich das neue Lied am Abend in einer Scheune, die als Kasino diente. Es herrschte lautlose Stille, alle gingen mit mir in Gedanken über die Heide, nahmen Abschied von der Liebsten – meine Melodie trug sie in den Frieden … Der Hauptmann drückte mir die Hand, dankte im Namen der Kameraden und fragte mich, ob ich schon einen Verleger hätte, dem ich es anbieten könnte. „Wenn nicht, schicken Sie es doch an meinen Vater, Heinrichshofen’s Verlag, Magdeburg. Vielleicht packen Sie noch ein paar andere Manuskripte hinzu. Sie sind ein Mann, der einen ans Herz greift.“

Mögen da auch Gedanken über die Heide gehen, der Krieg ist der Dreh- und Angelpunkt von Blumes Song. Erklingt das Lied, denken Rekruten an die Liebste daheim. Der Verleger, der die Melodie als sheet music publiziert: Ein Kriegskontakt. Der erste Auftritt mit dem neuen Song: Abends im Scheunen-Kasino. Blumes wichtigste Qualifikation: Er ist ein Mann, der ans Herz greift. Übergriffig. Ob du willst oder nicht. Bei dem einem der Atem stockt. Und das alles auf Befehl, an der Front und auf Etappe. Spiel auf, Musikante!

Karl Blume als Truppenbetreuer

Aus dem ersten Auftritt im Scheunen-Kasino wird ein längerfristiger Sonder-Kriegseinsatz. Blume wird als Truppenbetreuer an das Armee-Oberkommando abkommandiert. Das Lautenspiel wird sein Kriegsdienst:

[Nach einer Verwundung] wurde ich vom aktiven Dienst zurückgestellt und fürs AOK als Sänger abkommandiert. Überall, sowohl an der Front wie in der Etappe erklangen nun meine Heide- und Soldatenlieder, doch den größten Beifall erhielt „Grün ist die Heide“, wenn sich der Jubel auch manches Mal erst nach einer lautlosen Atempause loslöste.

Bei seinen Auftritten stellt Karl fest, wie gut seine Lieder beim Publikum ankommen. Und das, obwohl er bloß eine one-man-show anbietet. Bei der Truppenbetreuung lernt er, die Konzert-Bass-Laute wirkungsvoll einzusetzen, die einen verlängerten, schiefen Gitarrenhals hat. Ihre Resonanz und Klangfarbe ist viel kräftiger als bei einer gewöhnlichen Laute und trägt den Sänger auch vor größerem Publikum.

Ein Foto, 1917 im Priesterwald aufgenommen, macht das deutlich.

Die Szene mag arrangiert sein. Zu brav sind die Soldaten aufgereiht, zu verschmitzt blicken sie geradewegs zum Sänger. Alle mal kurz stillhalten. Wie auf Kommando. In den Gesichtern der Zuhörer lässt sich umso mehr die Freude und Begeisterung erkennen, bei Blumes Konzert dabei sein zu können. Die Front und das alltägliche Sterben sind ein paar Kilometer weit entfernt. Trotzdem wirken die Männer in Uniform wie verzaubert. Ein Sänger, eine Laute, einfache Soldaten- und Liebeslieder. Das genügt.

1934, in der Rückschau, aus dem Bonner Cafehaus, scheint sich alles um „Grün ist die Heide“ zu drehen. Das täuscht. Den Song mag Blume schon 1915 im Schützengraben geschrieben haben. Für seine Karriere spielt er lange keine Rolle.

Vom Orchesterviolinist zum fahrenden Sänger

Blume wird am 13. Oktober 1883 in Osnabrück geboren. Schon als kleiner Junge, erzählt man sich, marschierte er fröhlich einer Regimentskapelle hinterher. Mit 8 Jahren erhält er seinen ersten Violinenunterricht bei Musicus Lutter. In der Stadtkapelle Quakenbrück lernt der junge Mann später zusätzlich das Posaunespielen. Es folgen Engagements als Orchestermusiker, nur mit Streichern oder im großen Ensemble. Nach einem Studium des Gesangs gelingt Blume die Festanstellung beim Städtischen Orchester Düsseldorf. Mit Pensionsberechtigung. Er hat ausgesorgt.

Karl Blume mit Violine im Streichorchester (vor 1910)
Karl Blumes Anfänge, vor 1910. Mit Violine im Streichorchester, zweiter von links.

Der Krieg ändert alles. Blume, der nach seiner Verletzung in die Truppenbetreuung wechselt, erkennt das Potential seiner Lieder zur Laute. Eine schöne Stimme hat er sowieso, die Lautenbegleitung fällt dem gelernten Violinisten nicht schwer. Im Krieg feiert er große Erfolge beim Soldatenpublikum. Er weiß, wie man sein Publikum begeistert, wie man an tiefe Gefühle rührt, Emotionen managt.

Mehr noch. Was Blume selbst komponiert, kann er in Form von sheet music teuer verkaufen. Viele Leute machen Hausmusik, gerne auch auf der Laute, dafür brauchen sie Noten. Kopieren könnten sie das nur von Hand! Da gehe ich doch lieber in den örtlichen Musikalienhandel. Der richtet passenderweise gerne Konzertabende aus, bei denen Leute wie Blume ihre Kompositionen vorstellen können.

Schließlich: Mit den Liedern zur Laute ist Blume ganz vorne mit dabei. Dank Wandervögeln, Jugendbewegung und Betreuergitarre ist das Interesse an Liedern zum Mitsingen im Volksliedstil so groß wie noch nie. Blume, der studierte Musicus, kennt sich aus mit leichten, eingängigen Melodien.

Natürlich gibt es erst mal Ärger zuhause, als er aus dem Krieg zurückkehrt und seiner Familie beichtet, dass er die Stelle in Düsseldorf drangeben will. Egal, sein Entschluss steht fest.

Blume als Komponist von „Liedern zur Laute“

Ganz so plötzlich kommt Blumes Wechsel in die Selbstständigkeit ja auch gar nicht. Schon vor dem Krieg hat er begonnen, sich ein zweites Standbein mit „Liedern zur Laute“ aufzubauen. Und zwar so, wie er es später immer machen wird: Mit Publikationen und Liveauftritten rund um „Lieder zur Laute“. Mit einem breiten Programm und in Zusammenarbeit mit anderen. Von Düsseldorf aus, wo er wohnt und gute Kontakte hat.

Komponist Karl Blume, frühes Foto von 1910
Der junge Karl Blume, Spezialist für Lieder zur Laute. Erinnerungsfoto von 1910. Aufgenommen in einem mobilen Fotoatelier, wie sie in Vergnügungsparks und Lokalen aufgestellt waren.

Ende Juni 1912 erscheint beim Kölner Musikalienhändler Tonger ein handliches Taschenbuch: „100 Liedern zur Laute od. Gitarre. Gesetzt von Karl Blume“ mit Songs für jede Gelegenheit, parallel zum Zupfgeigenhansl, der Notenfibel der Jugendbewegung.

Blume setzt früh und mit sicherem Instinkt auf die Laute als neue Form der Unterhaltung: Blumes Sammlung, so die Werbeanzeige, „läßt das Instrument mitunter auch einmal etwas selbständiger auftreten, was für jeden Spieler einen besonderen Reiz hat.“

Nicht nur die Laute tritt selbstständiger auf, auch Blume, ihr Spielmann. Noch vor dem Krieg erscheinen zwei großformatige Hefte „Moderne Lieder zur Laute“ bei einem Duisburger Notenhändler, August 1912 und im April 1913.

Parallel dazu richtet Blume „Abende alter und moderner Lautenmusik“ im Düsseldorfer Ibach-Saal aus, einer erst vor wenigen Jahren neu eröffneten Spielstätte für Kammermusikkonzerte im Zentrum von Düsseldorf. Der Saal ist Teil des Ibach-Haus und trägt den Namen der dort ansässigen Klaviermanufaktur. Hier gehen die Düsseldorfer Musikliebhaber ein und aus. Durch die Konzertabende kann Blume sich bei der musikinteressierten Öffentlichkeit bekannt machen – und ganz nebenbei Werbung für seine Notenhefte machen.

Jeweils im April 1913 und 1914 zeigt Blume sein Können. Auffällig schon jetzt: Die Musikkritik reagiert eher verhalten: Seinen Gesang nennt ein Rezensent „dilettantisch“, seine Ausdrucksskala „beschränkt“. Aber die Zuhörer lieben Blume. Blume und der begleitende Violinist, so derselbe Rezensent, „fanden den lebhaftesten Beifall ihres Publikums“ (Düsseldorfer Generalanzeiger 4.4.1914).

Während des Krieges nutzt Karl Blume die ersten Möglichkeiten zum Fronturlaub, um in Düsseldorf aufzutreten. Wieder geht es darum, Notenhefte zu bewerben. 1916 werden die beiden Hefte von 1912 und 1913 wiederaufgelegt. Ein weiteres Heft mit sechs neuen Titeln kommt im Juni 1916, jetzt vom Magdeburger Verleger Heinrichshofen. Blumes Kriegskontakte und seine Erfolge in der Truppenbetreuung zahlen sich aus. Heinrichshofen vertreibt seine sheet music in ganz Deutschland und hat eine viel bessere Reichweite als der rheinische Musikalienhandel.

Im Heinrichshofen-Heft vom Juni 1916 ist zum ersten Mal eine Löns-Vertonung enthalten, bezeichnenderweise das Soldatenlied „Auf Feldwache“. Es gehört zu den frühen Favoriten bei den Löns-Vertonern. Das Lied setzt, genauso wie „Das Geheimnis“, auf den Gegensatz von heimischer Natur und Geliebter zur schroffen Wirklichkeit des Krieges.

„Auf Feldwache“ handelt von einem Soldaten, eingesetzt im Kolonialkrieg in Afrika. Er steht Wache und träumt sich nach Hause, wo der Schnee die Landschaft bedeckt:

Zu Hause auf den Feldern
Da liegt der Schnee so weiß,
Zu Hause in den Wäldern
Da hängt das blanke Eis.

Im Kontrast dazu die Wirklichkeit vor Ort und der tägliche drohende Tod:

Hier fällt nicht Schnee noch Regen,
Zu lindern unsre große Not,
O grüner Klee, o weißer Schnee,
O schöner Soldatentod.

Das Lied, von Löns vor dem Krieg als Gedicht auf Kolonialkriege geschrieben, wird von Blume völlig neu kontextualisiert. Hinter dem Namen des Dichters ist auf seinem Notenblatt vermerkt: „gefallen vor Reims 1914“. So erscheint das Löns-Lied wie eine visionäre Vorahnung des kommendes Krieges, vielleicht sogar des eigenen Todes im Feld.

Blumes Konzerte finden auch 1916 wieder im Ibach-Saal statt. Deutlicher als früher zeigt sich Blumes Gespür für publikumswirksame Arrangements. Er hat zwei verschiedene Modelle im Angebot:

  • Vortrag und Musik als Paket: Am 8. Februar 1916 tritt Blume zusammen mit einem Vortragskünstler, dem Schaupieler Hans Schubert, auf. „Erster singt Lieder zur Laute, letzterer trägt ernste und heitere Dichtungen vor. Das Programm ist auf den Ton der Zeit abgestimmt“ (Düsseldorfer Zeitung 05.02.1916). Ein Erfolsmodell, das Blume später immer wieder variiert.
  • Allein, aber mit verschiedenen Musikstilen: Die Anzeige für den Lautenabend am 5. November 1916 verspricht: „Schlesisch-westfälische Volkslieder, ernste und heitere Gedichte von H. Löns, Soldatenlieder von Karl Blume“. Egal, welcher Anlass, egal was für ein Publikum: Blume hat die passenden Songs im Repertoire.

Mit diesen Modellen lässt sich professionell Unterhaltungsmusik betreiben. Und wie!

Das Jahr 1919 wird entscheidend für Blumes Karriere. Er setzt auf die beiden im Ibach-Saal erprobten Modelle, begibt sich sofort nach Kriegsende als fahrender Sänger auf Tour. Die Strategie geht auf, Blume trifft die Stimmung der Zeit. Überall großer Erfolg!

Blume startet gleich im Januar 1919 mit dem Paket-Modell. Er tut sich mit Schauspieler Robert Nonnenbruch zusammen, den er von gemeinsamen Abenden in den Düsseldorfer Kneipen und Varietés kennt. Man versteht sich privat, es klappt auch auf der Bühne. Das Programm ist schnell geklärt. Nonnenbruch deklamiert heitere Szenen und Reime, Blume spielt und singt zur Laute: „Komm und lach! Heiterer Abend von Karl Blume mit seinen Liedern zur Laute und Robert Nonnenbruch, Humor in ernsten Zeiten“.

Geplant ist, von Januar bis März 1919 durch alle großen Städte an Rhein und Ruhr und in Westfalen zu tingeln. Die beiden bieten genau die Ablenkung, nach der sich alle sehnen. Die Ticket-Nachfrage ist so groß, dass Blume und Nonnenbruch die Tour bis in den Mai verlängern müssen. Im Oktober 1919, als Blumes Name in allen großen Städten längst etwas gilt, unternimmt Blume eine Solo-Tour mit seinen Lauten-Lieder. Die Säle sind gut gefüllt, er ist beliebt und bekannt.

Der fahrende Sänger, die Liebe und das Geschäft

Am 11. Januar 1919, die Tour mit dem Schauspieler Nonnenbruch hat gerade erst begonnen, tritt Karl Blume noch einmal allein im Ibach-Saal auf. Das hat seinen Grund. „Karl Blume wird eine große Anzahl neuer Lieder zur Laute singen, die demnächst im Druck erscheinen werden“ (Düsseldorfer Zeitung 8.1.1919). Auch wenn der Schwerpunkt zukünftig auf Tourneen liegt: Der Verkauf von sheet music ist für Blume weiter die zweite Säule des Geschäftsmodells.

Das angekündigte Heft erscheint tatsächlich, im November 1919 bei Heinrichshofen in Magdeburg unter dem Titel „Ein frischer Strauß. Neue Lieder zur Laute.“

Karl Blumes Karriere gibt das Konzert im Ibach-Saal noch aus einem anderen Grund entscheidenden Auftrieb. Er erinnert sich:

Als ich an diesem Abend erstmal herauskam und mich die Menge, teil neugierig teils abwartend abtastete, suchten meine Blicke nach einem bestimmten Parkettsitz, und auch zwischen den einzelnen Liedern, beim Applaus, wurde ich immer wieder an diese Stelle gezogen.

Ein kühles, blondes, blauäugiges Mädchen war es, das mir die Ruhe nahm. Am Abend zuvor lernte ich es bei einer befreundeten Familie kennen und sein bloßes Dasein erweckte bei mir ein noch nie erlebtes Gefühl, das ich nur mit „Liebe auf den ersten Blick“ bezeichnen konnte.

Karl und Ida kommen an dem Abend schnell ins Gespräch.

Nach dem Abendessen zogen wir uns in eine Fensternische zurück, und dann interviewte die junge Dame mich mit sachlicher Natürlichkeit, hinter der ich unschwer ein echtes Interesse an meiner Person vermuten konnte. Sie flößte mir sofort Vertrauen ein, […] und so erzählte ich ihr von meiner Absicht, am kommenden Tage mit einem neuen Beruf zu beginnen.

„Sie werden es auch schaffen!“ war ihre kurze Reaktion, und die schönen blauen Augen flammten für eine Sekunde auf, sodaß ich sie am liebsten gleich in meine Arme genommen hätte.

Ida verfolgt das Konzert aufmerksam. Und findet ihren ersten Eindruck bestätigt. Das sagt sie Karl ganz direkt, als sie ihn in Pause im Künstlerzimmer aufsucht:

„Großartig, wie erwartet!“ kam ihr knappes Urteil – „Ihnen würden sogar die steifen Herzen meiner Hamburger Landsleute zufliegen.“

Ida, fünf Jahre jünger als Karl, kommt aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie. Sie ist zu Besuch bei Geschäftsfreunden ihres Vaters in Düsseldorf. Kein Wunder, dass die zwei sich auf Anhieb verstehen. Sie haben beide dasselbe Ziel: Wie kann man mit Kunst und Musik ein gutes Geschäft machen? Ida hat die Handelsschule absolviert und arbeitet im Büro ihrer Familie. Gerne würde sie schauspielern und verfügt über gute Kontakte zur jungen Hamburger Filmszene.

Karl und Ida heiraten, Ida wird Karls Managerin. Ein kluger Schachzug. Sie bucht die Konzerte und übernimmt die Kontaktpflege zu den Verlegern der sheet music. Schreibt den Terminkalender, kontrolliert Tantiemen und Einnahmen. Hamburger Kauffrau eben. Karl kann sich ganz auf die Musik konzentrieren, während sie an der Karriere bastelt.

Ida Blume, Managerin des Sängers Karl Blume
Ida Blume, um 1918. Hamburger Kaufmannstochter. Kurz darauf wird sie Karl Blumes Ehefrau und Managerin.

Eins muss man festhalten: Blume ist zu diesem Zeitpunkt kein Heidelyriker. Auch eher nicht ein Vertoner von Löns-Lieder. In den drei Notenheften, die er bis Ende 1919 bei Heinrichshofen in Magdeburg veröffentlicht hat, liegt der Schwerpunkt auf Dialekt- und Soldatenliedern. Nur jeweils ein Löns-Lied ist dabei:

TitelDatumLöns-Lied
Moderne Lieder zur LauteJuni 1916Auf Feldwache. „Ich weiß einen Lindenbaum stehen“
Mein Sang, mein SpielJanuar 1917Tanzlied. „Der Kuckuck und der Piedewitt“
Ein frischer Strauß. Neue Lieder zur LauteNovember 1919Das Geheimnis. „Als ich gestern einsam ging“

Erst im dritten Heinrichshofen-Heft, im November 1919, erscheint „Grün ist die Heide“, noch unter dem Titel „Das Geheimnis. Als ich gestern einsam ging“. Mag sein, dass Blume es schon 1915 komponiert hat. Für die Publikation wählt er es erst jetzt aus. Und es ist ein Lied unter vielen.

Der Kontrast zwischen Kriegsdienst und Sehnsucht nach der Heimat, den Blume 1934 in der Rückschau so stark macht, ist allerdings von Anfang an zentral für die Beschäftigung mit Löns. Und erklärt seinen langfristigen Erfolg. Ein Dichter, gefallen im Krieg, hat die Lieder verfasst, die durch die schwere Zeit helfen können.

Aber steht das eigentlich bei Löns? Im Lied „Auf Feldwache“ geht es um einen Soldaten in einer deutschen Kolonie in Afrika, nicht im Schützengraben in Frankreich. Erst Blumes unscheinbare Notiz in seiner sheet music deutet Löns zum Dichter des ersten Weltkriegs um. Und im „Geheimnis“ ist überhaupt nirgendwo von einem Schützengraben die Rede. Ganz im Gegenteil, wir lesen von neckischer Zweisamkeit in der Heide, fernab der Alltagsrealität. Es ist Blumes origin story zu seiner Komposition, die die Heide zur Sehnsuchtslandschaft für Soldaten erklärt. Stillschweigend wird der Jäger bei den grünen Tannen und dem weichen Moos zum Soldat. Ist er aber gar nicht.

Zum Inhaltsverzeichnis.

Zum nächsten Kapitel: Karl Blume und seine Lieder zur Laute: Die Heide auf Tour.

Abbildungsverzeichnis

Fotos von Karl Blume, Foto von Ida Blume. Westfälisches Musikarchiv im Stadtarchiv Hagen.

Karl Blume, Ein frischer Strauß. Neue Lieder zur Laute, Magdeburg: Hinrichshofen [November 1919]. Exemplar des Westfälischen Musikarchivs im Stadtarchiv Hagen.

Verwendete Literatur

Recherche im Deutschen Zeitungsportal und bei zeitpunkt.nrw.

  • Gevelsberger Zeitung 2.8.1912: Anzeige für Blumes erste Publikation „100 Lieder zur Laute od. Gitarre“.
  • Deutsche Reichszeitung (Bonner Stadt-Anzeiger, Sieg-Rhein-Zeitung, Godesberger Volkszeitung) 27.09.1934, S. 4: „Karl Blume der beste Barde Löns‘“.
  • Herner Zeitung. Stadtanzeiger für Castrop-Rauxel. Montag 18.10.1943, S. 4: „Karl Blume 60 Jahre“.

Blumes Konzerte im Ibach-Saal 1913-1919: Recherche bei zeitpunkt.nrw.

Datum des KonzertsTitel des KonzertsQuelle/ Belegnachweis
24.04.1913Abend alter und moderner LautenmusikDüsseldorfer Generalanzeiger 17.4.1913
02.04.1914Abend alter und moderner LautenmusikDüsseldorfer Zeitung 27.03.1914
08.02.1916Lieder zur Laute und Deklamationen (mit Hans Schubert)Düsseldorfer Zeitung 05.02.1916
05.11.1916Lieder zur LauteDüsseldorfer Zeitung 29.10.1916
26.08.1917Bunter Abend zum Besten der Witwen und WaisenDüsseldorfer Generalanzeiger 19.8.1917
04.11.1917Lieder zur LauteDüsseldorfer Generalanzeiger 28.10.1917
11.01.1919Lieder zur LauteDüsseldorfer Zeitung 8.1.1919

Peters-Arnolds, Henry: Karl Blume. Komponist des Löns-Liedes „Das Geheimnis“. Zu seinem 100. Geburtstag am 13.10.1983, Hagen: Westfälisches Musikarchiv 1983.

  • Komposition des Lieds „Grün ist die Heide“, S. 9 und 11.
  • Kontakt zu Adalbert Lutter in Berlin 1932, S. 14.
  • Karl Blume über seine erste Begegnung mit Ida, S. 22
  • Ida Blumes Herkunft und ihre erste Begegnung mit Karl, S. 23.

Ida-Elisabeth Blume: Kurze Biographie. Geschrieben am 29. April 1972. Unveröffentlichtes Typoskript. Westfälisches Musikarchiv im Stadtarchiv Hagen.

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, Amsterdam 1936, S. 69. Link zu Delpher.

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