Monarchen: Unangepasste, Bummelanten, Tagelöhner


Monarchen: Unangepasste, Bummelanten, Tagelöhner

Wieso eigentlich „Monarchen“?

Dieser Begriff kommt gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Norddeutschland auf und bezeichnet Wanderarbeiter, die an den Eisenbahnlinien, die zu dieser Zeit überall gebaut werden und mit denen sich August Freudenthal die Heide erschließt, für die schweren Erdarbeiten eingesetzt werden. Als wohnsitzlose Tagelöhner ziehen sie mit dem Eisenbahnbau immer weiter. Der Begriff wird auch für Erntehelfer verwendet, die aus den Hafenstädten für die Saison anreisen und abseits der Dörfer in einfachen Unterkünften übernachten. Sie werden zwar für die Ernte gebraucht, sind aber nicht gerne gesehen, weil sie zum Lebensunterhalt auch mal in den Teichen rings um die Dörfer fischen oder Jagd auf Vögel machen.

„Monarchen“ werden 1892 erstmal ein Thema in der Literatur. Das liegt an Hedwig Wigger. 1853 in Mecklenburg geboren, wird sie durch ihre Tätigkeit als Hauslehrerin Portugal zur Expertin für portugiesische Literatur. 1892 veröffentlicht sie eine sozialkritische Novellensammlung, in der sie Erlebnisse aus ihrer Heimat verarbeitet. Die titelgebende Novelle lautet: „Die Monarchen kommen“.

Spätsommer in einer kleinen Stadt in Mecklenburg. In der Nähe wird eine Eisenbahntrasse errichtet, große Erdmassen müssen bewegt werden. Eine schwere Arbeit, die am Ort keiner machen will. Dafür kommen die „Monarchen“. Sie übernachten draußen, direkt am Gleisbett, meist unter freiem Himmel.

Zu Beginn ihres Einsatzes müssen die „Monarchen“ beim Gendarmen der Kleinstadt vorsprechen. Wigger schildert, wie sie von den Einheimischen zugleich argwöhnisch und fasziniert beäugt werden:

Nun kommen die Monarchen. In gemessenem Schritt … ihre ganze armselige Habe auf dem Rücken. Die elendste Kaste, der Auswurf der Menschheit, wie die in Ehren groß gewordenenen Staatsbürger der kleinen Stadt sie dem jungen Nachwuchs bezeichnen. Erdschütter, Erdarbeiter sind sie, die an den Gräben und Wällen der Eisenbahnbauten arbeiten. Heimatlose Leute! Sie nennen sich „Monarchen“, sie sind keinem Herrn unterthan, da sie in keinem Lande Heimatsrechte besitzen. Sie sind frei wie die Luft, die sie atmen. Sie ziehen von Ort zu Ort, wo immer schwere Erdarbeiten rauhe Kräfte fordern … und gern nehmen die Eisenbauunternehmer ihr Anerbieten an, sie trotzen Wetter und Sturm, verdienen ihr Geld und lassen das Geld im Lande. Wie gewonnen, so zerronnen.

„Monarch“ wird man nicht freiwillig. Die Arbeiter sind nach dem Studium am Berufseinstieg gescheitert, haben nach der Armeezeit keinen Rückweg in die Alltagswelt gefunden oder sind wegen eines Gefängnisaufenthalts gesellschaftlich geächtet: „Vagabunden, entlassene Sträflinge, verlotterte Studenten, kassierte Offiziere … Ausgestoßene – durch eigene oder fremde Schuld, oder durch des Schicksals grausen Richterspruch“.

Zwei stellt Wigger genauer dar: Einmal ist da „Bodo, Graf Baucke, früher Rittmeister bei den *schen Husaren“. Der hat sein Offiziersehrenwort gebrochen, seine Ehe ist an seinen ständigen Affären zerbrochen. Und „Richard Hoffmann – – Predigtamtskandidat“. Glaubenszweifel machen es ihm unmöglich, als Pfarrer aufzutreten. All das viele Lesen umsonst.

Beim Weg der Monarchen durch die Stadt zeigt sich eine erbarmslose gesellschaftliche Hierarchie genauso wie die moralische Überheblichkeit der Einwohner. Mit dem Schnaps in der Hand ereifern sich die ortsansässigen Arbeiter über die versoffenen „Monarchen“. Wigger macht deutlich, wie verlogen das wirkt:

Aus den Kramläden, die hier zugleich Schnapsschänken sind, dringt wirres Reden, heiseres Geschrei. Auf den Wandbänken lagern Arbeiter, Handwerksgesellen. Sie zeigen mit den Fingern nach den „Monarchen“, die so tief unter ihnen stehen, die sie nicht wert genug erachten, ihnen die Schuhriemen zu lösen! „Heimatloses Gesindel, das in Erdhöhlen wohnt, die niedrigsten Arbeiten thut, sich von Kartoffelabfällen und Sprit nährt, eine Bande, die ausgewiesen werden müßte!“

Das abschätzige Gerede und die neugierigen Blicke kümmern die „Monarchen“ nicht. Sie sind unabhängig, frei und manchmal sogar hochgebildet. Sie beziehen ihren Stolz gerade daraus, dass sie kein fester Wohnort einschränkt:

Sie sprechen laut, unbehindert miteinander, als gehe sie die kleine Stadt nichts an. Einige von ihnen spotten der „Philister, die an ihren Hausthüren angenagelt sind.“

1913 verfasst auch Hermann Löns eine kurze Erzählung mit dem Titel „Der Monarch“. Wie Wigger siedelt er seinen „Monarchen“ gar nicht in der Heide, sondern anderswo an, diesmal im Weserbergland.

Sein Text beginnt mit einer Begegnung, die seinem Ich-Erzähler im Wald widerfährt: Wer ist der „Mann mit der herrischen Haltung, der schäbigen, fettglänzenden Tippelkundenkluft und den geflickten Schuhen“?

Wir kommen der Sache näher, als Löns‘ Erzähler dem Tippelbruder eines Sommerabends in einer Wirtstube wiederbegegnet. Der Monarch spricht bestes Wanderarbeiter-Rotwelsch mit dem Gastwirt. Er arbeitet als Erdschütter bei der Eisenbahn: „Kenne den Betrieb! Habe schon an mehr als einem Strang als Monarch geschanzt“. Die Ausweise, die er für die Arbeit braucht, zeigt er ungefragt vor: „Meine Flebben! Sind alle dufft!“ Und Arbeitslohn hat er schon bekommen: „Kies ist da!“

Übernachten in einem richtigen Zimmer darf er trotzdem nicht. Der Wirt fürchtet um seinen Ruf: „Monarchen kriegen keine Zimmer bei mir. Das geht nicht, verstehst du.“ „Wenn sich das ‘rum spricht, bleiben mir die Reisenden weg“. Der Monarch antwortet auf Rotwelsch: „Verstandibus und in Gnaden genehmigt!“ Bleibt also nur das „Plattmachen bei Mutter Grün“, Übernachten unter freiem Himmel.

Die herrische Haltung, erfahren wir, kommt nicht von Ungefähr. Freiherr Johann von Bassentorn war mal Offizier, verkraftet eine Typhusinfektion nicht und gerät an den Alkohol. Von seiner Familie will er genauso wenig wissen wie Bodo Graf Baucke aus Wiggers Novelle. Lieber Schuften als Monarch an der Strecke als zurück ins bürgerliche Leben!

Löns wählt ein anderes Erzählverfahren als Wigger, indem er seinen Ich-Erzähler einen Erkenntnisprozess durchlaufen lässt. Seine erste Beschreibung des „Monarchen“ entspricht eher den überheblichen Handwerkergesellen in der Schnapsschänke aus Wiggers Novelle. Mit dem Bier in der Hand beäugt er den heruntergekommenen Landstreicher. Erst die Gespräche mit dem Wirt führen dazu, dass der Erzähler Verständnis für den gescheiterten Adeligen entwickelt.

Vom Leben der Monarchen, so wie es Wigger und Löns schildern, ist es nur ein kurzer Schritt, um sie aus ihnen Figuren der populären Kultur zu machen. Als Typen verkörpern sie alles, was populäre Kultur attraktiv macht. Deswegen spielen sie eine so große Rolle für den Film „Grün ist die Heide“.

Wie die wirklichen Monarchen bewegen sich auch die Film-Monarchen in einer Welt jenseits der gesellschaftlich etabilierten Ordnung. Soziale Zwänge sind ihnen egal, moralische Bedenken auch. Sie leben in Freiheit ohne Moral. Deswegen können sie sich für die Größten halten, sind tatsächlich echte „Monarchen der Heide“. Niemand macht ihnen Vorschriften. Sie tun und lassen, was sie wollen. Sie kennen sich überall aus und bekommen alles mit. Und weil sie von außen auf die Gesellschaft gucken, erkennen sie glasklar, welche Sorgen, Ängste und heimlichen Wünsche die anderen Menschen bestimmen.

Da wäre jeder gerne mal, besonders, wenn er ins Kino geht. Wer träumt nicht davon, so sein zu können, wie er will? Sich nicht verbiegen zu müssen? „Was die grüne Heide weiß, geht die Mutter gar nichts an.“ Keine Eltern, keine Autoritäten. Nur ich und du, ringsum blüht die Heide. Dazu gibt’s ordentlich zu trinken, keine Vorschrift hält dich zurück. „Denn der Muskatellerwein wird vom langen Stehen sauer.“ Und wir ballern nach Herzenslust, ganz wie es uns gefällt. „Und die Büchse und die knallt.“ Stopp. Das könnte Ärger geben. Vielleicht ist ja gar nicht so gut, wenn ich so sein kann, wie ich will. Puh. Ist ja nichts passiert. Zum Glück war es nur ein Film.

Für die Kinozuschauer ist die Heide ein Flucht- und Imaginationsraum. Traumwelt und Gruselort zugleich. Es wäre doch schön, immer in der Heide zu sein. Und irgendwie auch furchtbar. So wie ein Urlaub, der nie aufhört. Irgendwann weißt du nicht mehr, wovon du dich eigentlich erholen willst. Oder ein Freizeitpark, aus dem es keinen Ausweg gibt. Ich will hier raus, aber keiner holt mich. Die Film-Monarchen leben genau diesen Zwiespalt, wenn sie immer in der Heide sind. Sie sind ein Spiegel des Kinogängers.

Nicht umsonst erinnern die Film-Monarchen an die ersten Ausflügler um August Freudenthal. Die touren durch die Heide und wollen alles mal sehen. Es wird ausgiebig gepicknickt, man kehrt in Wirtshäusern ein und genießt als Schlummertrunk feinen Soltauer Fruchtchampagner. Wie die Film-Monarchen ziehen sie von Haus zu Haus und sammeln ihre Mahlzeiten zusammen, manchmal gibt es was Besonderes als Extra. Aber als Touristen kehren sie abends in Gasthäuser zurück. Unter der Woche gehen sie wieder einer geregelten Arbeit nach.

Mit den Monarchen, den Erdarbeitern von der Eisenbahn oder den Tagelöhner in der Landwirtschaft, hat all das nichts zu tun. So ein Monarchen-Leben ist vielleicht mal was für das Wochenende. Oder im Film. Jedenfalls nur für kurze Zeit. Das kann man mal in der Fantasie durchspielen, vielleicht auch kräftig nachfühlen. Unangepasst wie ein Gammler leben, als Vagabund und Bummelant durch die Welten ziehen. Freedom’s just another word for nothing left to lose. Aber nachher will man wieder funktionieren, in der Gesellschaft, mit all ihren Zwängen und allen moralischen Grundsätzen.

Zum Inhaltsverzeichnis.

Zum Kapitel 13: 1933 und danach. Nazis statt Monarchen.

Verwendete Literatur

Wiepert, Peter: Die „Monarchen“ auf der Insel Fehmarn. In: Beiträge zur deutschen Volks- und Altertumskunde 5 (1960), S. 43-56.

Wigger, H[edwig]: Die Monarchen kommen, 3. Auflage, Leipzig : C. F. Müller 1892, S. 5-19. Link zur Bayerischen Staatsbibliothek.

Löns, Hermann: Der Monarch. In: ders., Sämtliche Werke in acht Bänden. Herausgegeben von Friedrich Castelle, Bd. 7: Kleine Erzählungen/ Dahinten in der Heide/ Das zweite Gesicht, Leipzig: Hesse und Becker 1928, S. 81-86.

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