Die Heide 1933 und danach. Nazis statt Monarchen
Inhalt
- Vor der Machtergreifung: Kontrollfantasien
- Nach der Machtergreifung: Opfer und Täter
- Die Neuverfilmungen von „Grün ist die Heide“ in der Bundesrepublik
Vor der Machtergreifung: Kontrollfantasien
Man hätte es ahnen können.
Die Nazis lehnen den Film schon ab, als die Agenturmeldungen über die Dreharbeiten herausgehen. Anders als die anderen Zeitungen, die einfach auf den Drehbeginn von „Grün ist die Heide“ hinweisen, holt der in Stuttgart erscheinende NS-Kurier, die Nationalsozialistische Tageszeitung für Württemberg und Hohenzollern, am 27. September 1932 zu einem Rundumschlag aus, noch bevor der Film überhaupt fertiggestellt ist. Egal. Hier weiß man Bescheid.
„Grün ist die Heide …“ . Unter diesem Namen soll in den nächsten Monaten ein neuer Film erscheinen, der in dem kleinen Heideflecken Rotenburg gedreht wird. Es sollen u. a. mitwirken: Freiherr v. Wolzogen, Peter Voß und andere Größen. Nach dem Drehbuch versucht man hier mit dem Namen Löns als Schild für eine Serie ganz wertloser, auf die Tränendrüsen eingestellter Aufnahmen und Reißer Mißbrauch zu treiben. Die Handlung ist so kitschig, daß jeder ehrliche Anhänger und Freund Hermann Löns Protest gegen diesen Mißbrauch einer geschäftigen Clique erheben muß, die mit seinem Namen rührseligen Kitsch fabriziert. Diese Filmjuden gehen diesen Weg, um das Gut des deutschen Volkes an echter Literatur zu verfälschen und zu verwässern. Es ist schon genug, daß man uns das Heidelied verjazzt und bis zum Ueberdruß vorgeleiert hat.
Der kurze Text versammelt alles, was einen man für einen konsequent betriebenen politischen Populismus braucht. Der folgt einem einzigen, erschreckend einfachen Grundsatz. Du muss bloß, statt zu informieren, unnachgiebig alles und jeden erbarmungslos bewerten. Von Anfang an werteorientiert vermitteln. Das geht so:
- Die Handlung wird vom NS-Kurier nicht referiert, sondern klassifiziert: „wertlos“, „auf die Tränendrüse eingestellt“, „rührseliger Kitsch“. Habe ich schon „kitschig“ gesagt? „Kitschig“! Das kann man ruhig zweimal schreiben. Damit es jeder kapiert.
- Mit dabei eine Falschinformation. Der Filmproduzent Hans v. Wolzogen ist zu keinem Zeitpunkt am Film beteiligt. Vielleicht meinen die Nazi-Schreiber Eduard v. Winterstein, der zu Beginn für die Rolle des Wilderers Lüdersen vorgesehen ist? Wer weiß. Wen kümmern schon Details, wenn es ums Rechthaben geht.
- Drehort und Schauspieler werden erhaben-überheblich nach klein und groß sortiert: „Peter Voß und andere Größen“ „im kleinen Heideflecken Rotenburg“. Ein Gernegroß im Dorf am Rande der Welt. Deutlich wird: Hier ist man besessen von Größe.
- Das moralisch überlegene Sprechen geschieht im Namen eines angeblich übersehenen, wirklichen Volkes. Denn beim NS-Kurier weiß man, was „jeder ehrliche Anhänger und Freund Hermann Löns[‘]“ empfindet: „Protest“!
- Ein Sündenbock ist auch schon ausgemacht. Hinter dem Film steckt der „Missbrauch einer geschäftigen Clique“. Auf einmal sind wir mittendrin in der ganz großen antisemitischen Verschwörungserzählung. Hier die „Filmjuden“, dort „das Gut des deutschen Volkes an echter Literatur“. Hier das Verwässern und Verfälschen, dort das Reine, Echte und Ehrliche. So einfach ist das Nazi-Weltbild.
- Als wenn das nicht reichen würde, wird am Schluss auch noch Adalbert Lutter nörgelnd abgeurteilt: Er hat das Heidelied verjazzt. Noch einer, der deutsches Kulturgut verwässert und verfälscht! Sogar Grammophonplatten sorgen bei Nazis für schlechte Laune. Ist doch immer dieselbe Leier!
Was haben die Nazis bloß gegen „Grün ist die Heide“? Ist doch nur ein Film. Falsch gewickelt. Hier geht es um mehr.
Der NS-Kurier empört sich, dass der Film den „Namen Löns als Schild“ verwendet. Für ihn gibt es den einen echten Löns hinter dem Schild. Sein Name wird gefälligst richtig verwendet. Oder eben falsch. Und dann wird lautstark protestiert.
Schon seit der ersten Gedächtnisfeier wird Löns für alles Mögliche in Anspruch genommen: das deutsche Volkslied, mehr Naturschutz, den wehrhaften Deutschen im Krieg, das bittere Leiden des Dichters. Oder auch nur den feucht-fröhlichen Wochenendausflug in die Heide, mit oder ohne Liebesflirt. Aktuell dient der Name Löns als Vehikel für einen Film, der Unterhaltung und Sorgentrost im Kino verspricht. Was für ein Chaos!
Der Name Löns wird gar nicht als Schild verwendet, er ist selbst bloß ein Schild. Mehr nicht. Es gibt überhaupt keinen richtigen Namen hinter all den Schildern, die völlige unterschiedliche Leute seit vielen Jahren hochhalten und auf die sie „Löns“ schreiben. Das erklärt ja gerade den großen Erfolg. Das ist für jeden was dabei. Egal, was du gerade willst.
Die Nazis aber wollen die Definitionsmacht: Was Löns ist, wissen nur wir. Für sie gibt es nur ein Schild, und das ist ihres.
Die Nazis sind unfähig, Differenz auszuhalten. Sie müssen alles mit der eigenen Meinung überziehen. Damit es seine Ordnung hat. Wehe, hier bewegt sich einer. Und sie lehnen Gefühle ab. Die schaffen Unordnung, überkommen einen, treiben ihr Spiel mit dir. Dagegen halten sie Härte und Stärke. In jeder Lage Herr der Lage. Zu allem eine Meinung haben heißt: Immer Bescheid wissen, nie die Kontrolle verlieren.
So ein Deutungsanspruch kippt schnell in Gewalt: Alles was nicht eindeutig ist, muss weg. Deutsch ist, wo ich bin. Löns ist, was ich sage. Wer das anders sieht, für den ist hier kein Platz.
Keine Frage, der Film „Grün ist die Heide“ greift auch diese Stimmung auf. Der junge Förster sorgt für Ordnung in den Wäldern, das Heidemädchen im artigen Trachtenanzug steht ihm brav zur Seite. Zur Begleitung singt die Jugend in Bündnerkluft. Alle gleich, fein aufgereiht. Sitte, Anstand, Ernst.
Zugleich wird die Ordnung im Film unterlaufen: Die Figuren sind hin- und hergerissen, zwischen Vater und Geliebtem, zwischen Pflicht und Neigung, zwischen Jagddrang und Verzicht. Getrieben von Emotionen. Verliebt und verzweifelt. Der Film zeigt vor allem, wie die Menschen mit ihrer Welt hadern. Die Monarchen schließlich stehen sogar für Freiheit ganz ohne Moral. Sie klauen vom Kuchenbufett der Omas und narren die Obrigkeit. Gerade dadurch sorgen sie für befreiendes Lachen. Erst sie übersetzen das Versprechen des Filmtitels in Musik. Nur ein Monarch kann den Gefühlen Ausdruck verleihen, die die Menschen in der Heide bewegen.
Nach der Machtergreifung: Opfer und Täter
Offenbar trifft der Film gerade durch seine Widersprüchlichkeit das Lebensgefühl der Zeit. Und gerade deswegen ist er ein so großer Erfolg an den Kinokassen. Vor wie nach der Machtergreifung.
Für die Leute aber, die mit Löns und der grünen Heide ihr Geld verdienen, ändert sich mit der Machtergreifung am 30. Januar 1933 alles.
Die Nazis teilen ein, hier die Deutschen, dort die Juden. Es gibt die Opfer des Nazi-Terrors, einige sofort, einige später. Es gibt die, die sich arrangieren und anpassen. Und die, die plötzlich ganz vorne mitspielen.
Robert Neppach kann mit seiner Produktionsfirma zunächst weiter Filme drehen. Seine jüdische Frau Betty, 1932 noch auf Platz 9 der deutschen Tennisrangliste, wird unmittelbar nach der Machtergreifung aus dem Tennissport gedrängt und begeht am 7. Mai 1933 Selbstmord. Neppach geht nach Wien und heiratet dort 1934 die deutlich jüngere Pianistin Marguerite Walter, Tochter des jüdischen Dirigenten Bruno Walter. Ende 1936 ist die verdeckte Verstaatlichung der deutschen Filmindustrie durch die Nazis so weit fortgeschritten, dass Neppach seine Geschäfte in Deutschland aufgeben muss. Kurz vor dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 fliehen Neppach und seine Frau aus Wien in die Schweiz, wo sein Schwiegervater schon längere Zeit als Dirigent arbeitet. In Zürich versucht Neppach sich weitgehend erfolglos als Architekt und beim Film. Marguerite reicht die Scheidung ein, Neppach gelingt es nicht, sie umzustimmen. Er geht zu Drohungen über. Am 18. August 1939 erschießt er seine Frau im Schlaf und anschließend sich selbst.
Der jüdische Filmregisseur Hans Behrendt geht nach der Machtergreifung nach Spanien und später nach Wien. Vor dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland flieht er nach Belgien. Dort verhaftet ihn die belgische Polizei im Mai 1940. Er wird in verschiedenen französischen Lagern interniert und schließlich ins KZ Auschwitz deportiert, wo er im August 1942 ums Leben kommt. Das Todesdatum und die Umstände seines Todes sind unbekannt.
Die Schauspielerin Camilla Spira, deren Vater Jude ist, erhält nach der Machtergreifung keine Filmangebote mehr. 1938 emigriert sie mit ihrem jüdischen Ehemann Hermann Eisner und den zwei gemeinsamen Kindern nach Amsterdam. 1943 verhaften die deutschen Besatzer die ganze Familie und bringen sie ins Durchgangslager Westerbork, von wo sie nach Auschwitz deportiert werden sollen. Spira wendet sich an Hans Georg Calmeyer, der bei der deutschen Bessatzungsbehörde in Den Haag als Abteilungsleiter „Innere Verwaltung“ für Entscheidungen in Abstammungssachen zuständig ist. Sie hat den Tipp bekommen, dass Calmeyer großzügig entscheidet und auch fragwürdige Beweismittel akzeptiert, um eine Deportation zu verhindern. Spira gibt an, dass ihre Mutter fremdgegangen und sie unehelich geboren sei. Calmeyer veranlasst ein Verhör der Mutter in Berlin, die die Angaben bestätigt und Fotos des angeblichen leiblichen Vaters vorlegt. Spira wird zur „Vollarierin“ erklärt und kann mit ihrer Familie bis zum Ende des Krieges unbehelligt in Amsterdam leben. Sie kehrt 1947 nach Berlin zurück und wird eine gefragte Theater- und Filmschauspielerin. In vielen bekannten Filmen der fünfziger Jahre übernimmt sie größere Rollen. Spira stirbt im Alter von 91 Jahren am 25. August 1997 in Berlin.
Fritz Jöde, der erfolgreichste Komponist der Löns-Lieder, gerät nach der Machtergreifung in Konflikt mit der NS-Presse. Den Nazis ist eine unabhängige Jugendmusikbewegung suspekt, und sie drängen ihn aus seinem Amt an der Berliner Akademie. Jöde wird beurlaubt und im Oktober 1936 nach einem Disziplinarverfahren entlassen. Jöde versucht in der Folge, sich mit den Nazis zu arrangieren. Zum 1. Januar 1940 tritt er in die NSDAP ein und wird Gefolgschaftsführer und Kulturabteilungsleiter der HJ Salzburg. So kann er als Lehrer am dortigen Mozarteum arbeiten. Bei der Entnazifizierung gilt er als weitgehend unbelastet. In der Bundesrepublik setzt Jöde sich wieder für die Jugendmusikbewegung ein und erhält 1957 das Bundesverdienstkreuz. Er stirbt am 19. Oktober 1970 in Hamburg.
Karl Blume tritt gleich im April 1933 in die NSDAP ein. Noch im selben Jahr, finanziell unabhängig durch den Erfolg des Films und seines Titelsongs, zieht er mit seiner Frau in ein eigenes Haus nach Berlin-Zehlendorf. Keine kräftezehrenden Tourneen mehr! Blume verlegt sich auf das Komponieren, schreibt Orchester- und Konzertstücke, außerdem Musik zu Märchenfilmen des Berliner Filmproduzenten Alf Zengerling. Kontakte muss man haben! Auch die Firma Naturfilm Schonger, die die Hermann-Löns-Heidefilme produziert hat, dreht mittlerweile Märchen. Es gibt jetzt einen Markt, weil keine neuen Disneyfilme aus den USA mehr nach Deutschland exportiert werden. Mit Beginn des 2. Weltkriegs wird Blume wieder Truppenbetreuer und tritt mit seiner Laute auf Frontbühnen auf. Kurze Zeit nach Kriegsende, am 5. Januar 1947, stirbt Blume in Berlin. Von der großen Zeit des deutschen Schlagers auf Schallplatte und im Film bekommt er nichts mehr mit.
Friedrich Castelle tritt zum 1. Mai 1933 in die NSDAP ein. Der von den Nazis neu eingesetzte Intendant bei der Kölner WERAG, der fast gleichalte Westfale Heinrich Glasmeier will Castelle noch 1933 bei der Sendestelle Münster unterbringen. Das scheitert, stattdessen engagiert sich Castelle in verschiedenen Positionen für die NS-Kulturpolitik. 1937 macht er endlich die Karriere beim Rundfunk, die ihm solange verwehrt geblieben war. Glasmeier, der in Berlin Gesamtintendant wird, holt ihn als Sendeleiter zum Reichssender Köln, später wird Castelle dort stellvertretender Intendant. Ab 1940 arbeitet Castelle als Leiter des Senders Luxemburg. Schließlich, von März 1943 bis zur Kapitulation, ist er Glasmeier direkt unterstellt. Der soll in St. Florian bei Linz einen neuen Reichsender „Brucknerstift“ für symphonische Musik aufbauen. Castelle hält regelmäßig musikalisch-literarische Morgenfeiern ab, manchmal spielt ein großes Orchester, immer ohne Mikrofon. Der Sender geht nie in Betrieb, Glasmeier verschwindet kurz vor Kriegsende spurlos. Castelle wird verhaftet und ist vom 1. Juni bis 15. November 1945 im Camp Recklinghausen interniert. Seine Entnazifizierung wird von den Briten mit Bescheid vom 11. Juni 1946 „nicht befürwortet“, außerdem „weil stark positiv für die NsDAP taetig Rehabilitierung abgelehnt“. Er wird als „strong member“ der NSDAP eingestuft, eine berufliche Tätigkeit ist nicht erwünscht. Erst mit Gründung der BRD kann Castelle wieder auftreten. Bis zu seinem Tod am 15. Januar 1954 betätigt er sich wieder als Vortragskünstler und schreibt plattdeutsche Hörspiele für den Rundfunk.
In der Heide treten Männer in Uniformen auf den Plan. Viele. Was sie dort verändern, prägt die Landschaft bis heute.
Bald nach der Machtergreifung kommt der Plan auf, die Gebeine von Hermann Löns aus Frankreich zurück nach Deutschland zu holen. Das ist schwierig. Der genaue Ort seines Grabs ist nie eindeutig dokumentiert worden, die Gebeine der in Reims gefallenen Soldaten sind nach dem Krieg mehrfach umgebettet worden. 1929 werden auf einem Feld Gebeine eines deutschen Soldaten aufgefunden, die man aufgrund eher fragwürdiger Indizien Löns zuordnet. Castelle setzt sich ab 1934 publizistisch für eine Umbettung ein und erreicht tatsächlich, dass Hitler offiziell ein „Staatsbegräbnis für Hermann Löns“ anordnet. Es soll zum dreißigsten Todestag, am 29. September 1934 stattfinden, als Begräbnisstätte ist ein Platz in der Nähe der Sieben Steinhäuser vorgesehen. Genau dort wollen die Nazis aber einen großen Truppenübungsplatz errichten.
Castelle, der das Begräbnis organisiert, verschiebt den Termin für das Staatsbegräbnis, kann die Umbettung aber nicht mehr stoppen. Anfang November 1934 taucht das von ihm beauftragte Düsseldorfer Beerdigungsunternehmen mit einem Sarg in Fallingbostel auf, der zunächst in der dortigen Friedhofskapelle aufgebahrt bleibt. Eine SA-Truppe verscharrt ihn in der Nacht zum 30. November heimlich an der Straße von Soltau nach Hamburg. Erst am 2. August 1935 werden die angeblichen Löns-Gebeine offiziell in der Heide beigesetzt, im Tietlinger Wacholderhain bei Fallingbostel. Ganz in der Nähe liegt der Löns-Gedächtnisstein von 1929, zu dessen Einweihung Blume aufgespielt und Castelle einen Vortrag gehalten haben. Bei der Beisetzung sind nur Nazis in Uniform anwesend, Castelle mittendrin.
1935 beginnen die Nazis, zwischen Bergen und Fallingbostel einen großen Truppenübungsplatz zu bauen. In Bergen wird zunächst ein Truppenlager eingerichtet. Ab 1940 werden die benachbarten Baracken, in denen vorher die Arbeiter untergebracht waren, als Kriegsgefangenenlager genutzt. Ab April 1943 nutzt die SS das gesamte Gelände als Konzentrationslager. Als britische Truppen das KZ Bergen-Belsen am 15. April 1945 befreien, treffen sie auf Massengräber und mindestens 53 000 völlig entkräftete Häftlinge, für viele von ihnen kommt die Hilfe zu spät. 1952 wird ein Teil des KZ-Geländes in eine Gedenkstätte umgewandelt. Das Gebiet zwischen Bergen und Fallingbostel wird noch heute von der NATO als Truppenübungsplatz genutzt.
Das erste Highlight des Heidetourismus, die Sieben Steinhäuser, befindet sich ununterbrochen seit 1935 inmitten eines militärischen Sperrgebiets. Die Steinhäuser können nur am Wochenende besichtigt werden.
Die Neuverfilmungen von „Grün ist die Heide“ in der Bundesrepublik
Zur Saison 1951/1952 wird „Grün ist die Heide“ erneut verfilmt. Die Berolina-Film von Kurt Ullrich produziert, der Gloria-Filmverleih bringt den Film in die Kinos. Die Neuverfilmung folgt dem Drehbuch von 1932, das Bobby E. Lüthge leicht überarbeitet und erweitert.
Als Schauspieler engagiert Kurt Ullrich eine ganze Parade beliebter Stars, allen voran dsa aktuelle Traumpaar Sonja Ziemann und Rudolf Prack. Keiner der Darsteller des Originals wird erneut verpflichtet, Blumes Gesangspart als Monarch übernimmt der Opernsänger Kurt Reimann.
Alles läuft nach dem bewährten Schema von 1932. Gedreht wird Ende August bis September, erst in der Heide, dann in Berlin. Ein Remake eben, jetzt endlich in Farbe.
In der Vorberichterstattung im Branchenblatt „Die Filmwoche“ geht es vor allem um technische Details. Vorbei die Zeiten des knalligen Agfacolor! Nüchtern analysiert man die ersten Muster. Reporter Heinz Reinhard berichtet von Farbfilminnovationen bei dem „in ein zeitgemäßes Gewand gekleideten“ Film und meldet, dass die Außenaufnahmen
bei herrlichem Spätsommerwetter planmäßig unter Dach gebracht werden konnten. Zehn Ateliertage in Tempelhof schlossen sich an. Diesmal ist die Berolina vom Agfacolor-Film übergegangen zu Gevaert-Color, und die ersten Muster rechtfertigen die Auffassung, daß sich das Material für die Landschaftsaufnahmen besonders eignet und die bunte Postkartenromantik bei diesem Film entfällt.
Heinz Reinhard, „Grün ist die Heide“ – ganz aktuell. Die Filmwoche 40 (1951), S. 503.
Alles weiter nach Plan. Die Filmpremiere findet am 14. November statt, natürlich wieder im Palast-Theater in Hannover. Das Kino, im Krieg völlig zerstört, ist 1948 an alter Stelle neu aufgebaut worden. Als wäre nichts gewesen. Gerade ist das obere Foyer renoviert worden, ganz modern natürlich.
Erneut sind Filmstars vor Ort, jetzt sogar mit Jägerkapelle und Trachtengruppe. Die „Filmwoche“ berichtet gleich am 24. November 1951, ihr Reporter Ernst Bohlius war mit dabei:
Der Film hatte im Palast-Theater in Hannover einen glänzenden Start mit grünberocktem und trachtengeschmücktem Personal, Jägerkapelle und wirksamer Reklame in der Stadt. Die Tagespresse mockierte sich, aber: „Was dem Kritiker sien Uhl, ist dem Publikum sien Nachtigall!“ Der Applaus, der den elf anwesenden Darstellern von Ziemann bis Prack, dem Regisseur und dem Kameramann galt, hielt genau 32 Minuten an, und die Kassen sind zur Zeit auf Tage hinaus ausverkauft. Im Hinblick auf das Geschäft im Süden meinen wir: Was der krachledernden Romantik im Norden recht ist, sollte Hermann Löns dort billig sein.
Ernst Bohlius: Grün ist die Heide. Die Filmwoche 47 (1951), S. 642.
32 Minuten Applaus! Glänzender Start! Ausverkauftes Haus, auf Tage hinaus! Wieder wird der Film ein Kassenschlager, diesmal sogar stilbildend. Er begründet eine Welle von Heimatfilmen im bundesrepublikanischen Kino der Fünfziger Jahre. Und dies gelingt so gründlich, dass das Original von 1932 völlig in Vergessenheit gerät.
Fast gewinnt man den Eindruck, dass 1951 tatsächlich an die Stelle von 1932 tritt. So als könne man zurückgehen, nochmal von vorne anfangen und diesmal nicht falsch abbiegen. Und alles vergessen, was dazwischen liegt.
1951 ist aber nicht 1932. Ganz offensichtlich sollen zusätzliche Attraktionen, Schauwerte und die vielen Stars überspielen, was die Löns-Welt nicht mehr hergibt. Und was man nicht mehr wissen will.
Das fängt schon bei Lüthges Drehbuch an. Aus dem innerlich zerrissenen Wilderer Lüdersen macht er einen heimatvertriebenen Ostflüchtling, der in der Heide seinem verlorenen Großgrundbesitz hinterherjagt. Das hat nicht mehr viel mit Löns zu tun. Den Schlingensteller Specht, der sich 1932 am Ende als eigentlicher Wilderer entpuppt, ersetzt Lüthge durch eine umfängliche Nebenhandlung. Jetzt macht ein ganzer Zirkus Station in der Heide, Specht war bloß mit einem Planwagen unterwegs. Das gibt zwar Gelegenheit für Clownsnummern, Tiere in Käfigen und Manegenstimmung. Geht aber zu Lasten des Heidefeeling.
Bei der Besprechung des Films in der „Filmwoche“ am 24. November 1951 betont Rezensent Bohlius einseitig die Liebesgeschichte, Männer in Uniform heißen verniedlichend Grünröcke. Und werden in einem Atemzug mit Trachtenschmuck genannt. Bloß nicht von Uniformen sprechen. Alles harmloses Volkstum! So wie der plattdeutsche Spruch von Eule und Nachtigall.
Bohlius zeigt sich betont kritisch. Gegenüber der Hannoveraner Presse, die sich „mockiert“. Gegenüber der „krachledernen Romantik“ und dem „billig“ zurechtgemachten „Löns“, mit dem man schnell die Kassen füllt. Wenn alle hinrennen, kann das nichts sein.
Lob gibt es höchstens für die Technik. Wie die Kamera „die Kostüme in leuchtend bunten Farben wiedergibt und stimmungsvolle Landschaftsbilder hinzaubert“! Sie hilft nicht gegen die Langweile:
Hans Deppe führte Regie und versuchte das farbenfrohe, aber etwas langatmige Spiel mit dem immer wieder bewährten Trachtenfest, mit Wildererromantik und Zirkusatmosphäre aufzulockern. Die Besetzung ist schon eine halbe Abendkasse wert, selbst die kleinsten Episoden sind mit namhaften Darstellern besetzt.
Trachtenfest, Wildererromantik, Zirkusatmosphäre. Namhafte Darsteller. Zu viel von allem ist nicht unbedingt was Ganzes. Das Gesamturteil ist vernichtend:
Bobby E. Lüthge hat nun sein altes Drehbuch wieder hervorgeholt und zeitgemäß umfrisiert, nicht aber die Sentimentalität abgestreift. Die Heimatvertriebenen und die musikalische Untermalung von Aug. Strasser (Hammond-Orgel: Gerhard Gregor) werden sich zwar positiv auf die Kassenabrechnungen auswirken, machen aber die Handlung nur noch rührseliger.
Rührseliger Kitsch. Kasse machen. War das nicht genau das, was 1932 der NS-Kurier anprangerte?
In der „Filmwoche“ vom 15. Dezember 1951, als sich der überragende Erfolg des Films abzeichnet, berichtet Hellmut Stolp mit einer Militärmetapher vom „Kassensturm“ in den norddeutschen Großstädten. Und geht sofort auf Distanz: „Aber ist das ein Maßstab?“ Zuviel Begeisterung ist verdächtig. Vielleicht läuft man beim Stürmen ja wieder dem Falschen hinterher.
1972 wird zum dritten Mal ein Film mit demselben Titel gedreht, eine Koproduktion der Terra-Filmkunst, der Allianz Filmproduktion und der Houwer-Film, jetzt mit neuem Plot. Der hauptverantwortliche Produzent Heinz Willeg war schon bei der Verfilmung von 1951 als Produktionsleiter mit dabei.
Sein neues Autorenteam bemüht sich erkennbar um eine Modernisierung des alten Stoffs. Die Monarchen werden zu drei Freunden aus der Großstadt umgeschrieben, die sich eine Auszeit nehmen und das einfache Heideleben erproben wollen. Wie die Jugendgruppen des frühen Heidetourismus übernachten sie in einer Heidehütte, Liebesverwicklungen schließen sich an.
Die Rolle des fahrenden Sängers übernimmt Roy Black, der zum Filmstart eine ganze LP mit Löns-Liedern veröffentlicht, im zeitgenössischen Easy-Listening-Bombast-Sound. Ganz anders als sein unmittelbarer, deutlich in die Jahre gekommener Vorgänger Rudolf Schock, der gesanglich noch immer Karl Blume verpflichtet ist. Zwei Löns-Lieder auf der LP sind ganz neu für Roy Black vertont. Er bietet wirklich moderne Volkslieder, für die Leute von heute.
Das führt auch der Film vor. Bevor Roy als moderner Monarch die Heide durchstreift, zieht er aus dem Bücherregal seines schicken Appartments ein paar alte Löns-Scharteken hervor. Warum nicht? Man nimmt ihm und seinen Mitstreitern das ehrliche Bemühen ab, den ollen Heften etwas Neues abzugewinnen.
Aber auch 1972 steht als Elefant im Raum, dass Löns nicht immer nur für harmlose Lieder stand, die die wandernde Jugend beim Heideausflug trällert. Junge Leute in der hippen Großstadt lesen vergilbte Heftchen von 1911, gehen zurück zum Original. Ein guter Ansatz. Aber was nach 1933 war, wird ausgeblendet. Als wäre es nie passiert. Das kann nicht funktionieren.
Wo ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Filmleute 1932 einfach so einen Unterhaltungsfilm drehen? Weil es das Drehbuch so will. Weil jeder Löns-Lieder kennt und singt. Weil man sich am Sonntag mal ablenken lässt. Das geht in der Bundesrepublik irgendwie nicht.
Zum Inhaltsverzeichnis.
Zu Kapitel 14: Der Sound der Heide und die Macht.
Verwendete Literatur
Recherche im Deutschen Zeitungsportal sowie in den e-newspaperarchives.ch.
- NS-Kurier. Nationalsozialistische Tageszeitung für Württemberg und Hohenzollern, 27.09.1932, S. 11: „Grün ist die Heide …“
- Journal et feuille d’avis du Valais (23. August 1939): Un drame, a Zurich. Link zu e-newspaperarchives.ch.
- L’impartial (23. August 1939): La fille de M. Bruno Walter est tuée par son mari qui se suicide ensuite. Link zu e-newspaperarchives.ch.
- Burgdorfer Tagblatt, Bd. 109, Nr. 198 (25. August 1939): Blutiges Drama in der Familie Bruno Walters. Link zu e-newspaperarchives.ch.
- Stadtanzeiger für Castrop-Rauxel und Umgebung 18.10.1943, S.4: „Karl Blume 60 Jahre“.
David Templin: Wissenschaftliche Untersuchung zur NS-Belastung von Straßennamen. Abschlussbericht erstellt im Auftrag des Staatsarchivs Hamburg, Hamburg 2017, S. 167-170 (Fritz Jöde). Link zur Stadt Hamburg (pdf).
Fischer, Eugen Kurt: Das Brucknerstift St. Florian. Ein Beitrag zur Rundfunkgeschichte im Dritten Reich. In: Publizistik 5 (1960), S. 159-164. Augenzeugenbericht aus St. Florian über Castelles Beteiligung.
Entnazifizierung Friedrich Castelle, geb. 30.04.1879 (Freier Künstler). Verzeichnungseinheit Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland. NW 1039-C / SBE Hauptausschuss Regierungsbezirk Münster NW 1039-C, Nr. 327 Link zum Landesarchiv Nordrhein-Westfalen.
Geschichte der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Link zur Gedenkstätte Bergen-Belsen.
Heinz Reinhard: „Grün ist die Heide“ — ganz aktuell. Neuer Berolina-Farbfilm mit Prack, Ziemann, Fritsch, Stüwe, Holst. In: Die Filmwoche 40 (1951), S. 503. Link zum Internet Archive.
Das Palast-Theater in Hannover. In: Die Filmwoche 46 (1951), S. 631. Link zum Internet Archive.
Ernst Bohlius: Grün ist die Heide. In: Die Filmwoche 47 (1951), S. 642. Link zum Internet Archive.
Hellmut Stolp: Aus Norddeutschland. November-Fanfaren. In: Die Filmwoche 50 (1951), S. 701. Link zum Internet Archive.