Die Heide zum Mitsingen
Hermann Löns, pädagogisch vertont

Das Mädchen in der Mitte, mit Liederheft auf dem Schoß, spielt Gitarre. Der neben ihr sitzende Junge klampft ebenfalls. Zu sehen sind allerdings nur die bunten Minnesänger-Schmuckbänder am Gitarrenkopf.
Inhalt
Heide-Lieder für Wandervögel
Kein Wunder, dass die Lieder des „kleinen Rosengarten“ von Hermann Löns sofort nach Erscheinen vertont werden, vor allem von wohlmeinenden Musikpädagogen. Soviel erotisches Potential muss erzieherisch gebändigt werden. Es ist die Zeit der Jugendbewegung und Wandervögel, und Jugend braucht pädagogische Aufsicht.
Ab 1910 gründen sich in den Städten Jugendgruppen, entweder direkt der Wandervogelbewegung verbunden oder zumindest an ihr orientiert. Am Wochenende geht es raus aus der Stadt mit der Bahn in die Heide! Die umfunktionierten Scheunen der örtlichen Gastwirte reichen bald nicht mehr aus für all die wandernden Jugendlichen. In Eigeninitiative errichten sie „Heidehütten“, bauen alte Schaftställe, nicht mehr genutzte Schmieden oder Gesindehäuser zu Schlafräumen um. Bewusst pflegen sie das einfache, naturnahe Leben, besonders beliebt sind Nachtwanderungen.
Immer mit dabei ist die Laute, für Lieder zum Mitsingen. Die Laute, manchmal auch Zupfgeige genannt, ist eine Gitarre, aber in der deutschen Spezialvariante. Sie verbreitet Mittelalterflair, besonders wenn man den Gitarrenhals mit bunten Stoffbändern schmückt. Tandaradei, wie ein Minnesänger! Durch die Wandervögel wird die Laute zum beliebtesten Musikinstrument der Deutschen.
Jugendbewegte in der Heide, mit der Klampfe unterwegs, übernachten in Heidehütten, selbstorganisiert. Erwachsenen macht das Sorgen. Nicht dass sich da was abspielt! Es sind vor allem Lehrer und Musikpädagogen, die sich an die Vertonung der Löns-Lieder machen. Die erfolgreichsten von ihnen wohnen im Einzugsbereich des Heidetourismus und wissen, wie man die Jugend beim fröhlichen Singen hält.
Ludwig Rahlfs, 1863 geboren, wächst in der Nähe von Walsrode als Sohn des örtlichen Kantors auf. Musikunterricht beim Vater, seit 1888 im Schuldienst in der Lüneburger Heide. Da liegt es nahe, Löns-Lieder zu vertonen. Er komponiert sowieso regelmäßig in seiner Freizeit, die Zahl der von ihm gesetzten Lieder geht in die Tausende. Bereits im Dezember 1913 publiziert er sheet music für „Auf der Lüneburger Heide“, den signature song aus dem „Rosengarten“, noch als Marschlied für Klavierbegleitung. Später, im April 1917, erscheinen „Fünfzig Lieder aus dem kleinen Rosengarten“, jetzt gesetzt für Gitarre oder Laute, nur mit mäßigem Erfolg. Es bleibt ein one hit wonder für Rahlfs.
Ganz anders entwickelt sich die Sache, als Fritz Jöde im November 1917 sein Liederheft mit fünfzig Löns-Liedern publiziert. Jöde, Jahrgang 1887, ausgebildet zum Hamburger Volksschullehrer, ist nach einer Kriegsverwundung in den Schuldienst zurückkehrt. Schon während seiner Zeit an der Front vertont er Löns-Lieder, nach seiner Rückkehr nimmt er sich weitere Lieder aus dem „Kleinen Rosengarten“ vor. Das ist der Beginn einer erfolgreichen Karriere als Musikpädagoge. Seine Kompositionen sind eingängig und gehen sofort ins Ohr. „Volkslieder von Hermann Löns, zur Laute gesungen“. Der Untertitel des Hefts ist Programm. Jöde komponiert gezielt für die Gitarrenlaute, mit einfachen Griffen, die jeder klampfen kann. Wie es sich eben für richtige Popsongs gehört. Für Jöde ist es der Start in eine beeindruckende Karriere. Bald wechselt er in die Lehrerbildung, geht 1923 nach Berlin und wird dort einer der wichtigsten Reformpädagogen für Musikerziehung.
Jöde hat Konkurrenz. Mittlerweile versuchen sich ziemlich viele Komponisten mit je eigenen Notenheften an den eingängigen Lönsschen Volksliedern. Ernst Licht, 1892 in Bremen geboren, kommt von der Worpsweder Künstlerkolonie. Er veröffentlicht im Januar 1918 eine Klavierfassung mit Löns-Liedern und liefert im Juni 1919 die Lautenfassung nach.

Die Liederhefte erscheinen häufig in verschiedenen Versionen. Jöde ist Spitzenreiter. Es gibt eine kleine Melodienausgabe, für die Gruppe zum Mitsingen. Die mittlere Ausgabe passt für die Begleitung unterwegs auf der Laute. Und für das Klavier zuhause kann es ruhig ein großes Heft sein.
Wettbewerb der Löns-Vertonungen
Weil sich von Anfang an mehrere Komponisten an den Löns-Liedern versuchen, gibt es für die Lieder verschiedene Versionen. Viel zu viele, um da noch den Überblick zu behalten.
Walter Holz, jahrzehntelang Leiter des Stadtarchiv Hagens und gerade frisch im Ruhestand, versucht es 1973 trotzdem. Er beginnt, ein Zentralarchiv Löns-Vertonung als Liste anzulegen, in dem er alle Löns-Komponisten mit all ihren Vertonungen verzeichnen will. Ein aussichtsloses Unterfangen. 1983 publiziert er eine Übersicht mit den Namen von 330 Löns-Komponisten. Und das, gibt er bedauernd zu bedenken, kann nur ein „Zwischenergebnis“ sein: „Noch hundertfache weitere Schätze gilt es aufzuspüren und für eine einsichtigere Zukunft zu bewahren und aufzubereiten“. Schätze, die bis heute ungehoben sind.
Fragen wir uns lieber, welche Löns-Vertonungen die erfolgreichsten sind. Nimmt man die LPs aus späterer Zeit von 1966 (Rudolf Schock) und 1973 (Roy Black) als Maßstab, kann man sehen, welcher Komponist sich bei welchem Lied durchgesetzt hat. Das ist viel einfacher.
Aber Achtung! Die Lieder sind so beliebt, dass auf dem LP-Cover der Gedichtanfang oder sogar ein ganz neuer Titel steht, nicht aber die Überschrift, die Löns selbst dem Gedicht gegeben hat. Was für ein Chaos!
Da verliert man schnell die Übersicht. Das geht schon los, wenn man nur die beliebtesten Löns-Liedern in einer Tabelle auflistet.
Titel | Gedichtanfang | Neuer Titel | Komponist der beliebtesten Fassung |
---|---|---|---|
Auf der Lüneburger Heide | Auf der Lüneburger Heide | Ludwig Rahlfs | |
Das Geheimnis | Als ich gestern einsam ging | Grün ist die Heide | Karl Blume |
Abendlied | Rose Marie | Fritz Jöde | |
Der Tauber | Horch, wie der Tauber ruft | Fritz Jöde | |
Warnung | Du hast gesagt, du willst nicht lieben | (Wenn) der Birnbaum blüht | Ernst Licht |
Der Grenadier | Die Trommeln und die Pfeifen | Ernst Licht |
Die Gesamtbilanz ist allerdings eindeutig. Rahlfs setzt sich nur mit einem einzigen Lied durch. Licht mit einigen wenigen. Ansonsten sind die Löns-Lieder auf den LPs vor allem Löns-Jöde-Lieder. Mit einer Ausnahme. Wer ist dieser Karl Blume?
Zum Inhaltsverzeichnis.
Zum nächsten Kapitel: Die Heide im Schützengraben: Karl Blume, Komponist und Truppenbetreuer.
Abbildungsverzeichnis
Jugendwandern (Mädchen und Junge mit Klampfe inmitten einer Gruppe vor einem Landheim, 1927) von Gäbler, Ernst (Herstellung) (Fotograf) – Deutsche Fotothek, Germany – In Copyright – Educational Use Permitted. Link zu Europeana.
Notenhefte zum „Kleinen Rosengarten“. Fritz Jöde: Melodienausgabe, Ausgabe für Laute, Ausgabe für Klavier. Eigenes Smartphone.
Verwendete Literatur
Ute Brüdermann: Fritz Jöde. Link zum Archiv der Deutschen Jugendbewegung.
Hofmeisters Musikalisch-literarischer Monatsbericht über neue Musikalien, musikalische Schriften und Abbildungen. Jahrgänge 1913-1920. Link zur Österreichischen Nationalbibliothek.
Der kleine Rosengarten. Volkslieder von Hermann Löns mit Musik von Fritz Jöde (Exemplare der ULB Münster).
- Ausgabe für Klavier, 190. – 200. Tausend, Jena: Eugen Diederichs 1924
- Ausgabe für Laute, 128. – 132. Tausend, Jena: Eugen Diederichs 1921
- Melodienausgabe, 1. – 6. Tausend, Jena: Eugen Diederichs 1921
Aus dem „Kleinen Rosengarten“ von Hermann Löns und andere schlichte Lieder. Vertonungen von Ernst Licht (Exemplare der ULB Münster).
- Gesang und Klavier, Berlin-Lichterfelde: Adolf Köster 1917
- Ausgabe für Klavier allein mit hinzugefügten Texten, Berlin-Lichterfelde: Adolf Köster 1917
Fünfzig Lieder aus dem Kleinen Rosengarten von Hermann Löns in Musik gesetzt von Ludwig Rahlfs. Ausgabe für Gitarre oder Laute, 16. Bis 20. Tausend, Hamburg: Freideutscher Jugendverlag Adolf Saal 1916. Link zur Universität Hamburg.
[Holz, Walter]: Löns-Komponisten. In: Peters-Arnolds, Henry: Karl Blume. Komponist des Löns-Liedes „Das Geheimnis“. Zu seinem 100. Geburtstag am 13.10.1983, Hagen: Westfälisches Musikarchiv 1983, S. 105-109.