Reporter auf dem Trachtenfest
Dreharbeiten zu „Grün ist die Heide“ in Scheeßel


Inhalt
- Außenaufnahmen in der Lüneburger Heide: Drehorte und timeline
- Reporter decken auf: Heimatfilm als guerilla filmmaking
- Reporter über Liebende, Wilderer und blühende Heide
- Reporter über den echten deutschen Heimatfilm
Außenaufnahmen in der Lüneburger Heide: Drehorte und timeline
Über die Dreharbeiten zu „Grün ist die Heide“ werden wir minutiös in der Presse informiert. Das Deutsche Lichtspiel-Syndikat, kurz D.L.S., schürt geschickt Erwartungen und hält uns auf dem Laufenden.
Am 10. September beginnen die Dreharbeiten mit Außenaufnahmen in der Lüneburger Heide. Die Filmleute beziehen Quartier in Rotenburg (Wümme).
Aufnahmen von der blühenden Heide müssen möglichst früh im Kasten sein. Man weiß ja nie, wie lang die Natur mitspielt. Deswegen ist Viktor Gluck, „der sich als Freilichtoperateur einen Namen gemacht hat“, laut Pressemeldungen schon seit einigen Tagen in Rotenburg, „um von dort aus in zahlreichen Streifzügen durch die Heide Landschaftsaufnahmen zu drehen, bis Regisseur Hans Behrendt mit dem Ensemble zu den Spielaufnahmen in der Heide eintrifft“ (Deutsche Reichszeitung 14.09.1932).
Die Spielaufnahmen folgen einer dicht getakteten timeline (Bremer Nachrichten 13.09.1932). Nicht alles läuft nach Plan :
Samstag 10.09. | Hotel „Rotenburger Hof“, Anreise Teil 1 | Karl Blume ist als erster da. Abends kommen aus Berlin: Camilla Spira und Regisseur Behrendt, außerdem der Filmarchitekt und „das gesamte technische Aufnahmepersonal“. |
Sonntag 11.09. | Scheeßel (Meyerhof und Heimathaus) und Wohlsdorf, Innenaufnahmen | Die geplanten Filmaufnahmen eines Trachtenfests sind wegen Schlechtwetter abgesagt. Man filmt Innenräume, „die später bei Atelieraufnahmen Verwendung finden werden.“ |
Montag 12.09. | Hotel „Rotenburger Hof“, Anreise Teil 2 | Fritz Kampers, Peter Voß, Paul Beckers und Eduard v. Winterstein treffen ein. |
Montag 12.09. – Samstag 17.09. | Hastedter Schnuckenheide, Außenaufnahmen | „Sobald günstiges Wetter eintritt, wird unverzüglich mit den Freilichtaufnahmen begonnen werden.“ |
Nicht nur das Wetter, auch Schauspieler sorgen kurzfristig für Änderungen. Offenbar gehen Behrendt und sein Ensemble noch bis kurz vor Drehbeginn davon aus, dass Eduard von Winterstein die Rolle des Wilderers Lüdersen übernehmen wird. Tut er aber nicht. Schnell wird umbesetzt, Theodor Loos als neuer Lüdersen zur last minute addition.
Das Ensemble dreht an vielen Orten. Dreh- und Angelpunkt bleibt das Hotel „Rotenburger Hof“, das erste und älteste Haus am Platz. Ganz schön viel Fahrerei!

Im Meyerhof kann wegen des Regens erstmal nur drinnen gefilmt werden. Also werden Einstellungen von Camilla Spira beim dressing up im modischen Trachtenlook gekurbelt. In den nächsten Tagen legt sich der Regen. Wie geplant wird in der Hastedter Schnuckenheide draußen bei Tageslicht gefilmt. Rasch sind die Konflikte in Szene gesetzt, mittendrin die Monarchen, die der überehrgeizige Försteradjunkt der Wilderei verdächtigt.


Überhaupt die Monarchen. Wie es sich für ein Sprachrohr der Heide gehört, platziert sie Regisseur Behrendt geschickt in stimmungsvolle Heidelandschaft. Ein zerfahrener Sandweg, von Birken gesäumt, hinten Nebelschwaden. Unsere drei Vagabunden strömern den Weg entlang, ein Lied auf den Lippen.

Karl Blume findet die Dreharbeiten ziemlich anstrengend. Am Ende der Woche, mit Poststempel vom Samstag, 17. September, sendet er seiner Frau eine Postkarte, wie immer schnell mit Bleistift geschrieben: „Heute sind zahlreiche Aufnahmen gemacht worden. Bin sehr müde. Morgen folgt Brief u. einige Photos von mir. Post u. Paket erhalten. Herzl. Grüße, Karl.“
Und was wird aus dem Trachtenfest?
Am Sonntag, 18. September, ist es endlich soweit. Hans Behrendt reist wieder nach Scheeßel, diesmal mit dem ganzen Stab. Endlich soll das traditionelle Heide-Hochzeitsfest gefilmt werden, inklusive Brautzug. Jetzt, wo das gesamte Ensemble angereist ist, werden Camilla, Peter und die Monarchen gleich von Anfang an mit eingebaut. Das gibt dramaturgisch ordentlich was her. Für die Liebe: Auf dem Fest tanzen Grete und Walter das erste Mal miteinander. Und für den Klamauk: Die Monarchen bedienen sich am Kuchenbufett.
Reporter decken auf: Heimatfilm als guerilla filmmaking

Noch sieht es nicht nach Regen aus.
An so einem Tag darf die Presse nicht fehlen. Das D.L.S. organisiert Journalisten, die ganztägig vor Ort sind. In den nächsten beiden Tagen erscheinen gleich drei Drehberichte. Eine großangelegte Erlebnisreportage bringt die Nordwestdeutsche Zeitung, Hans Ordemann beschreibt den „Filmzauber über der Lüneburger Heide“ (Montag 19. September), ebenso der Hamburgische Correspondent unter der Überschrift „Grün ist die Heide. Scheesseler Bauernhochzeit im Löns-Gedächtnisfilm“ (Dienstag 20. September). Außerdem berichtet die lokale Scheeßeler Zeitung über die „Filmaufnahmen“ (Dienstag 20. September). Wir sind bestens informiert.
Atemberaubend, wie man 1932 Filme macht. Vier Lehren kann man ziehen.
1. Regie, das bedeutet Planung und Koordination.
Mittags geht es los. „Kurz nach 1 Uhr erschien der Stab der Filmleute“, „Aufnahmeapparate wurden aufgebaut und schußfertig eingestellt“. Und das ist erst der Anfang. An was man alles denken muss!
Der Bühnenbau. „Handwerker beeilten sich, auf dem Behrenschen Hofe am Meyerhof den Aufnahmeplatz herzurichten“. „Vor einer Heidekate wird schnell der Tanzboden gelegt (jawohl – „Tanz im Freien“!), und die lustig fiedelnde und schmetternde Musik nimmt auf dem grünen Leiterwagen vor der Scheune Platz.“ Musik vom Trecker. Fertig!
Die Komparsen. Überall tummeln sich Einheimische, „vollzählig zur Stelle die hiesigen Mitspieler in ihren alten Trachten, die Musikanten, die Feuerwehr, der Reitverein, die Spielschar, Trommler und Pfeifer usw.“ Ein besonderer Hingucker und Grund dafür, dass der Film ausgerechnet nach Scheeßel kommen, ist der örtliche Trachtenverein, 1905 kurz vor der ersten Touristenwelle gegründet. Ganz schön viel Leute!
Das Wetter. Hoffentlich klappt es diesmal! Wir haben doch nur den einen Tag. „Die Filmgewaltigen laufen dort schon besorgten Gesichts herum, denn die Sonne will und will nicht hinter den Wolken heraus.“ Man holt sich Rat an kundiger Stelle. „Alte Bauern werden befragt, und weil sie sich optimistisch äußern, wird beschlossen, die Aufnahme zu drehen.“
Das geht nur, wenn einer den Überblick behält: „Meister Behrendt“, der „Oberregisseur“. Und mit einem Team, bei dem die Handgriffe sitzen. Ergebnis: die perfekte Illusion, eine Filmwelt entsteht. Entzückend – und verblüffend!
An der Dorfstraße, an einem wundervoll gelegenen Platz, vor einem etwas zurückliegenden Bauernhause, im Hintergrund abgeschlossen von dunklem hohem Tannenwalde, hat man eine kleine Tanzfläche zusammengezimmert, sozusagen die Bretter, die die Welt bedeuten. Das ist nun allerdings eine ganz besondere Welt, die wie hervorgezaubert unter den routinierten Händen und Anweisungen des Oberregisseurs Behrend und seines Stabes entsteht.
Verblüffend das konstruktive, aber doch so absichtslose und natürliche Bild, wie es nach und nach immer voller wird, wie Leben hineinkommt und Bewegung: wieder ist man entzückt von der prächtigen Wirkung der alten Volkstrachten, die die jungen Leute, Burschen und Mädchen, zum Tanz angelegt haben.
2. Film braucht Infrastruktur und schweres Gerät.
Neppachs Logistik-Zentrale in Rotenburg muss „in Scheessel gewissermaßen eine Filiale aufschlagen“. Eine Expedition, „die aus Stars, Funktionären, Technikern, Komparsen, einem gewaltigen Troß also“, eine richtige „Baggage“, wie beim Militär. Ohne Trucker geht das nicht. „Eine ganze Reihe von Kraftwagen setzte sich nach Scheessel in Bewegung.“ Was ist da denn alles drin? Gespielt wird „unter dem lustigen Schnurren der Kamera[s], die von drei oder vier Seiten zugleich das Bild einfangen.“ Mehrere Kameras sparen Geld. Wir nutzen das Tageslicht und müssen die Szenen nicht so oft drehen. Bei vier Kameras wird schon was dabei sein. Außerdem haben die Leute vom Trachtenverein ja auch nicht ewig Zeit.
Überhaupt, die Technik! Ein „besonderer musikalischer Filmmann“ instruiert die Musikkapelle auf dem Trecker, er „skizziert schnell die Haupthemen und -motive der Begleitmusik“. Das reicht. Meister Behrendt ruft ohnhein ständig Anweisungen dazwischen. Grete und Walter tanzen, „traurig, den nun werden sie sich trennen müssen. „Viiiiiel trauriger!“ ruft der Regisseur. Trotz Tonfilms? Jawohl, denn nur die Bilder, nicht die Begleitmusik und -geräusche werden bei diesen Massenszenen aufgenommen, technischer Schwierigkeiten wegen.“
Die Kapelle, „die mit Fidel und Baß, mit Trompete und Flöte auf einem Ackerwagen residiert“, spielt nur für die Leute in Scheeßel, weil erst „in Berlin eine Melodie geschrieben wird, die, auf elektisch-optischem Wege neben das Filmband kopiert, „nachsynchronisiert“ wird“. Ach so.
3. Film ist Improvisation.
Auf einmal fängt es an zu regnen, oder, wie wir Lateiner sagen, der Regengott Jupiter Pluvius rauscht herein. Da haben sich die wetterkundigen alten Bauern wohl geirrt. Kein Problem. Meister Behrendt filmt einfach weiter. Und baut das Drehbuch spontan um. „[P]lötzlich fegt Jupiter Pluvius mit einem rauschenden Guß alles auseinander: alles rennet, rettet, flüchtet; doch auch aus dieser tollen Situation weiß Meister Behrend noch etwas zu machen: Es wird die Fluchtszene gekurbelt und in einigen Details sogar wiederholt, bis alles sein rettendes, schützendes Dach aufgesucht hat und die noch eben so buntbelebte Tanzfläche sehr trist daliegt.“ Auch da lässt sich was draus machen, „die Aufnahmeapparate fanden von schützenden Regenschirmen bedeckt noch zahlreiche Motive.“
Aus der geplanten Heide-Hochzeitsfeier wird allerdings nichts. „Da eine schnelle Aufklärung nicht zu erwarten war, mußte der Brautzug ausfallen und die Vereine konnten abziehen.“ Stattdessen gibt es eben einen Trachtenverein on the run und eine triste Tanzfläche. Egal. Die Szene wird gekurbelt. Sogar wiederholt. Man muss sich nur zu helfen wissen.
4. Film ist Glamour.
Am Schluss wird tüchtig gefeiert. „Nach und nach tritt die Karawane den Rückzug nach Rotenburg an“, wo „ein Abschiedsball abends die Rotenburger und ihre Gäste zu Gesang und Tanz vereinigt“. Berliner Filmwelt trifft Lokalprominenz. Die Heidewirte sind ja bekannt dafür, dass sie auch zu später Stunden alkoholische Getränke für ihre Gäste bereithalten.
Autogrammjäger stehen Schlange, „die Füllhaltertinte floß bei den Prominenten in Strömen – – -!“ Kein Wunder, Camilla Spira, die „Greta Garbo von Scheeßel“, bekommst du nicht alle Tage zu sehen.
Bereits in Scheeßel hat man für das leibliche Wohl gesorgt. „In Behrens Saal fand anschließend für die heimischen Mitspieler eine Kaffeetafel statt.“ Filmleute verstehen zu feiern.
Reporter über Liebende, Wilderer und blühende Heide
Der Drehberichte geben uns nicht nur exklusive Einblicke ins Filmemachen. Sie zeigen auch, dass der Lönskult in eine neue Phase geht. Nach den Löns-Gedächtnisfeiern, so der Reporter des Hamburgischen Correspondenten, kommt jetzt der „Hermann-Löns-Gedächtnisfilm“.
Die drei Zutaten des Films, mit denen später geworben wird, sind anekdotisch in die Drehberichte verwoben. Allerdings, ziemlich deutsch ist das schon. Das Frauenbild. Die sprachlosen Männer. Die Uniformen. Die harmlosen Späße. „Löns“ halt.
Der bezaubernde Liebesroman
Die Stars am Set sind Camilla und Peter als Tierärztin und Jäger. Die beiden tanzen beim Dorffest, danach ist alles klar. Er in Uniform, sie im Trachtenlook. Er fordert auf, sie lässt sich führen. Ohne Worte, nur Gefühl. Herzig.
Alles ist vorbereitet, die Kostüme sitzen. Camilla, „weizenblond mit kirschrotem Mund“, erntet bewundernde Blicke. Dann, „unter allgemeinen Rufen der Bewunderung und des Entzückens“, treten „Camilla und Peter, die Heidetochter und ihr junger Jägersmann in Szene; freundlich nach allen Seiten grüßend, gehen sie zur Tanzfläche um mitzuwalzen, aber nicht lustig, denn „ernst, Camilla, ernst!“ ruft Meister Behrend; das Drehbuch will es so und so tanzen die beiden denn sehr sittsam, wohlanständig, in gemessenem Ernst.“ Typisch Filmstar! Das ist sie wahrscheinlich aus Berlin nicht gewohnt. Sie verhält sich gar nicht wie Mädchen im Heidedorf. So ein schönes Kleid, das probiere ich mal an! Von wegen. Zum Look gehört ein rigides Frauenbild: Anstand, Sitte, Ernst. „Meister“ Behrendt korrigiert, dann passt es. Ist ja nur ein Film.
Die spannende Wilderer-Geschichte
Der Lüdersen-Darsteller Theodor Loos hat es dem Hamburger Reporter besonders angetan. Ein düsterer Typ. Das Image bringt er aus seinen früheren Filmen mit, im kolossalen Großfilm „Die Nibelungen“ spielt er den König Gunther, der die spröde Island-Frau Brunhild heiratet. Entscheidungsschwach und wankelmütig, hat sich nicht im Griff. Ist der in echt genauso? „Unter den Filmschauspielern befindet sich auch Theodor Loos, der Darsteller des Günther im Nibelungenfilm, um nur die bekannteste Rolle zu nennen. Auffällig ist sein verschlossenes, verbissenes Gesicht, und von eingeweihter Seite hört man bestätigt, daß Loos sich derartig in seine Rollen einlebt, daß er auch während der Aufnahmepause nicht aus ihr herausgeht.“ Verbissen und verschlossen. Ein Löns wie aus einem Castelle-Vortrag.
Vor dem Hintergrund blühender Heide
Für das heidetypische feeling sorgen die drei Monarchen. Hans Ordemann von der Nordwestdeutschen Zeitung erkennt Nestroys Zauberposse als literarische Vorlage und nennt Fritz Kampers den Anführer „eines norddeutschen Lumpazivagabundus-Kleeblatts“. Er ist der „erklärte Liebling bei groß und klein“. „Ganz echt, ganz saftig sieht er in seiner Kluft aus, die so abgerissen ist, das ihn der nächste Windstoß „entblättern“ könnte.“
Die erste Szene zeigt ihn und die beiden anderen mitten im Trubel des Dorffestes. Die Altvorderen haben ein ausladendes Kuchenbuffett aufgebaut: „an langen Tischen mit Bergen von Kuchen und wahren Kübeln von Kaffee, die Omas und Opas, die voller Vergnügen bei der Sache sind und denen man nichts Komparsenhaftes anmerkt“. Da können wir gleich losfilmen! Zur „allgemeinen Heiterkeit und zur hellen Freude Meister Behrends“ passt sofort alles zusammen, als „die drei Monarchen, die Heidestromer, ins Bild geschlendert kommen, sich an die Omas heranmachen und einige Kuchen klauen; köstlich die ehrliche Entrüstung und Abwehrversuche, die von dem gemütlichen Kampers, einer herrlichen Type, gar bald in wohlwollende Heiterkeit verwandelt werden.“ Alles nur Spaß!
Die zweite Szene rückt Blume und die Löns-Lieder ins Zentrum. Für den Film ist ein einsamer Spielmann allerdings nicht fotogen genug. Also wird Blume umlagert von einer Jugendbund-Truppe, wie es sich gehört in Einheitskleidung. Schon wieder Uniformen. Diesmal für Jugendliche. „Karl Blume mit seiner Gitarre, inmitten der Spielschar eines Jugendbundes, die in ihrer schmucken bündischen Kluft, wundersame, poesievolle Volkslieder singen und auf ihren Instrumenten spielen“. Wundervoll, „eine fein abgestimmte, tief empfundene Szene“! So sehen wir Jugend gerne. In Einheitstracht, beim Absingen einheimischer Volkslieder.
Reporter über den echten deutschen Heimatfilm
Auch auf den unique selling point von „Grün ist die Heide“ gehen die Drehberichte ein. Es wird ein echter deutscher Heimatfilm! Das ist allerdings weder nationalistisch noch dokumentarisch gemeint.
Wie das? Als die Aufnahmen auf dem Meyerhof, direkt gegenüber von Behrens Saal, auf dem eigens gezimmerten Tanzboden, losgehen, sieht doch alles so authentisch aus:
Dem auswärtigen Besucher, der gegen die Mittagszeit an dem trutzigen, alten Kirchlein vorbeikommt, bietet sich ein schönes Bild bodenständiger Heimatsitten. Der Gottesdienst ist aus, und die Kirchgänger schreiten gemächlich ihren Behausungen zu. Die Männer mit braunen, zerknitterten, faltigen Heidjergesichtern, mit steifer, schwarzer Mütze und der landesüblichen hochgeschlossenen Weste; die Frauen mit faltenreichen, langen Röcken, mit bunten Häubchen, die je nach dem Alter anders gefärbt und gewirkt sind.
Ein schönes Bild bodenständiger Heimatsitten. Klar. Aber nur für den auswärtigen Besucher. Die angeblichen Kirchgänger mit ihren Heidjergesichtern, Mützen und Hauben sind alle für den Film herbestellt und von Meister Behrendt in Szene gesetzt.
Heimat, das ist eine touristisch herausgeputze Kulisse für Freizeitspaß, genauso echt wie die Dekoration in den modernen Berliner Caféhäuser, genauso deutsch wie die Jazz-Varianten, die die Tanzkapellen dort zum Besten geben, und genauso authentisch wie ein Kellner im Trachtenlook, der den Umsatz ankurbeln soll.
Vorbei die Zeiten, in denen ein Heimatfilm artig Dokumentaraufnahmen aus der deutschen Provinz mit einer Spielfilmhandlung verknüpft. Neppach und seine Leute drehen einen Unterhaltungstonfilm, für das große Publikum!
Wie wenig ernst die beiden Adjektive „echt“ und „deutsch“ gemeint sind, zeigen die Übersteigerungen in der Erlebnisreportage der Nordwestdeutschen Zeitung. Der rasende Reporter Ordemann überbietet sich in Superlativen, um das das Echt-Deutsche hervorzuheben. Und bewirkt ungefähr das genaue Gegenteil:
- Die Filmleute sind erfüllt von dem „Bestreben, durch engste Anlehnung an die bodenständige Volkskunst möglichste Echtheit und Naturtreue zu erzielen“.
- Die Löns-Lieder, auf die das Filmmanuskript zurückgeht, sind „längst edelstes Volksgut geworden“.
- Einzelne Frauen im Trachtenkostüm sind „mit den schönsten Bändern und dem wattigsten Rundrock geschmückt“.
- „Die Feuerwehr kommt („Gut Schlauch!“) bei Bier in Stimmung, eine Spielschaft mit Klampfen singt Lönsweisen, und bald ist der Platz ein Bild echtesten, heimattreusten Volkslebens.“
Engst, edelst, echtest. Heimattreust. Das tut weh. Und das gibt es überhaupt nicht. Es gibt: Eng, edel, echt und treu. Vielleicht noch: enger, edler, treuer. Aber echter? Echter als was?
Was Ordemann uns mit seinen brachialen Wortneuschöpfungen sagen will: Wir alle wissen, dass das nur ein Spiel ist. Dass alle nur so tun, als liefen Heide-Hochzeitsfeste so ab wie an dem einen Sonntag in Scheeßel. Camilla, Peter und die Monarchen tragen bloß eine Verkleidung. Die Löns-Lieder sind keine alten Volkslieder, sondern gerade mal zwanzig Jahre alt. Es geht um Stars und Glamour, viel Bier und Kuchen vom Bufett, große Gefühle und gute Unterhaltung. Aber bestimmt nicht um Naturtreue.
Engst, edelst, echtest. Heimattreust. Im Heimatfilm gibt es zu viel von allem. Dann wirkt es besonders echt. So kommt das Publikum in Stimmung. Mit Standleitung zum Bierfass. Gut Schlauch! Der Tag ist gerettet.
Im Rückblick fühlen sich selbst die Dreharbeiten an wie ein Film. Ist das wirklich passiert? Sowas gibt es doch nur im Kino. „Vorbei, der Tonfilmzauber im schönen Heidestädtchen Scheeßel; auf Wiedersehen – im Kino!“
Zum Inhaltsverzeichnis.
Zum nächsten Kapitel: Filmstart von „Grün ist die Heide“: Mit Werbebildern zum Erfolg.
Abbildungsverzeichnis
Fotos zu den Filmaufnahmen. Public Domain. Eigenes Archiv.
Spielaufnahmen in der Heide. Eine Übersicht. Eigene Grafik auf der Basis von OpenStreetMap. Link zur Vorlage.
Verwendete Literatur
Recherche im Deutschen Zeitungsportal.
- Bremer Nachrichten, 13.09.1932: „In Rotenburg wird gefilmt“. Gemeindearchiv Scheeßel.
- Deutsche Reichszeitung 14.09.1932, S. 5: Ein Löns-Film (Beginn der Dreharbeiten)
- Hamburgischer Correspondent. Morgenausgabe 20.09.1932, S. 4: „Grün ist die Heide. Scheesseler Bauernhochzeit im Löns-Gedächtnisfilm“ (Erlebnisreportage)
- Nordwestdeutsche Zeitung 19.09.1932: Hans Ordemann, „Filmzauber über der Lüneburger Heide“. (Erlebnisreportage). Gemeindearchiv Scheeßel.
- Scheeßeler Zeitung 20.09.1932: „Filmaufnahmen“ (Drehbericht). Gemeindearchiv Scheeßel.
Postkarte von Karl Blume an seine Frau: „Heute sind zahlreiche Aufnahmen gemacht worden“. Rotenburg, 17. September 1932. Westfälisches Musikarchiv im Stadtarchiv Hagen.