Dreharbeiten zu „Grün ist die Heide“: Ein Reporter auf dem Trachtenfest
Über die Dreharbeiten werden wir minutiös in der Presse informiert. Das Deutsche Lichtspiel-Syndikat, kurz D.L.S., schürt geschickt Erwartungen und hält uns auf dem Laufenden.
Am 10. September beginnen die Dreharbeiten mit Außenaufnahmen in der Lüneburger Heide. Die Filmleute beziehen Quartier in Rotenburg (Wümme). Aufnahmen von der blühenden Heide müssen möglichst früh im Kasten sein. Man weiß ja nie, wie lang die Natur mitspielt. Deswegen ist Viktor Gluck, „der sich als Freilichtoperateur einen Namen gemacht hat“, laut Pressemeldungen schon seit einigen Tagen in Rotenburg, „um von dort aus in zahlreichen Streifzügen durch die Heide Landschaftsaufnahmen zu drehen, bis Regisseur Hans Behrendt mit dem Ensemble zu den Spielaufnahmen in der Heide eintrifft“ (Deutsche Reichszeitung 14.09.1932).
Für den letzten Drehtag, den 19. September, reist Behrendt mit dem ganzen Stab nach Scheeßel, wo Szenen am Rande eines Hochzeitsfestes mit Brautzug gefilmt werden sollen. Ganz wichtig. Für die Liebe. Auf dem Fest tanzen Grete und Walter das erste Mal miteinander. Und für den Klamauk. Die Monarchen bedienen sich am Kuchenbufett.
Für die Schauwerte sorgt der örtliche Trachtenverein, 1905 kurz vor der ersten Touristenwelle gegründet. Die Scheeßeler Tanzbühne ist extra für den Film gezimmert worden und steht schon länger da. Es sollte schon am vorherigen Sonntag gedreht werden, leider hat es geregnet.
An so einem Tag darf die Presse nicht fehlen. Das D.L.S. organisiert einen Journalisten, der ganztägig vor Ort sein darf. Am nächsten Tag erscheint seine Erlebnisreportage im Hamburgischen Correspondenten, direkt von den Dreharbeiten.
Atemberaubend, wie man 1932 Filme macht. Vier Lehren kann man ziehen.
1. Regie, das bedeutet Planung und Koordination.
Der Bühnenbau. Was für ein Aufwand! Die Leute vom Trachtenverein. Sie müssen herbestellt und am Set verteilt werden. Hoffentlich spielt das Wetter diesmal mit! Wir haben ja nur den einen Tag! Das geht nur, wenn einer den Überblick behält: „Meister Behrendt“, der „Oberregisseur“. Und mit einem Team, bei dem die Handgriffe sitzen. Ergebnis: die perfekte Illusion, eine Filmwelt entsteht. Entzückend – und verblüffend!
An der Dorfstraße, an einem wundervoll gelegenen Platz, vor einem etwas zurückliegenden Bauernhause, im Hintergrund abgeschlossen von dunklem hohem Tannenwalde, hat man eine kleine Tanzfläche zusammengezimmert, sozusagen die Bretter, die die Welt bedeuten. Das ist nun allerdings eine ganz besondere Welt, die wie hervorgezaubert unter den routinierten Händen und Anweisungen des Oberregisseurs Behrend und seines Stabes entsteht. Verblüffend das konstruktive, aber doch so absichtslose und natürliche Bild, wie es nach und nach immer voller wird, wie Leben hineinkommt und Bewegung: wieder ist man entzückt von der prächtigen Wirkung der alten Volkstrachten, die die jungen Leute, Burschen und Mädchen, zum Tanz angelegt haben. Von ihnen unterscheiden sich deutlich Braut und Bräutigam.
2. Film braucht Infrastruktur und schweres Gerät.
Neppachs Logistik-Zentrale in Rotenburg muss „in Scheessel gewissermaßen eine Filiale aufschlagen“. Ohne Trucker geht das nicht. „Eine ganze Reihe von Kraftwagen setzte sich nach Scheessel in Bewegung.“ Was ist da denn alles drin? Gespielt wird „unter dem lustigen Schnurren der Kamera[s], die von drei oder vier Seiten zugleich das Bild einfangen.“ Mehrere Kameras sparen Geld. Wir nutzen das Tageslicht und müssen die Szenen nicht so oft drehen. Bei vier Kameras wird schon was dabei sein. Außerdem haben die Leute vom Trachtenverein ja auch nicht ewig Zeit.
3. Film ist Improvisation.
Auf einmal fängt es an zu regnen, oder, wie wir Lateiner sagen, der Regengott Jupiter Pluvius rauscht herein. Kein Problem. Meister Behrendt filmt einfach weiter. Und baut das Drehbuch spontan um. „[P]lötzlich fegt Jupiter Pluvius mit einem rauschenden Guß alles auseinander: alles rennet, rettet, flüchtet; doch auch aus dieser tollen Situation weiß Meister Behrend noch etwas zu machen: Es wird die Fluchtszene gekurbelt und in einigen Details sogar wiederholt, bis alles sein rettendes, schützendes Dach aufgesucht hat und die noch eben so buntbelebte Tanzfläche sehr trist daliegt.“ Statt des geplanten Brautzugs gibt es eben einen Trachtenverein on the run und eine triste Tanzfläche. Egal. Die Szene wird gekurbelt. Sogar wiederholt. Man muss sich nur zu helfen wissen.
4. Film ist Glamour.
Am Schluss wird tüchtig gefeiert. „Nach und nach tritt die Karawane den Rückzug nach Rotenburg an“, wo „ein Abschiedsball abends die Rotenburger und ihre Gäste zu Gesang und Tanz vereinigt“. Berliner Filmwelt trifft Lokalprominenz. Die Heidewirte sind ja bekannt dafür, dass sie auch zu später Stunden alkoholische Getränke für ihre Gäste bereithalten.
Der Drehbericht des Hamburgischen Correspondent gibt uns nicht nur exklusive Einblicke ins Filmemachen. Er zeigt auch, dass der Lönskult in eine neue Phase geht. Nach den Löns-Gedächtnisfeiern, so der Reporter, kommt jetzt der „Hermann-Löns-Gedächtnisfilm“.
Die drei Zutaten des Films, mit denen später geworben wird, sind anekdotisch in den Drehbericht verwoben. Für die Vorfreude. Allerdings, ziemlich deutsch ist das schon. Das Frauenbild. Die sprachlosen Männer. Die Uniformen. Die harmlosen Späße. „Löns“ halt.
Der bezaubernde Liebesroman: Die Stars am Set sind Camilla und Peter als Tierärztin und Jäger. Die beiden tanzen beim Dorffest, danach ist alles klar. Er in Uniform, sie im Trachtenlook. Er fordert auf, sie lässt sich führen. Ohne Worte, nur Gefühl. Herzig. Alles ist vorbereitet, die Kostüme sitzen, „unter allgemeinen Rufen der Bewunderung und des Entzückens“ treten „Camilla und Peter, die Heidetochter und ihr junger Jägersmann in Szene; freundlich nach allen Seiten grüßend, gehen sie zur Tanzfläche um mitzuwalzen, aber nicht lustig, denn „ernst, Camilla, ernst!“ ruft Meister Behrend; das Drehbuch will es so und so tanzen die beiden denn sehr sittsam, wohlanständig, in gemessenem Ernst.“ Typisch Filmstar! Das ist sie wahrscheinlich aus Berlin nicht gewohnt. Sie verhält sich gar nicht wie Mädchen im Heidedorf. So ein schönes Kleid, das probiere ich mal an! Von wegen. Zum Look gehört ein rigides Frauenbild: Anstand, Sitte, Ernst. „Meister“ Behrendt korrigiert, dann passt es. Ist ja nur ein Film.
Die spannende Wilderer-Geschichte: Der Lüdersen-Darsteller Theodor Loos hat es dem Hamburger Reporter besonders angetan. Ein düsterer Typ. Das Image bringt er aus seinen früheren Filmen mit, im kolossalen Großfilm „Die Nibelungen“ spielt er den König Gunther, der die spröde Island-Frau Brunhild heiratet. Entscheidungsschwach und wankelmütig, hat sich nicht im Griff. Ist der in echt genauso? „Unter den Filmschauspielern befindet sich auch Theodor Loos, der Darsteller des Günther im Nibelungenfilm, um nur die bekannteste Rolle zu nennen. Auffällig ist sein verschlossenes, verbissenes Gesicht, und von eingeweihter Seite hört man bestätigt, daß Loos sich derartig in seine Rollen einlebt, daß er auch während der Aufnahmepause nicht aus ihr herausgeht.“ Verbissen und verschlossen. Ein Löns wie aus einem Castelle-Vortrag.
Vor dem Hintergrund blühender Heide: Für das heidetypische feeling sorgen die drei Monarchen. Die erste Szene zeigt sie mitten im Trubel des Dorffestes. Zum Tanz spielt eine Kapelle, „die mit Fidel und Baß, mit Trompete und Flöte auf einem Ackerwagen residiert“. Musik vom Trecker.
Die Altvorderen haben ein ausladendes Kuchenbuffett aufgebaut: „an langen Tischen mit Bergen von Kuchen und wahren Kübeln von Kaffee, die Omas und Opas, die voller Vergnügen bei der Sache sind und denen man nichts Komparsenhaftes anmerkt“. Da können wir gleich losfilmen! Zur „allgemeinen Heiterkeit und zur hellen Freude Meister Behrends“ passt sofort alles zusammen, als „die drei Monarchen, die Heidestromer, ins Bild geschlendert kommen, sich an die Omas heranmachen und einige Kuchen klauen; köstlich die ehrliche Entrüstung und Abwehrversuche, die von dem gemütlichen Kampers, einer herrlichen Type, gar bald in wohlwollende Heiterkeit verwandelt werden.“ Alles nur Spaß!
Die zweite Szene rückt Blume und die Löns-Lieder ins Zentrum. Für den Film ist ein einsamer Spielmann allerdings nicht fotogen genug. Also wird Blume umlagert von einer Jugendbund-Truppe, wie es sich gehört in Einheitskleidung. Schon wieder Uniformen. Diesmal für Jugendliche. „Karl Blume mit seiner Gitarre, inmitten der Spielschar eines Jugendbundes, die in ihrer schmucken bündischen Kluft, wundersame, poesievolle Volkslieder singen und auf ihren Instrumenten spielen“. Wundervoll, „eine fein abgestimmte, tief empfundene Szene“! So sehen wir Jugend gerne. In Einheitstracht, beim Absingen einheimischer Volkslieder.
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Zu Kapitel 11: Filmstart von „Grün ist die Heide“: Mit Werbebildern zum Erfolg.
Verwendete Literatur
Recherche im Deutschen Zeitungsportal.