Reporter auf dem Trachtenfest
Dreharbeiten zu „Grün ist die Heide“ in Scheeßel


Das Trachtenfest in Scheeßel ist heimlicher Mittelpunkt der Dreharbeiten für den Heimatfilm „Grün ist die Heide“. Mittendrin: Karl Blume, fahrender Sänger und Komponist des Titelsongs.
Reporter sind auf Schritt und Tritt dabei, wenn die Berliner Stars die Lüneburger Heide besuchen. Der Regen auch.
- Regenpause im Hotel. Stars bilden Kegelmannschaften. Die Filmcrew feiert im Ballsaal. Welche Rolle spielt der Sänger Karl Blume?
- Trachtenfest auf dem Meyerhof in Scheeßel. Oberregisseur Hans Behrendt gibt Kommandos, die Vereine tummeln sich auf dem Tanzplatz. Spielt das Wetter mit?
- Ein richtiger Heimatfilm braucht Dokumentaraufnahmen: blühende Heide, altertümliche Trachten, plattdeutsch sprechende Heidjer. Was ist echt, was ist deutsch bei diesem Heimatfilm?
Inhalt
- Reporter im Hotel: Kegeln und Party statt Dreharbeiten
- Reporter decken auf: Heimatfilm als guerilla filmmaking
- Reporter über Liebende, Wilderer und blühende Heide
- Reporter über den echten deutschen Heimatfilm
Reporter im Hotel: Kegeln und Party statt Dreharbeiten
In Hannover reagieren die Reporter sofort, als sie von den Dreharbeiten für „Grün ist die Heide“ erfahren. Am Montag, 12. September, trudelt die erste Meldung in der Redaktion des Hannoverschen Kurier ein. Seit Samstag 10. September logiert die Berliner Filmprominenz in Rotenburg an der Wümme. Ab diesem Montag, so schreiben die Kollegen von den Bremer Nachrichten, wird in der Heide gedreht. Hans Joachim Toll, junger Lokalredakteur mit Ambitionen, muss raus in die Heide. Seine Berichte erscheinen jeweils freitags in der Morgenausgabe, am 16. und 23. September.
Tolls Recherche beginnt früh – damit nämlich, dass er, „der die wohltätigen Vorzüge langen Schlafens zu schätzen weiß, um 5 Uhr – morgens! – aufsteht“. Nur mit dem Morgenzug klappt es, „zur rechten Zeit dabei zu sein, wenn sie dahinten in der Heide Aufnahmen zu einem Löns-Film drehen“.
Schön wär’s. Eine „herbe Enttäuschung“ erwartet den jungen Reporter. Wer hätte gedacht, dass er „die Filmstars nicht vor der Kamera trifft, i bewahre, sondern auf der Kegelbahn“? Weit und breit kein Löns-Film. Bei dem „dickfelligen Nebel“, „wie ihn keine Jupiterlampe durchdringen könnte“? Dafür hat er „die selbstquälerischen Mühsale eines Frühaufstehers“ auf sich genommen? „Einsichtsvolle werden begreifen, daß es im Leben eines Mannes Ereignisse gibt, die ihn in bedenkliche Nähe des Alkohols bringen.“
Regentage im Hotel: Kegeln und bunte Abende
Da bleibt nur eins: Abwarten. Das können die Berliner Filmleute ziemlich gut.
Sie kegeln. Peter Voß, „im Film der junge, junge Jägersmann im grünen, grünen Kleid“, ist „Kapitän einer Kegelmannschaft, die ihre Gegner mit 122 zu 99 Punkten aus dem Rennen wirft“. Alle kegeln mit, „der ganze kriegsstarke Stab der Regie“. „Gut Holz!“
Zwischendurch „frischt man für den internationalen Tonfilm englische Sprachkenntnisse auf. Man spielt Schach. Man legt Patiencen (Camilla Spira bevorzugt den „Teppich“ und das „Herz“).“ Und man scheucht die Kleinstadt mit einem Besuch im „Kinematographentheater“ auf. Was für ein Zufall, „die ‚Lustigen Musikanten‘ laufen“! Ausnahmsweise „in Anwesenheit zweier Hauptdarsteller, Camilla Spiras und Fritz Kampers‘, eine Sensation für Rotenburg!“ Zweimal Filmstars, auf der Leinwand und in echt. Zuviel für die Heidebewohner?
Ganz im Gegenteil: „Man hält ein Tänzchen mit den Heidjern“. Genauer gesagt: Es gibt Tanz und Kabarett im Ballsaal des Hotels, bis spät in die Nacht! Das Programm bestreiten die Filmleute selbst. Hans Joachim Toll staunt, genauso wie die anwesende Rotenburger Lokalprominenz.
Camilla Spira führt ihren Heide-Dress vor. Rotkäppchen mit Glitterelementen, eine kesse Blondine im Trachtenlook. Sie zeigt sich
in der Farbenpracht des Volkstrachtfest-Gewandes, das sie in ihrem Film tragen wird, das Käppchen aus Goldbrokat auf blondem Haar, der hohe Rüschenkragen, die große Schleife, die das Käppchen hält.
Wenn Filmstars sich für die Lüneburger Heide einkleiden, kommt eben Glamour heraus. Die Heide wird zum Kostümfest. Camilla ist „strahlender Mittelpunkt junger Schwärmerei“, nichts weniger als die „Seele des werdenden Films von der grünen Heide“.
Dann: Spira und Voß eröffnen den Tanz! Mit „fortschreitender Stunde schaffen Witz und Humor eine ungezwungene Stimmung“. Es gibt ein Bühnenprogramm, fast wie ein Film. Karl Blume liefert den Soundtrack, im Wechsel mit Fritz Kampers, auch ein „lockerer Zeisig“.
Karl Blume singt Lieder zur Laute, voran in seltsamer Deutung und reizvollem Vortrag das Leitmotiv des Films, das Lied von der grünen Heide. Auch Fritz Kampers trägt sein Scherflein zur Unterhaltung bei.
Als die Stimmung auf dem Höhepunkt angekommen ist, holt Blume, der gelernte Violinist, seine Geige hervor. Übermut ist die Folge. Der Saal bebt.
Frischen Zug bringt Karl Blume in die Tanzmusik, er greift zur Fiedel und geigt und geigt, daß es nur eine Lust ist und übermütig alles mitsingt, bis es ans Abschiednehmen geht.
Was für ein Abend! Toll sammelt Fanfotos, „schnell noch ein paar Fotos ausgetauscht als Erinnerung“. Nach Hannover berichtet er aufgekratzt von einem „anregenden, angeregten, aufgeregten Abend“! Ganz ohne Film.
Timeline für die Dreharbeiten: Plan und Wirklichkeit
Das Wetter bringt die Dreharbeiten gehörig durcheinander. Die Berliner hocken tagelang im Hotel. Dabei war die timeline doch so gut getaktet (Bremer Nachrichten 13.09.1932):
Samstag 10.09. | Hotel „Rotenburger Hof“, Anreise Teil 1 | Karl Blume ist als erster da. Abends kommen aus Berlin: Camilla Spira und Regisseur Behrendt, außerdem der Filmarchitekt und „das gesamte technische Aufnahmepersonal“. |
Sonntag 11.09. | Scheeßel (Meyerhof und Heimathaus) und Wohlsdorf, Innenaufnahmen | Die geplanten Filmaufnahmen eines Trachtenfests sind wegen Schlechtwetter abgesagt. Man filmt Innenräume, „die später bei Atelieraufnahmen Verwendung finden werden.“ |
Montag 12.09. | Hotel „Rotenburger Hof“, Anreise Teil 2 | Fritz Kampers, Peter Voß, Paul Beckers und Eduard v. Winterstein treffen ein. |
Montag 12.09. – Samstag 17.09. | Hastedter Schnuckenheide, Außenaufnahmen | „Sobald günstiges Wetter eintritt, wird unverzüglich mit den Freilichtaufnahmen begonnen werden.“ |
Die Anreise in Etappen ist eine Folge der komplizierten Besetzungsgespräche in den Tagen vorher. Außer Karl Blume ist nur Camilla Spira rechtzeitig zum anvisierten Drehbeginn am Samstag da. Kein Wunder. Nur diese beide waren seit Beginn des Filmprojekts gesetzt.
Nicht nur das Wetter, auch Schauspieler sorgen kurzfristig für Änderungen. Behrendt und sein Ensemble gehen noch bis kurz vor Drehbeginn davon aus, dass Eduard von Winterstein die Rolle des Wilderers Lüdersen übernehmen wird. Das steht jedenfalls im ersten Pressebericht. Tut er aber nicht. Die Rolle ist offenbar noch am Sonntag in Berlin umbesetzt worden, Theodor Loos als neuer Lüdersen war eine last minute addition. Zu spät für die Presse.


Erst zum Ende der ersten Woche legt sich der Regen. Endlich kann man in Hastedter Schnuckenheide draußen bei Tageslicht filmen. Rasch sind die Konflikte in Szene gesetzt, mittendrin die Monarchen, die der überehrgeizige Försteradjunkt der Wilderei verdächtigt.
Überhaupt die Monarchen. Wie es sich für ein Sprachrohr der Heide gehört, platziert sie Regisseur Behrendt geschickt in stimmungsvolle Heidelandschaft. Ein zerfahrener Sandweg, von Birken gesäumt, hinten Nebelschwaden. Unsere drei Vagabunden strömern den Weg entlang, ein Lied auf den Lippen.

Karl Blume findet die Dreharbeiten ziemlich anstrengend. Kein Wunder, was in einer Woche gedreht werden sollte, wird in die wenigen Sonnentage am Ende der Woche gepackt.
Mit Poststempel vom Samstag, 17. September, sendet Blume seiner Frau eine Postkarte, wie immer schnell mit Bleistift geschrieben: „Heute sind zahlreiche Aufnahmen gemacht worden. Bin sehr müde. Morgen folgt Brief u. einige Photos von mir. Post u. Paket erhalten. Herzl. Grüße, Karl.“
Nicht nur Blume ist im Stress. Sein Monarchenkollege Paul Beckers hat „keinen Achtstundentag“, er „fährt tagelang zwischen Berlin und Rotenburg hin und her und muß die Nachtruhe hingeben“. Augenzeugin Else Richter erklärt (Hamburger Tageblatt 14.12.1932):
Abends tritt er in Berlin im Wintergarten auf, anschließend fährt er nach Rotenburg – also von der Vorstellung in den Zug. In aller Frühe kommt er in Rotenburg an, eine Tasse Kaffee, und wieder hinaus zum Filmen. Mittags wieder in den Zug nach Berlin und eine halbe Stunde nach Ankunft des Zuges wieder auftreten im Wintergarten.
Das „spannt die Nerven der Künstler bis ans Äußerste“! Und dann noch die Wetterprobleme. Die sonnigen Tage, weiß Hans Joachim Toll, „nutzt man mit beiden Händen bis auf die letzte Minute aus, so daß am Ende Paul Beckers, der abends in Berlin wieder auf der Bühne spielen muß, mit einem Rennwagen zurückgebracht werden muß“. Ein Monarch im Rennwagen. Das geht nur beim Film.
Und was wird aus dem Trachtenfest?
Reporter decken auf: Heimatfilm als guerilla filmmaking

Noch sieht es nicht nach Regen aus.
Am Sonntag, 18. September, ist es endlich soweit. Hans Behrendt reist wieder nach Scheeßel, diesmal mit dem ganzen Stab. Endlich soll das traditionelle Heide-Hochzeitsfest gefilmt werden, inklusive Brautzug. Jetzt, wo das gesamte Ensemble angereist ist, werden Camilla, Peter und die Monarchen gleich von Anfang an mit eingebaut. Das gibt dramaturgisch ordentlich was her. Für die Liebe: Auf dem Fest tanzen Grete und Walter das erste Mal miteinander. Und für den Klamauk: Die Monarchen bedienen sich am Kuchenbufett.
An so einem Tag darf die Presse nicht fehlen. Das D.L.S. organisiert Journalisten, die ganztägig vor Ort sind. In den nächsten beiden Tagen erscheinen gleich vier Drehberichte. Eine großangelegte Erlebnisreportage bringt die Nordwestdeutsche Zeitung, Hans Ordemann beschreibt den „Filmzauber über der Lüneburger Heide“ (Montag 19. September). Eine zweite bietet der Hamburgische Correspondent unter der Überschrift „Grün ist die Heide. Scheesseler Bauernhochzeit im Löns-Gedächtnisfilm“ (Dienstag 20. September). Außerdem berichtet die lokale Scheeßeler Zeitung über die „Filmaufnahmen“ (Dienstag 20. September). Hans Joachim Toll beschließt die Reihe mit einem großen Feature im Hannoverschen Kurier: „Filmstars, Heide, Regen und Sonne“ (Freitag 23. September). Wir sind bestens informiert.
Atemberaubend, wie man 1932 Filme macht. Vier Lehren kann man ziehen.
1. Regie, das bedeutet Planung und Koordination.
Mittags geht es los. „Kurz nach 1 Uhr erschien der Stab der Filmleute“, „Aufnahmeapparate wurden aufgebaut und schußfertig eingestellt“. Und das ist erst der Anfang. An was man alles denken muss!
Der Bühnenbau. „Handwerker beeilten sich, auf dem Behrenschen Hofe am Meyerhof den Aufnahmeplatz herzurichten“. „Vor einer Heidekate wird schnell der Tanzboden gelegt (jawohl – „Tanz im Freien“!), und die lustig fiedelnde und schmetternde Musik nimmt auf dem grünen Leiterwagen vor der Scheune Platz.“ Musik vom Trecker. Fertig!
Die Komparsen. Überall tummeln sich Einheimische, „vollzählig zur Stelle die hiesigen Mitspieler in ihren alten Trachten, die Musikanten, die Feuerwehr, der Reitverein, die Spielschar, Trommler und Pfeifer usw.“ Ein besonderer Hingucker und Grund dafür, dass der Film ausgerechnet nach Scheeßel kommen, ist der örtliche Trachtenverein, 1905 kurz vor der ersten Touristenwelle gegründet. Ganz schön viel Leute!
Das Wetter. Hoffentlich klappt es diesmal! Wir haben doch nur den einen Tag. „Die Filmgewaltigen laufen dort schon besorgten Gesichts herum, denn die Sonne will und will nicht hinter den Wolken heraus.“ Man holt sich Rat an kundiger Stelle. „Alte Bauern werden befragt, und weil sie sich optimistisch äußern, wird beschlossen, die Aufnahme zu drehen.“
Das geht nur, wenn einer den Überblick behält: „Meister Behrendt“, der „Oberregisseur“ der einen eigenen Ackerwagen hat. Und ein Team, bei dem die Handgriffe sitzen. Ergebnis: die perfekte Illusion, eine Filmwelt entsteht. Entzückend – und verblüffend!
An der Dorfstraße, an einem wundervoll gelegenen Platz, vor einem etwas zurückliegenden Bauernhause, im Hintergrund abgeschlossen von dunklem hohem Tannenwalde, hat man eine kleine Tanzfläche zusammengezimmert, sozusagen die Bretter, die die Welt bedeuten. Das ist nun allerdings eine ganz besondere Welt, die wie hervorgezaubert unter den routinierten Händen und Anweisungen des Oberregisseurs Behrend und seines Stabes entsteht.
Verblüffend das konstruktive, aber doch so absichtslose und natürliche Bild, wie es nach und nach immer voller wird, wie Leben hineinkommt und Bewegung: wieder ist man entzückt von der prächtigen Wirkung der alten Volkstrachten, die die jungen Leute, Burschen und Mädchen, zum Tanz angelegt haben.
Hans Joachim Toll fasst Behrendts Wirken ganz selbstverständlich in Militärmetaphern, nennt Behrendt anerkennend „Leiter und obersten Kriegsherrn“. Wenn alle brav sind und gehorchen, gelingt die Illusion. „Wieder läuft schnarrend das Filmband durch die Kamera, wieder kommandiert Regisseur Behrendt von seinem Ackerwagen aus“. Ein Feldherr auf dem Pferdekarren. Er „gibt Kommandos, die Hilfstruppe der Assistenten drängt die Schaulustigen zurück, und wer artig ist und nicht in den Apparat guckt, darf ein wenig mitspielen.“
2. Film braucht Infrastruktur und schweres Gerät.
Neppachs Logistik-Zentrale in Rotenburg muss „in Scheessel gewissermaßen eine Filiale aufschlagen“. Eine Expedition, „die aus Stars, Funktionären, Technikern, Komparsen, einem gewaltigen Troß also“, eine richtige „Baggage“, wie beim Militär. Ohne Trucker geht das nicht. „Eine ganze Reihe von Kraftwagen setzte sich nach Scheessel in Bewegung.“ Was ist da denn alles drin? Gespielt wird „unter dem lustigen Schnurren der Kamera[s], die von drei oder vier Seiten zugleich das Bild einfangen.“ Mehrere Kameras sparen Geld. Wir nutzen das Tageslicht und müssen die Szenen nicht so oft drehen. Bei vier Kameras wird schon was dabei sein. Außerdem haben die Leute vom Trachtenverein ja auch nicht ewig Zeit.
Überhaupt, die Technik! Ein „besonderer musikalischer Filmmann“ instruiert die Musikkapelle auf dem Trecker, er „skizziert schnell die Haupthemen und -motive der Begleitmusik“. Das reicht. Meister Behrendt ruft ohnhein ständig Anweisungen dazwischen. Grete und Walter tanzen, „traurig, den nun werden sie sich trennen müssen. „Viiiiiel trauriger!“ ruft der Regisseur. Trotz Tonfilms? Jawohl, denn nur die Bilder, nicht die Begleitmusik und -geräusche werden bei diesen Massenszenen aufgenommen, technischer Schwierigkeiten wegen.“
Die Kapelle, „die mit Fidel und Baß, mit Trompete und Flöte auf einem Ackerwagen residiert“, spielt nur für die Leute in Scheeßel, weil erst „in Berlin eine Melodie geschrieben wird, die, auf elektisch-optischem Wege neben das Filmband kopiert, „nachsynchronisiert“ wird“. Ach so.
3. Film ist Improvisation.
Auf einmal fängt es an zu regnen, oder, wie wir Lateiner sagen, der Regengott Jupiter Pluvius rauscht herein. Da haben sich die wetterkundigen alten Bauern wohl geirrt. Kein Problem. Meister Behrendt filmt einfach weiter. Und baut das Drehbuch spontan um. „[P]lötzlich fegt Jupiter Pluvius mit einem rauschenden Guß alles auseinander: alles rennet, rettet, flüchtet; doch auch aus dieser tollen Situation weiß Meister Behrend noch etwas zu machen: Es wird die Fluchtszene gekurbelt und in einigen Details sogar wiederholt, bis alles sein rettendes, schützendes Dach aufgesucht hat und die noch eben so buntbelebte Tanzfläche sehr trist daliegt.“ Auch da lässt sich was draus machen, „die Aufnahmeapparate fanden von schützenden Regenschirmen bedeckt noch zahlreiche Motive.“
Aus der geplanten Heide-Hochzeitsfeier wird allerdings nichts. „Da eine schnelle Aufklärung nicht zu erwarten war, mußte der Brautzug ausfallen und die Vereine konnten abziehen.“ Stattdessen gibt es eben einen Trachtenverein on the run und eine triste Tanzfläche. Egal. Die Szene wird gekurbelt. Sogar wiederholt. Man muss sich nur zu helfen wissen.
4. Film ist Glamour.
In Scheeßel sorgt man nachmittags für das leibliche Wohl der Komparsen. Nach Abschluss der Dreharbeiten gibt es Kaffee und Kuchen für alle. „In Behrens Saal fand anschließend für die heimischen Mitspieler eine Kaffeetafel statt.“ Beim Film lässt man sich nicht lumpen.
Am Abend wird wieder tüchtig gefeiert, im Ballsaal des Rotenburger Hofs. Auch Gäste aus Scheeßel sind geladen. Sie wollen Glamour, „lassen Camilla Spira bestellen, sie möchte in ihrem Trachtenkleid kommen. Haben, wie man so sagt, einen Narren an der Camilla gefressen, die Scheeßeler.“
Los geht’s! Über die „regennasse Straße surren die Kraftwagen“, „Autographenjäger warten“. „Nach und nach tritt die Karawane den Rückzug nach Rotenburg an“, wo „ein Abschiedsball abends die Rotenburger und ihre Gäste zu Gesang und Tanz vereinigt“. Das wird lustig. Die Heidewirte sind ja bekannt dafür, dass sie auch zu später Stunden alkoholische Getränke für ihre Gäste bereithalten.
Autogrammjäger stehen tatsächlich Schlange, „die Füllhaltertinte floß bei den Prominenten in Strömen – – -!“ Kein Wunder, Camilla Spira, die „Greta Garbo von Scheeßel“, bekommst du nicht alle Tage zu sehen.
Reporter über Liebende, Wilderer und blühende Heide

Camilla Spira und Peter Voß auf dem Tanzboden, frisch gezimmert vor dem Meyerhof. Nicht im Bild: Oberregisseur Behrendt, der vom Ackerwagen aus Kommandos ruft.
Der Drehberichte geben uns nicht nur exklusive Einblicke ins Filmemachen. Sie zeigen auch, dass der Lönskult in eine neue Phase geht. Nach den Löns-Gedächtnisfeiern, so der Reporter des Hamburgischen Correspondenten, kommt jetzt der „Hermann-Löns-Gedächtnisfilm“.
Die drei Zutaten des Films, mit denen später geworben wird, sind anekdotisch in die Drehberichte verwoben. Allerdings, ziemlich deutsch ist das schon. Das Frauenbild. Die sprachlosen Männer. Die Uniformen. Die harmlosen Späße. „Löns“ halt.
Der bezaubernde Liebesroman
Die Stars am Set sind Camilla und Peter als Tierärztin und Jäger. Die beiden tanzen beim Dorffest, danach ist alles klar. Er in Uniform, sie im Trachtenlook. Er fordert auf, sie lässt sich führen. Ohne Worte, nur Gefühl. Herzig.
Alles ist vorbereitet, die Kostüme sitzen. Camilla, „weizenblond mit kirschrotem Mund“, erntet bewundernde Blicke. Dann, „unter allgemeinen Rufen der Bewunderung und des Entzückens“, treten „Camilla und Peter, die Heidetochter und ihr junger Jägersmann in Szene; freundlich nach allen Seiten grüßend, gehen sie zur Tanzfläche um mitzuwalzen, aber nicht lustig, denn „ernst, Camilla, ernst!“ ruft Meister Behrend; das Drehbuch will es so und so tanzen die beiden denn sehr sittsam, wohlanständig, in gemessenem Ernst.“ Typisch Filmstar! Das ist sie wahrscheinlich aus Berlin nicht gewohnt. Sie verhält sich gar nicht wie Mädchen im Heidedorf. So ein schönes Kleid, das probiere ich mal an! Von wegen. Zum Look gehört ein rigides Frauenbild: Anstand, Sitte, Ernst. „Meister“ Behrendt korrigiert, dann passt es. Ist ja nur ein Film.
Die spannende Wilderer-Geschichte
Der Lüdersen-Darsteller Theodor Loos hat es dem Hamburger Reporter besonders angetan. Ein düsterer Typ. Das Image bringt er aus seinen früheren Filmen mit, im kolossalen Großfilm „Die Nibelungen“ spielt er den König Gunther, der die spröde Island-Frau Brunhild heiratet. Entscheidungsschwach und wankelmütig, hat sich nicht im Griff. Ist der in echt genauso? „Unter den Filmschauspielern befindet sich auch Theodor Loos, der Darsteller des Günther im Nibelungenfilm, um nur die bekannteste Rolle zu nennen. Auffällig ist sein verschlossenes, verbissenes Gesicht, und von eingeweihter Seite hört man bestätigt, daß Loos sich derartig in seine Rollen einlebt, daß er auch während der Aufnahmepause nicht aus ihr herausgeht.“ Verbissen und verschlossen. Ein Löns wie aus einem Castelle-Vortrag.
Vor dem Hintergrund blühender Heide
Für das heidetypische feeling sorgen die drei Monarchen. Hans Ordemann von der Nordwestdeutschen Zeitung erkennt Nestroys Zauberposse als literarische Vorlage und nennt Fritz Kampers den Anführer „eines norddeutschen Lumpazivagabundus-Kleeblatts“. Er ist der „erklärte Liebling bei groß und klein“. „Ganz echt, ganz saftig sieht er in seiner Kluft aus, die so abgerissen ist, das ihn der nächste Windstoß „entblättern“ könnte.“
Die erste Szene zeigt ihn und die beiden anderen mitten im Trubel des Dorffestes. Die Altvorderen haben ein ausladendes Kuchenbuffett aufgebaut: „an langen Tischen mit Bergen von Kuchen und wahren Kübeln von Kaffee, die Omas und Opas, die voller Vergnügen bei der Sache sind und denen man nichts Komparsenhaftes anmerkt“. Da können wir gleich losfilmen! Zur „allgemeinen Heiterkeit und zur hellen Freude Meister Behrends“ passt sofort alles zusammen, als „die drei Monarchen, die Heidestromer, ins Bild geschlendert kommen, sich an die Omas heranmachen und einige Kuchen klauen; köstlich die ehrliche Entrüstung und Abwehrversuche, die von dem gemütlichen Kampers, einer herrlichen Type, gar bald in wohlwollende Heiterkeit verwandelt werden.“ Alles nur Spaß!
Die zweite Szene rückt Blume und die Löns-Lieder ins Zentrum. Für den Film ist ein einsamer Spielmann allerdings nicht fotogen genug. Also wird Blume umlagert von einer Jugendbund-Truppe, wie es sich gehört in Einheitskleidung. Schon wieder Uniformen. Diesmal für Jugendliche. „Karl Blume mit seiner Gitarre, inmitten der Spielschar eines Jugendbundes, die in ihrer schmucken bündischen Kluft, wundersame, poesievolle Volkslieder singen und auf ihren Instrumenten spielen“. Wundervoll, „eine fein abgestimmte, tief empfundene Szene“! So sehen wir Jugend gerne. In Einheitstracht, beim Absingen einheimischer Volkslieder.
Reporter über den echten deutschen Heimatfilm

Mittig vorne die drei „Monarchen“, Karl Blume (mit Gitarre), umgeben von den Scheeßeler Vereinen. Hinten, auf einem Ackerwagen, der Musikverein mit Männerchor.
Hinten links Oberregisseur Behrendt, der Kommandos von einem eigenen Ackerwagen aus gibt. Behrendt hält die Hand vor sein Gesicht, um das inszenierte Trachtenfest nicht zu stören. Weiter rechts, außerhalb des Bildes, aber in Behrendts direktem Sichtfeld, der gezimmerte Tanzboden für Camilla und Peter.
Die wichtigste Botschaft der Drehberichte ist deckungsgleich mit dem unique selling point von „Grün ist die Heide“. Es wird ein echter deutscher Heimatfilm! Das ist allerdings weder nationalistisch noch dokumentarisch gemeint.
Heimat als Kulisse
Wie das? Als die Aufnahmen auf dem Meyerhof, direkt gegenüber von Behrens Saal, auf dem eigens gezimmerten Tanzboden, losgehen, sieht doch alles so authentisch aus:
Dem auswärtigen Besucher, der gegen die Mittagszeit an dem trutzigen, alten Kirchlein vorbeikommt, bietet sich ein schönes Bild bodenständiger Heimatsitten. Der Gottesdienst ist aus, und die Kirchgänger schreiten gemächlich ihren Behausungen zu. Die Männer mit braunen, zerknitterten, faltigen Heidjergesichtern, mit steifer, schwarzer Mütze und der landesüblichen hochgeschlossenen Weste; die Frauen mit faltenreichen, langen Röcken, mit bunten Häubchen, die je nach dem Alter anders gefärbt und gewirkt sind.
Ein schönes Bild bodenständiger Heimatsitten. Klar. Aber nur für den auswärtigen Besucher. Die angeblichen Kirchgänger mit ihren Heidjergesichtern, Mützen und Hauben sind alle für den Film herbestellt und von Meister Behrendt in Szene gesetzt.
Heimat, das ist eine touristisch herausgeputze Kulisse für Freizeitspaß, genauso echt wie die Dekoration in den modernen Berliner Caféhäuser, genauso deutsch wie die Jazz-Varianten, die die Tanzkapellen dort zum Besten geben, und genauso authentisch wie ein Kellner im Trachtenlook, der den Umsatz ankurbeln soll.
Vorbei die Zeiten, in denen ein Heimatfilm artig Dokumentaraufnahmen aus der deutschen Provinz mit einer Spielfilmhandlung verknüpft. Neppach und seine Leute drehen einen Unterhaltungstonfilm, für das große Publikum!
Das geht schon beim Dialekt los. Hans Toll hört aufmerksam zu. Die beiden Hauptdarsteller kommentieren das schlechte Wetter, unverkennbar norddeutsch! „ ‚Da kann man denn nu ja woll nichts machen, nich?‘ sagt Peter Voß, der Schleswig- Holsteiner, und ‚dascha wahr‘, sagt Camilla Spira, die Hamburgerin (aber der Papa ist aus Wien).“ Moment mal. Ist das jetzt Wienerisch oder doch Hamburgerisch? Vielleicht irgendetwas dazwischen?
So genau nehmen das die Filmleute nicht. „Mußten die drei Vagabunden nicht die Sprache der Heidjer sprechen? Sie mußten nicht. Denn siehe, der erste wirkliche Monarch, den man traf, sprach — ei verdimmich! — das reinste Säck’sch“.
Echtes Plattdeutsch bieten nur zwei ganz alte Scheeßeler. Hans Toll braucht ziemlich lange, um sie im Getümmel der vielen Vereine zu entdecken.
Die Männer in Schirmmützen und blauen Hemdsärmeln, die Mädchen in Lila und Grün, die Feuerwehr, der Reiterverein, die Musikanten warten. Vadder und Mudder sind dabei, sitzen draußen bei Kaffee und Kuchen, „he smeckt noch jümmer“, sagt Mudder, und „jo, dat segg man!“ sagt Vadder.
Der Dialekt der beiden wird zur unverbindlichen Folklore inmitten der vielen Hemdsärmel, Uniformen und lila-grünen Kleidern. Genauso wie der echte deutsche Heimatfilm.
Was ist echt, was ist deutsch bei diesem Heimatfilm?
Wie wenig ernst die beiden Adjektive „echt“ und „deutsch“ gemeint sind, zeigen die Übersteigerungen in der Erlebnisreportage der Nordwestdeutschen Zeitung. Der rasende Reporter Ordemann überbietet sich in Superlativen, um das das Echt-Deutsche hervorzuheben. Und bewirkt ungefähr das genaue Gegenteil:
- Die Filmleute sind erfüllt von dem „Bestreben, durch engste Anlehnung an die bodenständige Volkskunst möglichste Echtheit und Naturtreue zu erzielen“.
- Die Löns-Lieder, auf die das Filmmanuskript zurückgeht, sind „längst edelstes Volksgut geworden“.
- Einzelne Frauen im Trachtenkostüm sind „mit den schönsten Bändern und dem wattigsten Rundrock geschmückt“.
- „Die Feuerwehr kommt („Gut Schlauch!“) bei Bier in Stimmung, eine Spielschaft mit Klampfen singt Lönsweisen, und bald ist der Platz ein Bild echtesten, heimattreusten Volkslebens.“
Engst, edelst, echtest. Heimattreust. Das tut weh. Und das gibt es überhaupt nicht. Es gibt: Eng, edel, echt und treu. Vielleicht noch: enger, edler, treuer. Aber echter? Echter als was?
Was Ordemann uns mit seinen brachialen Wortneuschöpfungen sagen will: Wir alle wissen, dass das nur ein Spiel ist. Dass alle nur so tun, als liefen Heide-Hochzeitsfeste so ab wie an dem einen Sonntag in Scheeßel. Camilla, Peter und die Monarchen tragen bloß eine Verkleidung. Die Löns-Lieder sind keine alten Volkslieder, sondern gerade mal zwanzig Jahre alt. Es geht um Stars und Glamour, viel Bier und Kuchen vom Bufett, große Gefühle und gute Unterhaltung. Aber bestimmt nicht um Naturtreue.
Engst, edelst, echtest. Heimattreust. Im Heimatfilm gibt es zu viel von allem. Dann wirkt es besonders echt. So kommt das Publikum in Stimmung. Mit Standleitung zum Bierfass. Gut Schlauch! Der Tag ist gerettet.
Nationalistisch ist dieser Heimatfilm zwar nicht. Man kann trotzdem problematisch finden, wie selbstverständlich sich alles um eine Obrigkeit arrangiert. Vereine sind „vollzählig zur Stelle“, ihre Trachten kleiden „die Musikanten, die Feuerwehr, den Reitverein, die Spielschar, Trommler und Pfeifer“ wie eine Uniform. Jeder an seinem Platz. Militärische Präzision überall. Der Regisseur ist „oberster Kriegsherr“, dirigiert einen „Kriegstab“, gibt fortwährend „Kommandos“, denen alle sofort Folge leisten. Auch wenn sie von einem Ackerwagen kommen. „Ernst, Camilla, ernst“, das Drehbuch will es nunmal so. Ungezwungen ist man höchstens abends, beim Filmball.
Und das Wetter? Launenhaft und kapriziös, wie ein Filmstar. Hans Joachim Toll wird zum Abschluss poetisch:
Abends, als die heimkehrenden Wagen mit weißem Lichtkegel in die Dunkelheit der Straßen vorstoßen, zeigt sich der Himmel noch einmal in der ganzen Launenhaftigkeit eines Stars. Der Kamera wie zum Hohn, spannt er sich nun wolkenlos und mondklar über die schweigende Heide.
Im Rückblick fühlen sich selbst die Dreharbeiten an wie ein Film. Meint zumindest Hans Ordemann. Ist das wirklich passiert? Sowas gibt es doch nur im Kino. „Vorbei, der Tonfilmzauber im schönen Heidestädtchen Scheeßel; auf Wiedersehen – im Kino!“
Zum Inhaltsverzeichnis.
Zum nächsten Kapitel: Filmstart von „Grün ist die Heide“: Mit Werbebildern zum Erfolg.
Abbildungsverzeichnis
Fotos zu den Filmaufnahmen. Public Domain. Eigenes Archiv.
Filmaufnahmen in Scheeßel, Sonntag 18. September 1932. Public Domain. Bild-Kurier. Beilage zum Hannoverschem Kurier. Nr. 30 (23.10.1932), S. 1.
Verwendete Literatur
Recherche im Deutschen Zeitungsportal.
- Bremer Nachrichten, 13.09.1932: „In Rotenburg wird gefilmt“. Gemeindearchiv Scheeßel.
- Deutsche Reichszeitung 14.09.1932, S. 5: Ein Löns-Film (Beginn der Dreharbeiten)
- Hannoverscher Kurier. Morgen-Blatt 16.09.1932, S. 6: [Hans Joachim Toll,] „Die Heide in Bild und Ton“
- Hamburgischer Correspondent. Morgenausgabe 20.09.1932, S. 4: „Grün ist die Heide. Scheesseler Bauernhochzeit im Löns-Gedächtnisfilm“ (Erlebnisreportage)
- Nordwestdeutsche Zeitung 19.09.1932: Hans Ordemann, „Filmzauber über der Lüneburger Heide“. (Erlebnisreportage). Gemeindearchiv Scheeßel.
- Scheeßeler Zeitung 20.09.1932: „Filmaufnahmen“ (Drehbericht). Gemeindearchiv Scheeßel.
- Hannoverscher Kurier. Morgen- Blatt 23.09.1932, S. 8: Hans Joachim Toll, „Filmstars, Heide, Regen und Sonne. Die Kamera schnarrt dahinten in der Heide“
- Bild-Kurier. Beilage zum Hannoverschem Kurier. Nr. 30 (23.10.1932), S. 1: „Grün ist die Heide“. Ein Film von Lieben und Leben in unserer Heide
- Hannoverscher Kurier. Morgen-Blatt 19.11.1932, S. 5: Hans Joachim Toll, „Grün ist die Heide“. Zur Welturaufführung des Löns-Films in Hannover
- Hannoverscher Kurier. Abend-Blatt 21.11.1932, S. 12: Hans Joachim Toll, „Grün ist die Heide“. Uraufführung des Lönsfilmes in den Palast-Lichtspielen
- Hannoverscher Kurier. Abend-Blatt 23.11.1932, S. 8: Hans Joachim Toll, Welturaufführung! „Grün ist die Heide“ in den Palast-Lichtspielen.
- Hamburger Tageblatt 14. Dezember 1932, S. 5: Else Richter, Grün ist die Heide. Link zu den Hamburger Zeitungen Digital.
Postkarte von Karl Blume an seine Frau: „Heute sind zahlreiche Aufnahmen gemacht worden“. Rotenburg, 17. September 1932. Westfälisches Musikarchiv im Stadtarchiv Hagen.