Berichte zur „Castelle-Blume-Löns-Show“ 1929
Über die Castelle-Blume-Löns-Show 1928/1929.
Zu den Monarchen der Heide.
Bielefelder pilgern zu Löns.
Friedrich Castelle, Karl Blume und Löns=Film.
Bielefeld, 11. März.
„Löns=Morgenfeier im Gloria= und Palast= Theater“ — so las man in der Voranzeige, und selbst jene ganz Ernsthaften im Lande, die den Kinos nicht sonderlich gewogen sind, die Bildungswarte und Kulturbolde, nickten, beifällig schmunzelnd, ob so literarischen Kinogebarens.
Wir nickten und schmunzelten nicht, sondern sprangen — hallo! — freudig elektrisiert vom Stuhl auf. Warum? Weil wir einen lieben, vertrauten Namen lasen: Friedrich Castelle!
(Wie manche schöne Erinnerung verbindet uns mit dir prächtigem Künder deutscher Wortkunst! Mitten im Krieg war‘s, da brachte dein beredter Mund an einem trüben Oktoberabend die Beglückungen heimatlicher Dichtung in feldgraues Einerlei. Übrigens auch damals: Löns! Später, in unfrohen, kunstarmen ersten Nachkriegsjahren, da zeigten deine Löns=, Storm=, Raabe= und Droste=Abende immer wieder, welche unverlierbaren Schätze, allen Verlusten zum Trotz, unserem Volke geblieben sind. Und wie köstlich war dann nach Erledigung des offiziellen Programms verschiedentlich der — nun, der inoffizielle Teil! Halli und Hallo! Doch Schluß mit dieser ein wenig ins Private abgerutschten Paranthese!) Grüß Gott, lieber Friedrich Castelle!
Und noch ein bekannter Name: Karl Blume! Der Spielmann und Sänger. Mit Lied und Laute zieht er durch die Lande, wie einst die Minnesinger und Troubadoure. Lockt die Leute in hellen Scharen heran, wie einst Hamelns Rattenfänger die Kinder; singt ernste, gefühlvolle, galante und lustige Weisen, und den Hörern schlägt das Herz genau in dem Takte, den der vielgewandte, melodienreiche Hexenmeister da oben auf dem Podium angibt. Auch er — nebenbei — ein patenter, lustiger Geselle, dem man‘s anmerkt, daß ihm Gefühl und Galanterie und Zecherlustigkeit nicht nur Podium-Requisiten sind.
Kurzum: diese beiden Leute würden mit ihrer ganz poselosen, erlebnishaften Art geeignet erscheinen, dem Vaganten und Poeten Löns neue Freunde zu werben, selbst wenn man nicht wüßte, daß Castelle ein verdienstvoller Löns-Herausgeber und Biograph, Blume ein liebevoll die Rosengarten=Verse nachformender Löns=Komponist ist.
Aber wer das nicht wußte, der hat‘s gestern erfahren. Und das waren nicht wenige. In hellen Scharen pilgerten die Bielefelder zu den beiden Kinos, wo Lied und Wort und Film sich vereinigten, in wintermüde Stadtseelen einen naturhaften Hauch aus Lönsscher Welt zu tragen.
Da singt also Blume zu den Klängen der Laute mit seinem weichen, eindringlichen Bariton das Lied „Wenn ich meine Schafe weide“; eine Weise zärtlich schwingender Erinnerung hat er dazu ersonnen. Dann — empfindungsvoll, ans Herz greifend — „Über die Heide geht mein Gedenken“; und weiter: „Horch, was der Tauber ruft“ und das süß=wissende, verhaltene „Grün ist die Heide …..“
Einfach, melodisch=einprägsam, volksliedhaft blüht das alles vor uns auf, und Castelle, der nun vor den Vorhang tritt, kann mit Recht auf diesen echten Volkston der Löns=Lieder hinweisen; und doch wähnte man das Volkslied schon ein Jahrhundert tot.
Und Castelle erzählt, wie Löns durch einen Zufall zum Liederdichter wurde, als ein Ulanen-Wachtmeister, der seine Schar durch die Eilenriede führte, den am Soldatensang Kritik übenden „Fritz von der Leine“ aufforderte, doch „Besseres“ als die üblichen Lieder zu dichten. Im Handumdrehen entstand auf diese Anregung hin der „Kleine Rosengarten“.
Und Castelle erzählt weiter. Umreißt mit schlichten, kräftigen Strichen das Bild dieses seltsamen, begnadeten Poeten, der dennoch ein zutiefst ruheloser, unglücklicher Mensch war. Seine ewig brennende Sehnsucht nach „Annemieke“, der einfachen, naturnahen, erlösungbringenden Frau aus alten niederdeutschen Liedern und Mären, sein Schweifen als „Hermann Heimlos“, endlich sein Tod vor Rheims— dies ganze bittere Dichterschicksal wird uns in Castelles knappem, wundervoll gemeistertem Wort wieder nahe und lebendig und klingt im Herzen nach, wenn dann im Film-Bild die eigentliche Löns=Welt sichtbar wird: die Lüneburger Heide.
Ein großangelegter Film zeigt die ganze vielfältige Schönheit jener Stätten im Wechsel der Jahreszeiten, Land und Leute, und vor allem die eigenartige, im Naturschutzpark umhegte Tierwelt.
Kam man sich nicht vor, als werde man von einem kundigen Jägersmann in all diese kleinen und großen Geheimnisse der Natur eingeführt? War es nicht, als begleite man Hermann Löns auf einem Pirschgang?
Fritz Chlodwig Lange.
Wie wir hören, wird die Löns=Erinnerungsstunde mit vermehrten Gesangs= und Rezitationsvorträgen am Freitag als Nachtvorstellung wiederholt.
Westfälische Zeitung (Bielefeld), Montag 11. März 1929.
5000 Menschen hören Hermann Löns
Essener Ufa=Palast Schauburg: Zum 3. Mal Löns-Morgenfeier
Psychologie des Kinos
An drei aufeinander folgenden Sonntagen gibt das Lichtspielhaus Löns=Morgenfeiern. Jedesmal ist das Theater fast ausverkauft. Man kann sagen, es haben 5000 Menschen insgesamt Löns gehört. Auch an diesem letzten Morgen ist, trotz Schneegestöbers, ununterbrochenes Strömen der Menschen. Als das Licht ausgeht, sind alle Plätze des Riesenraums besetzt. Dabei war nichts anderes angekündigt, als: Vortrag über Löns. Lautenlieder, ein Heidefilm.
Magie des Kinos! Diese Morgenfeier, an anderer Stelle, hätte die Parkettreihen vielleicht halb gefüllt.
Vorn, im Foyer des Lichtspielhauses, stand eine Bronzebüste des Dichters. kantig und hager ist die Landschaft des Gesichts. Einsam stand die Büste, und man hätte sie gern in der allerbesten Gesellschaft gesehen, von den Büchern des Dichters umgeben. Eine große leere Vitrine lud dazu ein. Warum ließen die Essener Verleger diese Gelegenheit ungenutzt?
Dr. Friedrich Castelles Rede über Hermann Löns ist ein Hymnus auf den Dichter. Er spricht ihn frei, mit edlem Feuer. Das Bild des Dichters entsteht aus wenigen wesenhaften Zügen. Es ist ja so einfach, so ungebrochen, so klar heute — — — nachdem 15 Jahre, seit seinem Tode, manches weggeschwemmt haben, was es trüben könnte.
Das Volkslied, das man seit Achim von Brentano verschwunden wähnte, lebt wieder in Löns. Er weist es von sich, ein Dichter des Volksliedes zu sein. Es ist einfach da, sagt er. Etwas vom alten Volkstum, aus dem diese einfachen Verse aufsteigen, ist in ihm. Er hat nicht viel Mühe damit, ihm Worte zu geben. In dem ganzen Kleinen Rosengarten, eine der schönsten Sammlungen von Volksliedern, ist in der Urschrift ein einziges Wort verbessert worden. Das andere stand von Anbeginn fertig da. „Ueber die Heide geht mein Gedenken, Annemarie …“ heißt es in einem Annemarie oder Annemieke, das ist das niedersächsische Gretchen. Die Frauengestalt seiner Sehnsucht, ganz Naturkind, ein Wesen, das aus der Zeit kommt, wo die Bäume rote Herzen trugen und die Flammen ihre Sprache redeten. Immer geht Annemarie durch seine Lieder. Im Zweiten Gesicht wird sie Gestalt.
Löns‘ Dichtertum erwuchs ganz aus der Natur. In jungen Jahren kommt er nach Deutsch=Krone in Ostpreußen. Dies Land ist Niedersachsen verwandt, die Heimat dunkler Wälder, geheimnisvoller Seen. Die Natur wird ihm tiefstes Erlebnis. Er durchstöbert das Land. Ein Fünfzehnjähriger stellt in lückenloser wissenschaftlicher Methode eine Liste aller Vogelarten des Landstrichs um Deutsch=Krone auf, wie es keinem Fachprofessor bis dahin gelungen war. Dieser Fünfzehnjährige ist Löns.
Mit 17 Jahren ist er wieder in Niedersachsen und empfindet die Landschaft bewußt. Jetzt kennt er seinen Weg. Jetzt beginnt das große Schaffen. Seine ersten Tiergeschichten entstehen: er hat Fallgruben in der Heide gebaut, darin alles Getier, feindliches und freundliches, hineinpurzelt, und nun liegt er über der Oeffnung und blickt hinunter in eine kleine große Welt voll Freundschaft und Liebe und Vernichtung. So werden die ersten Tiergeschichten.
Und wieder eine Etappe. Hannover — — — die Lüneburger Heide. Das Wunder der Einsamkeiten. Die herben Schönheiten. Die schwermütige ernste Musik, gewoben aus zarten Birken, dunklen Föhren, blühendem Heidekraut — — — das lebt nun unvergänglich in seinen Geschichten.
Jetzt formt er auch seine größten Gestalten, die Bauern aus dem 30jährigen Krieg, ein hartes Geschlecht, mit der Natur verwachsen und mit ihrer Urkraft gesegnet …. die Bauern des Wehrwolfs im Kampf gegen die mordbrennenden schwedischen Landsknechte. Dieses trotzige Buch war 1910 zu Ende geschrieben. Im November. In diesem Buch blieb das Beste des Dichters zurück. Er zerbrach körperlich und seelisch daran, er war fertig.
Zwei Jahre irrt er ruhelos umher. Läßt alles hinter sich. In allen Winkeln Deutschlands ist er. In Oesterreich. In der Schweiz. Aus einem Schweizer Hotelzimmer schreibt er, Weihnachten 1911, an einen Freund: „Ich habe niemals Liebe gekannt.“ Und er unterschreibt: Hermann Heimlos.
Er ist ein Heimatloser.
Ein Abenteurer, ein Landsknecht, so nennt er sich selbst …. wo ist für ihn anders Platz, als in vorderster Linie, 1914 im Krieg? Am 24. September 1914 fällt er. Die Kugel ging mtten durchs Herz. Blattschuß.
Man hat ihn 1918 umgebettet. Jetzt liegt er an der großen Straße von Reims nach Laon, über die sehr viel gezogen sind, die nicht mehr wiederkamen. Man weiß aber einmal nicht, ob es wirklich Löns war, den man begrub.
Karl Blume sang Lieder von Löns. Der Barde der Laute hat viel zur Volkstümlichkeit Löns‘scher Gedichte beigetragen. Sie wandern heute, in seiner Vertonung, mit der Jugend durch die sommerliche Welt. Blume sang auch das beinahe zum Schlager (im besten Sinne) geworden: Gran ist die Heide.
Zum Schluß lief eine Zusammenstellung von Filmen aus der Heide und der ostpreußischen Landschaft.
Kasa
Essener Anzeiger, Montag 28. Januar 1929.
Quellennachweis
Fritz Chlodwig Lange: Bielefelder pilgern zu Löns. In: Westfälische Zeitung. Bielefelder Tageblatt 11.03.1929, S. 2. Link zum Deutschen Zeitungsportal.
Kasa: 5000 Menschen hören Hermann Löns. Essener Ufa=Palast Schauburg: Zum 3. Mal Löns-Morgenfeier. In: Essener Anzeiger 28.1.1929, S. 10. Link zu zeitpunkt.nrw.